APA/APA/Landestheater Vorarlberg/Anja Koehler

Bregenzer "Atlas streikt" mit ungewohnter Kapitalismuskritik

Mit der Uraufführung von "Atlas streikt", einer Adaptierung des Romans "Atlas Shrugged" von Ayn Rand, widmet sich das Vorarlberger Landestheater einer Vordenkerin des unregulierten Kapitalismus. Mit der Umsetzung bringt Regisseur Niklas Ritter seine ambivalente Haltung zum Text zum Ausdruck und forciert spannende wie feministische Aspekte. Die Werkwahl birgt zudem einen Bezug zu Österreich.

Die Gründe für das Angebot, sich an Ayn Rands Verteidigung des Kapitalismus mithilfe ihres 1957 erschienenen Opus magnum "Atlas Shrugged" zu reiben, liegen für ständige Besucher des Vorarlberger Landestheaters auf der Hand. Fiel der Blick zur Eröffnung der letzten Saison bei Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" auf die vielfältigen Mechanismen der Ausbeutung der Arbeiter, so stellt sich nun grob gesagt die Frage nach den Verhältnissen, die wirtschaftliche Entwicklungen ermöglichen, unterstützen oder hemmen. In den Streik treten bekanntermaßen jene Tycoons, die in der Lage waren, die Regulierungsmechanismen der Wirtschaft durch den Staat als korrupt zu entlarven. Das krasse Beispiel täuscht nicht darüber hinweg, dass die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Moral ein wesentlicher Faktor bleibt.

Angesichts des Einflusses von Ayn Rands Werk auf die konservative US-amerikanische Politik, die bei genauerer Analyse auch einer Vereinnahmung gleichkommt, ist es nicht verwunderlich, dass, wie Stephanie Gräve im Gespräch mit der APA schilderte, ein Vorfall den letzten Anstoß zur Entscheidung der Intendantin des Landestheaters gab. Vor eineinhalb Jahren nahm mit Sebastian Kurz ein ehemaliger österreichischer Bundeskanzler und Vorsitzender einer christlich-sozialen Partei einen Posten bei Peter Thiel, Techmilliardär und Unterstützer von Donald Trump an.

Davon hatte das Premierenpublikum, das die Uraufführung nach fast dreieinhalb Stunden heftig beklatschte, freilich keine Ahnung. Ausschlaggebend für den Erfolg einer Produktion bleibt eine zu Tage tretende Herangehensweise des Regisseurs an das 1.400 Seiten umfassende Werk der russisch-US-amerikanischen Autorin und Philosophin Ayn Rand (1905-1982), die das Widersprüchliche benennt, ohne zu Polarisieren oder gar zu Banalisieren.

Der Plot enthält kurze Dialoge, die mit dem raschen Szenenwechsel eines gut aufeinander eingespielten Teams einhergehen. Die Überhöhung von Niklas Ritter ist weit entfernt von jener Ästhetik, die Nicolas Stemann vor drei Jahren in Zürich bei der Umsetzung des Werks als Musical angewendet hat. Ritter nervt nicht mit den Überklugen, den Intriganten und Dummen. Man nimmt ihm trotz der wenigen Scheu vor einer Karikatur, der Nico Raschner als James Taggart nahe zu kommen hat, wenn er als Eisenbahnunternehmer zwar den Boss spielen will, aber nichts durchschaut, die Spielweise ab, die spannende Handlung und Erklärung zugleich ist. Schließlich gilt es auch auf die utopische Definition von Freiheit durch Ayn Rand zu verweisen. Die Autorin geht davon aus, dass es in uneingeschränkter Freiheit ausschließlich lautere Beweggründe sind, die die Menschen zum Handeln verleiten.

Für die zentrale Figur der Dagny Taggart, der Eisenbahnerbin, die nur nicht Chefin sein darf, weil die Gesetze ihr dies als Frau noch nicht ermöglichen, braucht Ritter eine Schauspielerin wie Vivienne Causemann, die mit hoher Kompetenz und enormer Entschlossenheit agiert, dabei aber keinerlei Vermessenheit spüren lässt. Die darf beim Stahlmagnaten Hank Rearden zumindest durchscheinen, bringt Raphael Rubino doch auch die weiche Komponente eines Charakters so ein, dass im Gesamteindruck von weiteren Figuren die eher schablonenhaft gezeichneten nicht überwiegen.

Der feministische Aspekt, unterstrichen durch die Mutation eines Multimillionärs zur spitzzüngigen Francisca d'Anconia (gespielt von Nanette Waidmann), eine vom Kitsch befreiten Liebesgeschichte, die den Rhythmus in Gang haltende Musik von Oliver Rath in einem unaufdringlichen Produktionsstättenbühnenbild von Annegret Riediger sowie die Anmaßung andeutenden Eisenbahnvideos komplettieren eine Produktion, die auch die Janusköpfigkeit einer Unternehmerelite benennt. Sie funktioniert, diese an sich nur völlig andere Kapitalismuskritik.

(S E R V I C E - https://landestheater.org/spielplan/detail/atlas-streikt/)

ribbon Zusammenfassung
  • Mit der Uraufführung von "Atlas streikt", einer Adaptierung des Romans "Atlas Shrugged" von Ayn Rand, widmet sich das Vorarlberger Landestheater einer Vordenkerin des unregulierten Kapitalismus.
  • Mit der Umsetzung bringt Regisseur Niklas Ritter seine ambivalente Haltung zum Text zum Ausdruck und forciert spannende wie feministische Aspekte.
  • Ritter nervt nicht mit den Überklugen, den Intriganten und Dummen.