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Außergewöhnliches Romandebüt: Schnacks "feuchtes holz"

Als Gattung für "feuchtes holz" hat Sophia Lunra Schnack den Roman gewählt, doch seitenweise fühlt man sich bei der Lektüre des über 300-seitigen Buches in einem umfangreichen Gedichtband. Dabei sind die Übergänge von Prosa und Lyrik und umgekehrt meist fließend. So entsteht eine Erinnerungslandschaft aus Orten, Personen und Geschichten. Neben Luca Kiesers "Weil da war etwas im Wasser" ist "feuchtes holz" das wohl außergewöhnlichste Debüt des rot-weiß-roten Literaturherbstes.

Die 1990 geborene und überwiegend in Wien lebende Autorin, die seit heuer einen Lyrikblog betreut, widmet sich ihrer Familiengeschichte, in die sich die beiden Weltkriege und die NS-Zeit tief eingeschrieben haben. Der Urgroßvater, der Großvater und dessen im Krieg gefallener Bruder sind fast ständig präsent, doch die Erinnerung wird weniger über Geschichten als über Gerüche, Gedanken und Gefühle getriggert. Wie hat es sich damals in der Kindheit angefühlt, beim Aufwachsen mit den Großeltern, an Quartettabenden auf der Veranda, an Regennachmittagen, an Badetagen am See, als ... ? Diese Fragen werden an ein Du gerichtet, das an den Kindheitsort im steirischen Salzkammergut zurückkehrt, wo vieles nicht mehr konkret fassbar ist. Die Fragen bleiben in der Luft hängen. Doch in der Luft liegt noch eine Ahnung von einst, die es aufzuspüren gilt.

"Das war absolut keine Entscheidung, keine rationale Wahl, die ich vor dem Schreiben getroffen hätte. Sobald ich im Schreibfluss drinnen war, hat sich diese Form regelrecht aufgedrängt", erklärt die Autorin in einem vom Verlag verbreiteten Interview ihre faszinierende Genre-Mischung. "Das Schwanken zwischen Lyrik und Prosa hat mir erlaubt, viel mit Tempo zu spielen, immer wieder das Gewicht auf einzelne Wörter, Bilder, Klänge zu legen, die sonst im Lesefluss vielleicht untergegangen wären. Für mich hat das Lyrische auch etwas Zeitloses, zumindest Zeitanhaltendes, während die Prosapassagen Zeit einbringen, inhaltlich vorwärtsstreben."

"willst zeit hinauszögern / nicht festzuhaltenden momenten / materialität verleihen sie / verdoppeln / real machen im / schreiben / damit dein sein sich anpasst / an das halten / um zu schreiben / an das schreiben / um zu halten", liest sich das etwa im Buch, in dem sich immer wieder die Zeitebenen übereinander legen. "gehst noch nicht vorbei an den stauden / am kahlen nussbaum / der mit der kastanie als einziger baum / den großvater / überlebt // du hebst es / schiebst es auf / damit innere filme / dich nicht erschlagen". Erschlagen könnten einen auch rutschende Bäume bei Transporten über steile Wege, bei denen 80 Jahre zuvor sowjetische Soldaten den Menschen auflauerten.

Nicht nur zwischen einst und heute wird ständig gewechselt, es ist auch "ein Hin-und-her zwischen Idylle und Täterschaft", das den Rhythmus bestimmt. Die jüdische Bevölkerung der Gegend wird vertrieben, der Urgroßvater, wiewohl Nationalsozialist, lehnt die Übernahme eines arisierten Hofes ab, wird aber nach Kriegsende von den US-Behörden verhaftet und mit schweren Vorwürfen konfrontiert. In der Haft mit ungewissem Ausgang (unter ihm befinden sich die Todeszellen) schreibt er seine Erinnerungen. Auch die 93-jährige Großmutter hat einst ein Heft angelegt, in dem sie jeden einzelnen Raum des alten Hauses genau beschrieben hat. Schriftlichkeit ist also doch ein wichtiger Faktor bei der Familienüberlieferung, denn "'das Unterbewusstsein ist ein Hund', sagt immer wieder die Großmutter. Und tatsächlich ist es, als wären wir jetzt hinter den gefallenen Bruder gesetzt."

Sophia Lunra Schnack hat sich mit ihrem Buch einem Thema gestellt, das in den vergangenen Jahren viele österreichische Autorinnen und Autoren der jüngeren Generation beschäftigt hat: Wie bewahrt man Erinnerung? Wie gelingt es, langjähriges Schweigen zu durchbrechen, wenn immer weniger da sind, mit denen man reden kann? Inhaltlich hat sie dem kaum etwas hinzuzufügen, doch formal ist "feuchtes holz" einer der interessantesten Versuche, einen Teppich zu weben aus "unverwobenen fäden / die sich um unsere knochen / legen / dass sie aus eurem schweigen / auf uns drücken".

(S E R V I C E - Sophia Lunra Schnack: "feuchtes holz", Otto Müller Verlag, 320 Seiten, 26 Euro; https://www.sophialunraschnack.com/)

Zusammenfassung
  • Als Gattung für "feuchtes holz" hat Sophia Lunra Schnack den Roman gewählt, doch seitenweise fühlt man sich bei der Lektüre des über 300-seitigen Buches in einem umfangreichen Gedichtband.
  • Neben Luca Kiesers "Weil da war etwas im Wasser" ist "feuchtes holz" das wohl außergewöhnlichste Debüt des rot-weiß-roten Literaturherbstes.
  • Die Fragen bleiben in der Luft hängen.
  • Doch in der Luft liegt noch eine Ahnung von einst, die es aufzuspüren gilt.