Apfl macht digitalen Journalismus für TikTok und Co.
Doch nicht nur die Zugriffszahlen der meist jungen Nutzerinnen und Nutzer auf die derzeit acht Kanäle bestätigen Apfl in seinem Konzept: Vergangene Woche hat das Format "gemmalehre" den Deutschen Preis für Online-Kommunikation in der Kategorie "Disruptive Communications" gewonnen. Dabei handelt es sich um eine Kooperation mit dem "waff", in deren Rahmen ein junges Moderatorenduo in Interviews, Betriebsbesuchen und Selbsttests "Vorurteilen zum Thema Lehre aus dem Weg räumt", wie es in der Beschreibung des Kanals, der fast 30.000 Abonnenten anzieht, heißt.
"Die Idee hinter Hashtag war, etwas zu schaffen, das es noch nicht gibt, aber unbedingt notwendig ist: einen Inkubator für neuen digitalen Journalismus für Social Media", erinnert sich der ehemalige "Datum"-Chefredakteur. "Das gab es damals noch nicht, und wir hatten die Einschätzung, dass gerade ein Markt entsteht und die Nachfrage bei 12- bis 35-Jährigen enorm ist." Das bestätige auch der jüngst veröffentlichte "Digital News-Report", wonach 42 Prozent der 25- bis 34-Jährigen und sogar 50 Prozent der 18- bis 24-Jährigen sich nur mehr über Social Media informieren.
Mit einer Anschubfinanzierung der Wirtschaftsagentur wurde "hashtag" Anfang 2021 gegründet, im Sommer gingen die ersten Formate online. Dabei setzt der Verlag auf Diversifizierung bei der Monetarisierung, wie Apfl erläutert. "Die Priorität war, sich nicht von öffentlichen Förderungen abhängig zu machen, die derzeit lediglich 15 Prozent des Gesamtumsatzes betragen." Das erste Geschäftsjahr konnte bereits positiv abgeschlossen werden. Die Kanäle finanzieren sich dabei quer. So gibt es Formate, die von "hashtag" auf eigenes Risiko produziert werden und oft im Laufe der Zeit Anfragen für Kooperationen generieren; auf der anderen Seite stehen gemeinsam entwickelte Kooperationen wie eben mit dem "waff".
"Die Nachfrage nach Medienformaten auf TikTok ist groß, das Angebot minimal", weiß Apfl. Als Grund vermutet er, dass nur wenige Medienunternehmen den Einstieg in TikTok und Co. wagen wollen, da die Erlösmodelle noch fehlen. "Es gibt in Österreich eine Zurückhaltung bei Investitionen in Innovation. Und, was dazu kommt: In Österreich machen ältere Leute Journalismus für ältere Leute."
Eine Kooperation mit der öffentlichen Hand ist das wissenschaftliche Format "FAQorona", eine Informations- und Impfkampagne der Stadt Wien. "Das ist in der Form zugänglich, laut, bunt und pointiert. Aber der Inhalt unterscheidet sich nicht von Wissenschaftsjournalismus in einer Tageszeitung, den aber kaum jemand unter 50 liest." Auch mit einem großen Wiener Museum steht eine Kooperation an, Auslöser war das Format "geschichte.oida", das im Zuge eines Lehrauftrags für Digitalen Journalismus an der FH Joanneum in Graz entstand.
"Wir sind hier auch ein Inkubator für junge journalistische Influencer", so Apfl über sein Team von acht fix Angestellten und noch mehr Freelancern. Derzeit befinde sich die Branche in einer dritten Welle des Online-Journalismus. Während Zeitungen in den Nuller-Jahren Websites entwickelten, "auf denen sie ihre Inhalte mangels Geschäftsmodell hergeschenkt haben", folgte in den Zehner-Jahren das Posten von Content auf Social Media. "Nun sind wir in der dritten Welle, in der man journalistische Inhalte direkt für die digitalen Plattformen formatiert", so Apfl.
"move fast and build things." steht auf Apfls Website, die auf www.hashtag.jetzt verweist. Ein Motto, das der Journalist sichtbar lebt: "Unsere Entwicklungszyklen sind sehr schnell, wir sprechen von Quartals-Staffeln. Wir lernen über Probieren und Scheitern." Manchmal überwiege das Scheitern. "Die Veränderung ist die einzige Konstante. Journalismus muss in seinem Selbstverständnis und seinen Formen in Bewegung bleiben."
"Hashtag" ist aber nicht nur auf TikTok und Instagram unterwegs, sondern auch auf YouTube. "Das ist mittlerweile die zweitgrößte Suchmaschine der Welt, hier muss man präsent sein", ist er überzeugt. "Aber es ist auf YouTube viel schwieriger, Reichweite zu bekommen. Da braucht es oft eine mehrjährige Phase mit regelmäßigem Angebot, bevor der Durchbruch kommt." Die "hashtag"-Angebote auf dem Kanal unterscheiden sich nicht nur in der Länge, sondern auch der Qualität stark von TikTok. "politik:oida" etwa hat eine 42-minütige Doku über den "Türkisen Weg" im Portfolio - aufwendig produziert. Und die nächste Folge steht schon in den Startlöchern: Am heutigen Freitag erscheint der Trailer für "Wunderbare Schwurbler - Die Wahrheit über die MFG".
Dass Userinnen und User früher oder später auch für Inhalte zahlen, hält Apfl für durchaus realistisch, derzeit bleibt es für ihn jedoch ein "Spielbein": "Das ist Zukunftsmusik, aber ich kann sie schon hören." Ab Herbst geht "hashtag" mit einem ganz neuen Format in den Ring: "Es soll eine tägliche journalistische Live-Talkshow auf TikTok werden", verrät er. "Da gehen wir voll ins Risiko", einen Kooperationspartner gebe es derzeit nicht. Der Verlag selbst hat übrigens keinen TikTok-Kanal, vielmehr steht jedes Format für sich. "In der Branche, in der wir unterwegs sind, geht es nicht mehr um Medienmarken, sondern um personalisierte, journalistische Digitalformate. Die sollen unsere Zielgruppen kennen. Aber Transparenz ist alles in dieser Welt. Wer wissen will, wer dahinter steckt, findet uns."
Und wofür steht "hashtag" zwischen "politik:oida" und "gemmalehre"? Apfl beantwortet es mit einem Zitat, das er auch gerne auf Podiumsdiskussionen verwendet: "Wir bieten Fakten als Alternative zu alternativen Fakten, wo es kaum jemand anderer tut - mit einem journalistischen Ethos."
(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - Link zum Trailer der Doku "Wunderbare Schwurbler - Die Wahrheit über die MFG": https://youtu.be/C_m1NQO-LC8, Überblick über alle Produktionen unter www.hashtag.jetzt)
Zusammenfassung
- Sie heißen "geschichte.oida", "gemmalehre" oder "FAQorona" - journalistische TikTok-Kanäle, die im vergangenen Jahr 90 Millionen Views generiert haben.
- Sie alle kommen vom Wiener Digitalverlag "hashtag", den der Journalist Stefan Apfl gemeinsam mit seinen Partnern im Vorjahr gestartet hat.
- "Nun sind wir in der dritten Welle, in der man journalistische Inhalte direkt für die digitalen Plattformen formatiert", so Apfl.