Anna Netrebko bei Scala-Eröffnung überwiegend gefeiert
Einen langen Applaus erntete Anna Netrebko als Donna Leonora am Ende der bewegenden Arie "Madre madre". Lediglich einige Buhrufe ertönten in Richtung der Starsängerin am Ende der Aufführung, die laut Scala-Intendant Dominique Meyer jedoch politisch gefärbt gewesen seien. "Anna Netrebko auszubuhen, weil sie Russin ist, ist lächerlich. Netrebko ist sehr stark und lässt sich davon nicht befinden. Es gibt nicht in jeder Generation eine Sopranistin wie Netrebko. Wenn wir schon das Glück haben, sie hier bei uns zu haben, müssen wir ihr applaudieren", erklärte Meyer.
Netrebko selber ignorierte den Vorfall. "Es gab keine Buhrufe. Ich war anfangs etwas nervös, aber wir haben hart für diese Premiere gearbeitet. Jetzt bin ich glücklich, die Scala ist ein ganz besonderes Theater für Opernsänger. Es ist immer eine große Ehre, hier zu singen und dies nicht nur bei der Premiere am 7. Dezember", betonte die 54-jährige Wahlösterreicherin.
Opernkritiker sparten nicht mit Elogen auf Netrebko. "Hohes Lob für Anna Netrebko. Sie hat stark abgenommen, aber ihre Stimme ist so weich, sanft und seidig wie immer", kommentierte der Opernexperte der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera", Enrico Girardi. "Netrebko ist ein Schönheitsmagnet, und nicht nur was die Stimme betrifft", lobte die römische Tageszeitung "La Repubblica". "Die göttliche Netrebko übersteht voll die Prüfung der dunkelsten und dramatischsten aller Verdi-Opern", so "La Stampa".
Weniger begeistert fielen die Kritiken für US-Tenor Brian Jagde in der Rolle des Alvaro aus. "Er hat zwar ausgezeichnete Eigenschaften, aber sein Stil muss noch verfeinert werden", kommentierte "Corriere della Sera". Der 44-Jährige hatte vor einigen Wochen Jonas Kaufmann ersetzt, der aus familiären Gründe auf die Rolle verzichtet hatte. Rückendeckung erhielt Jagde von Opernlegende Jose Carreras, der der Premiere in Mailand beiwohnte. "Brian Jagde hat sehr gut gesungen. Die Rolle des Alvaro ist nobel aber hart. Dieser Tenor hatte viel Druck auf sich, weil er einen Star wie Kaufmann ersetzt", erklärte Carreras laut Medienangaben.
Gefeiert wurden Scala-Musikdirektor Riccardo Chailly, der zum elften Mal in Folge eine Scala-Premiere eröffnete, und Regisseur Leo Muscato. "Riccardo Chailly steuert das Kunststück vom Podium aus mit Elan und Strenge, Leo Muscato zeichnet eine ereignisreiche und kolossale Regie", kommentierte "La Repubblica".
"Der heutige Abend ist ein Fest und eine große Opernaufführung, die wir dem Weltfrieden widmen", sagte Scala-Intendant Dominique Meyer. Für den ehemaligen Direktor der Wiener Staatsoper war es die letzte Premiere, denn seine Amtszeit endet am 28. Februar. Er übernimmt die Leitung des Orchestre de Chambre von Lausanne.
Viele Prominente aus Kultur, Politik und Finanz waren unter den Zuschauern in der Scala, darunter Kulturminister Gennaro Sangiuliano, die spanischen Sängerlegenden Placido Domingo und Jose Carreras, sowie der italienische Ballettstar Roberto Bolle. Weder die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni noch Staatspräsident Sergio Mattarella waren jedoch anwesend, da sie an der Zeremonie zur Wiedereröffnung von Notre Dame in Paris teilnahmen.
Die Saisoneröffnung wurde von Demonstrationen begleitet. Aus Protest gegen die Regierung von Ministerpräsidentin Meloni schütteten Demonstranten Dünger auf den roten Teppich vor dem Eingang des Theaters. Pro-palästinensische Aktivisten zündeten rote Rauchbomben an. Böller explodierten unweit des Theatereingangs. "Stoppt den Völkermord in Gaza!", war auf einigen Transparenten zu lesen. Ukrainische Staatsbürger protestierten gegen die Anwesenheit Netrebkos. Schärfste Sicherheitsvorkehrungen wurden rund um das Theater im Mailänder Stadtzentrum ergriffen.
Die Scala feiert traditionsgemäß am 7. Dezember, dem Tag des Heiligen Ambrosius, dem Schutzpatron der Stadt Mailand, den Beginn der neuen Saison. Die bis zu 3.000 Euro teuren Karten für die Aufführung waren in wenigen Stunden ausverkauft. Die Scala-Premiere am Samstag wurde der vor 20 Jahren verstorbenen Sopranistin Renata Tebaldi gewidmet. Tebaldi galt als eine der größten Sopranistinnen der Nachkriegszeit. Als "Engelsstimme" rühmte Arturo Toscanini die Italienerin.
Zusammenfassung
- Anna Netrebko wurde bei der Saisoneröffnung der Mailänder Scala mit zwölf Minuten Applaus und Standing Ovations gefeiert, erhielt jedoch auch einige politisch motivierte Buhrufe.
- Die Veranstaltung wurde von Demonstrationen begleitet, bei denen unter anderem gegen die italienische Regierung und die Anwesenheit Netrebkos protestiert wurde.
- Scala-Musikdirektor Riccardo Chailly und Regisseur Leo Muscato erhielten für ihre Arbeit positive Kritiken, während die Premiere der verstorbenen Sopranistin Renata Tebaldi gewidmet war.