Wie gefährlich ist TikTok für Jugendliche?
Jede:r TikTok-Nutzer:in kennt es: Man scrollt durch den "Für dich"-Feed, schaut sich ein Video länger an, drückt bei manchen auch auf "Gefällt mir". Plötzlich tauchen immer wieder ähnliche Videos auf.
Algorithmus: Problematische Wirkung
Möglich macht das der TikToks Algorithmus, der darauf programmiert ist, zu erkennen, welche Inhalte den Nutzer:innen vermeintlich gefallen und ihm dann weitere ähnliche Videos vorschlägt. Was bei lustigen Clips, süßen Katzenvideos und kreativen Inhalten ganz hilfreich sein könnte, hat für manche Nutzer:innen eine problematische Wirkung.
Gerade dann, wenn es sich bei den vorgeschlagenen Videos um gefährliche, negative und deprimierende Inhalte handelt, beispielsweise Videos zu Selbstverletzung oder riskanten Challenges.
"In negative Szenarios hineingezogen"
Vor allem für Kinder und Jugendliche können solche Inhalte negative Einflüsse haben, zumal genau sie die größte Nutzergruppe der Plattform sind.
Werde man ständig mit negativen Inhalten im Internet konfrontiert, löse dies "bei einigen Kindern und Jugendlichen große Unsicherheit und Angst aus, auch die eigene Zukunft betreffend", erklärt Birgit Satke von "Rat auf Draht" gegenüber PULS 24.
"Man wird ein Stück weit in diese negativen Szenarios hineingezogen", so die Leiterin der Notrufnummer 147 - das löse bei manchen eine depressive Stimmung, bei anderen auch Wut oder Ohnmacht und Hilflosigkeit aus. Andere würden wiederum "sehr verstört" auf derartige Inhalte reagieren. Laut Satke können auch ein verzerrtes Körperbild, eine falsche Selbstwahrnehmung, unrealistische Schönheitsvorstellungen oder Schlafprobleme mögliche Auswirkungen sein.
Wie stark Kinder und Jugendliche von diesen Inhalten beeinflusst werden, hänge zudem auch von ihrer individuellen Situation und Gefühlslage ab, betont Satke.
Es ist eine Abwärtsspirale, die mit einem einzigen Video beginnt.
Psychische Probleme wurden "verstärkt"
Haben Kinder und jugendliche Nutzer:innen jedoch bereits bestehende psychische Probleme, könne die Funktionsweise von TikTok - nämlich die durch Algorithmen angezeigten Empfehlungen – sie "ernsten Gefahren aussetzen", belegt eine Untersuchung von Amnesty International, dem Algorithmic Transparency Institute (ATI) und der National Conference on Citizenship and AI Forensics.
-
Mehr lesen: TikTok wendet EU-Strafe vorerst ab
Die Recherche, für die über 30 automatisiere Konten von vermeintlich 13-Jährigen eingerichtet wurden, zeigte, wie die Plattform "psychische Probleme wie Depressionen, Angstzustände und Selbstverletzung noch weiter verstärkt". Bei der Untersuchung bestand der "Für dich"-Feed nach 5-6 Stunden fast zur Hälfte aus Videos über psychische Gesundheit, "die potenziell schädliche Inhalte aufwiesen".
Klickten die Nutzer:innen auf die Videos und sahen sie sich an, trat der Effekt laut der Recherche noch schneller ein. So bestand der "Für dich"-Feed nach bereits drei bis 20 Minuten zu mehr als der Hälfte aus Videos über psychische Probleme. Innerhalb einer Stunde seien zahlreiche Videos angezeigt worden, die "Suizid normalisieren oder romantisieren", betont Amnesty International.
Abwärtsspirale beginnt mit einem Video
Das demonstrieren auch einige Beispiele aus der Recherche.
"Es ist eine Abwärtsspirale, die mit einem einzigen Video beginnt", beschreibt ein mit einer bipolaren Störung diagnostizierter 21-Jähriger. "Wenn ein Video deine Aufmerksamkeit erhascht, selbst wenn es dir nicht gefällt, wird es dir beim nächsten Öffnen von TikTok angezeigt, und weil es dir bekannt vorkommt, schaust du es dir erneut an, wodurch die Häufigkeit des Videos in deinem Feed exponentiell ansteigt".
Ein 18-jähriger Schüler meinte gegenüber Amnesty International: "Wenn ich ein trauriges Video anschaue, mit dem ich mich identifizieren kann, dann ist auf einmal mein gesamter 'Für dich'-Feed traurig und ich lande in 'SadTok'. Das wirkt sich auf meine Gefühlswelt aus."
Ein weiterer Teilnehmer der Fokusgruppe erklärte, wie vor allem Videos, "in denen jemand krank ist oder sich selbst diagnostiziert", seine "Gedankenspirale (noch) weiter ankurbeln. "Das wirkt sich auf meine psychische Verfassung aus. Ich habe das Gefühl, dieselben Symptome zu haben, und meine Ängste werden schlimmer. Und ich suche sie [die Videos] nicht einmal bewusst, sie erscheinen einfach in meinem Feed."
Video: Wie gefährlich ist TikTok für Jugendliche?
Geschäftsmodell setzt Jugendliche "ernsthaften Gesundheitsrisiken" aus
Die Recherche von Amnesty International zeige, "dass TikTok Jugendliche ernsthaften Gesundheitsrisiken aussetzt, wenn es sein derzeitiges Geschäftsmodell beibehält", betont Lisa Dittmer, Researcherin bei Amnesty International. Dieses sei "mehr darauf ausgerichtet ist, die Augen auf der Plattform zu halten, als das Recht auf Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu respektieren", so Dittmer.
TikTok selbst stellt in seinen Guidelines klar: Die Sicherheit minderjähriger Nutzer:innen habe "Priorität". Man erlaube keine Inhalte, "die Minderjährige dem Risiko der Ausbeutung oder psychischen, physischen oder entwicklungsbedingten Schäden aussetzen könnten".
Eine PULS 24-Anfrage an TikTok zu den Vorwürfen blieb jedoch unbeantwortet.
Video: Wie unsicher ist TikTok?
Zusammenfassung
- Lebensgefährliche Challenges, Selbstdiagnose-Clips und Videos, die Selbstverletzung und Suizid normalisieren.
- Studien belegen: Die Plattform TikTok setzt minderjährige Nutzer:innen "schädlichen Inhalten aus".
- Welchen Einfluss hat das auf die Nutzer:innen selbst?
- Und was tut TikTok dagegen?