Wenig Grüngleise in Wien: Blaulichtorganisationen blockieren
In Wien wurde das erste Grüngleis 1988 in der Wolkersbergenstraße in Hietzing errichtet. 37 Jahre später hält Wien bei 9,9 Kilometern Grüngleisen - bei einer Gesamtgleislänge von 342 Kilometern Hauptgleisen. An Thomas Hammer liegt es nicht. "Als ich vor zehn Jahren zu den Wiener Linien gekommen bin, war das kaum ein Thema", erzählt der TU-Absolvent, der sich seit damals für mehr Grün engagiert und heute Fachbereichsleiter für Planung und Gleisinspektion ist, im Gespräch mit der APA. "Damals war es mangelndes Bewusstsein, aber auch eine Geldfrage." Heute herrscht an den positiven Effekten kein Zweifel: Die Pflanzen binden Staub und Kohlenstoff, der entsiegelte Boden fungiert als Wasserspeicher und damit als wichtiger Puffer bei Starkregen. Der sommerliche Kühlungseffekt ist nicht zu unterschätzen, das Mikroklima wird ebenso beeinflusst wie die Lärmentwicklung. Auch das Erscheinungsbild wird positiv beurteilt.
Weil es nicht viel kosten darf, hat der Experte im vergangenen Jahrzehnt versucht, im Verhältnis zu herkömmlichen Gleisen kostenneutrale Varianten zu entwickeln. Doch erst beim routinemäßigen Austausch der Gleise (bei Geraden rechnet man mit durchschnittlich 40-jähriger Lebensdauer, bei Bögen die Hälfte) darf der Einsatz von Grüngleisen geprüft werden. "Wir bekommen diesbezüglich jede Woche mindestens eine Anfrage auch aus den Bezirken - und zwar von allen Fraktionen." Zuletzt war es etwa der Alsergrund, der bei einer Gleiserneuerung der Linie D im Bereich des Schlickplatzes, aber auch bei der Neugestaltung der Universitätsstraße gerne begrünte Gleise bekommen hätte. Zum Einsatz kamen wieder nur Betonplatten. Warum?
"Häufig scheitert es am Nein der Blaulichtorganisationen", berichtet Hammer. Im Standard-Prüfungsprozedere dürfen diese bekanntgeben, ob der Gleiskörper für Notfalleinsätze befahrbar bleiben muss. Auch als Feuerwehr-Aufstellfläche oder als Zufahrt für Lieferanten und Müllabfuhr darf das Gleis nicht benötigt werden. Im Fall der Universitätsstraße werde der Gleiskörper zudem nicht nur für den Nachtbus, sondern auch als Zufahrt für zwei private Garagen beansprucht, so der Experte.
Kategorisierung des Schienennetzes gestartet
Hammer ist mit seinem Team nun daran gegangen, das gesamte Schienennetz der Wiener Linien in vier Kategorien einzuteilen. Dann soll sofort ersichtlich sein, welche Abschnitte quasi anstandslos ausgetauscht werden könnten, bei welchen dies mit kleinen Eingriffen möglich wäre und wo dies mit größeren baulichen und organisatorischen Maßnahmen (etwa dem Entfall von Parkplätzen) verbunden wäre. Kategorie vier bedeutet: gar nicht möglich.
"Gar nichts geht nicht", lautete unlängst die Devise beim Umbau der Wiedner Hauptstraße, wo von einem ambitionierten Plan nur dank engagiertem Einsatz des Bezirks lediglich knapp 100 Meter Grüngleis übriggeblieben sind, die sich derzeit freilich eher armselig präsentieren. Zum Einsatz kam hier ein mit dem bodendeckenden Dickpflanzengewächs Sedum bepflanztes, aus recyceltem Plastik bestehendes Rasengitter, welches eine Notbefahrung zulässt, unter dem eine Standard-Gleistragplatte liegt. Entsiegelung ist anders, für Hammer ist diese Lösung jedoch "ein guter Kompromiss".
Wenn die Bim über die Wiese fährt ...
Grüngleis ist nicht gleich Grüngleis. Während man von den perforierten Beton-Lochplatten, wie sie etwa auf ca. 1,8 Kilometer Gesamtlänge auf der Simmeringer Hauptstraße verlegt wurden, mittlerweile wieder abgekommen ist, ist der hochliegende Rasen, wie er bei der D-Wagen-Verlängerung im Helmut-Zilk-Park in Favoriten aufgebracht wurde, die Königsklasse der Rasengleise: Sie werden so sehr als Wiese wahrgenommen, dass in der Folge Zäune angebracht werden mussten, um die Gleistrasse aus Sicherheitsgründen optisch hervorzuheben. Tiefliegender Rasen, bei dem die Schienen deutlicher hervortreten, macht rund ein Fünftel der Grüngleise in Wien aus.
Während man derzeit bei den neuen Straßenbahnlinien 12 und 27 und der Verlängerung der Linie 18 überall wenigstens abschnittweise Grüngleise verlegt (rund 1,1 von 7,7 Kilometer Neubaustrecke), werden heuer im Rahmen der derzeit laufenden Gleisbauinitiative, bei der der Austausch alter Gleisanlagen forciert vorangetrieben wird, nur ca. 300 Meter Gleis im Bereich Margaretengürtel / Wienzeile begrünt. Oder, wie es Thomas Hammer ausdrückt: "Mühsam nährt sich das Eichhörnchen."
Opferung von Parkplätzen und Fahrspuren nötig
Dass Wien nicht so schnell Brüssel, Bordeaux oder Stuttgart wird, wo die Grün-Welle beim Straßenbahnbau das Straßenbild in manchen Teilen deutlich zum Positiven verändert hat, liege auch an den großteils engen Wiener Straßen, so der Experte. "Der große Unterschied ist, dass Sie in anderen Städten oft mehr Platz haben. Während sich in Wien andere Probleme wie die Schneeräumung oder die starke Salzstreuung im Winter allmählich von selbst erledigen, stößt man beim Platzbedarf häufig rasch an seine Grenzen. Die Frage wird sein, wie weit man bereit ist, für Umgestaltungen auf Grüngleise und damit verbundene seitliche Verlegungen der Fahrbahnen auch Parkplätze und Fahrspuren zu opfern. Das wäre der Schlüssel zum Erfolg."
Zusammenfassung
- Wien verfügt derzeit über 9,9 Kilometer Grüngleise bei einer Gesamtgleislänge von 342 Kilometern, was auf ein geringes Niveau hinweist.
- Grüngleise bieten ökologische Vorteile wie Staubbindung und Kühlung, werden jedoch oft von Blaulichtorganisationen blockiert.
- Das Schienennetz wird in vier Kategorien eingeteilt, um die Umsetzbarkeit von Grüngleisen zu bewerten.
- Der Platzmangel in Wien erschwert die Umsetzung von Grüngleisen, da dies die Opferung von Parkplätzen und Fahrspuren erfordert.
- Neue Straßenbahnprojekte beinhalten abschnittsweise Grüngleise, jedoch sind nur 300 Meter im Bereich Margaretengürtel / Wienzeile geplant.