Grob fahrlässige Tötung
Baby nach Hausgeburt tot: Hebamme zu 15 Monaten Haft verurteilt
Der Richter ging von mehreren Sorgfaltsverstößen aus. "Sie haben ein Verhalten gesetzt, das man so nicht setzen hätte dürfen", bescheinigte er der 42-Jährigen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Hebamme erbat Bedenkzeit, der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Angeklagte für den Tod eines Mädchens verantwortlich gesehen, das im September 2023 fünf Tage nach der Geburt in einem Wiener Spital gestorben war. Die Angeklagte habe im Rahmen einer Hausgeburt "die gebotene Handlungspflicht" außer Acht gelassen und dadurch den Tod des Babys bewirkt, hieß es im Strafantrag. Der Richter kam nach dem durchgeführten Beweisverfahren zum selben Ergebnis.
"Ich billige Ihnen zu, dass Sie nicht in böser Absicht gehandelt haben", meinte er in der Urteilsbegründung zur Hebamme. Diese hätte "das Wohl der Mutter" im Auge gehabt. Dessen ungeachtet sei der Verzicht auf eine Kardiotokographie (CTG) der 42-Jährigen in strafrechtlicher Hinsicht vorzuwerfen. Außerdem sei "die Verlegung ins Spital zu spät erfolgt", bemängelte der Richter.
Angeklagte war nicht geständig
Die Angeklagte hatte jegliches ihr unterstellte Fehlverhalten zurückgewiesen. "Für mich war die Frau keine Hochrisikopatientin", betonte sie. Ein Kaiserschnitt bei einer vorangegangenen ersten Geburt und das Alter der werdenden Mutter - diese war zum Zeitpunkt der Schwangerschaft 38 Jahre alt - waren für die Hebamme "kein Grund, dass man das (eine Hausgeburt, Anm.) nicht macht" bzw. "nicht relevant". Die Frau sei "nicht am Limit ihrer Energie" gewesen.
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Die werdende Mutter war im März 2023 an die Hebamme herangetreten, die seit Oktober 2007 ihren Beruf ausübt, seit 2008 Hausgeburten betreut und seither rund 500 derartige Geburtsvorgänge durchgeführt hat. Bezogen auf den konkreten Fall betonte die Angeklagte, die in ihrer Einvernahme mehrfach auf ihre an einer Fachhochschule zum Thema Hausgeburt abgelegte Masterarbeit verwies, die werdende Mutter sei in diese Thematik "gut eingelesen" gewesen: "Sie hat Studien und die Masterarbeit, die ich geschrieben habe, gekannt."
Im Strafantrag wurde der Hebamme angelastet, sich nicht an die Bestimmungen des Hebammengesetzes und entsprechende Richtlinien gehalten zu haben, als sie die Hausgeburt durchführte. Diese sei "weder planerisch noch durchführungstechnisch lege artis erfolgt". Vielmehr hätten Mediziner der Mutter von einer Hausgeburt abgeraten, da im konkreten Fall Risiken beim Geburtsvorgang erwartbar waren. Von dieser Expertise habe die Angeklagte gewusst und sei dessen ungeachtet von der beabsichtigten Hausgeburt nicht abgerückt, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
Bei der Geburt kam es dann tatsächlich zu Komplikationen. Die Hebamme alarmierte den Notarzt - aus Sicht der Anklagebehörde wurde allerdings "die Entscheidung zu einem Transport ins Krankenhaus zur ärztlichen Intervention weder zeit- noch sachgerecht getroffen." Das entbundene Kind sei infolge dessen an den Folgen eines Sauerstoffmangels während der Geburt gestorben.
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Ärzte hatten von Hausgeburt mit Nachdruck abgeraten
Die Ärzte hatten der Schwangeren mit Nachdruck von einer Hausgeburt abgeraten. Vor bzw. bei ihrer ersten Niederkunft im Jahr 2020 war Schwangerschaftsdiabetes aufgetreten, außerdem hatte es in Zusammenschau mit der Uterusstruktur und der Plazenta Probleme gegeben, was einen Kaiserschnitt nötig machte. Auf die Frage des Richters, ob sie dies nicht als "Warnsignal" verstanden habe, erwiderte die Angeklagte: "Die Krankenhäuser raten fast immer von Hausgeburten ab."
Die beigezogene Sachverständige für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Barbara Maier, bekräftigte bei der Erörterung ihres Gutachtens die von der Anklagebehörde erhobenen Anschuldigungen. Zwar habe die Hebamme ex ante eine Plazentainsuffizienz der Mutter nicht erkennen können. Es sei aber kein so genanntes Zucker-Screening durchgeführt worden, obwohl aus der ersten Schwangerschaft bekannt war, dass bei der Mutter Gestationsdiabetes aufgetreten war. Als sich während des Geburtsvorgangs abfallende Herztöne bemerkbar machten, habe die Angeklagte "viel zu lange das hausgeburtliche Setting toleriert", betonte Maier.
Gutachterin belastete Angeklagte
Nach Ansicht der Sachverständigen hätte die Hebamme die Gebärende schneller ins Spital transferieren müssen. Als diese um 13.45 Uhr Kontakt mit dem Krankenhaus aufnahm, dauerte es noch rund 45 Minuten, bis die Rettung dort mit der werdenden Mutter eintraf. Nach einer Zangengeburt, die sieben Minuten nach Einlangen im Spital durchgeführt wurde, musste das Neugeborene reanimiert und intubiert werden. Letzten Endes war das Baby nicht zu retten, es starb an einer Hypoxie, einer Minderversorgung des Körpers oder einzelner Körperabschnitte mit Sauerstoff.
Nach Ansicht der Gutachterin wäre das Ableben des Mädchen vermutlich zu verhindern gewesen, wäre es zu einer Entbindung binnen 20 Minuten ab Erkennen der "Notsituation" gekommen. Dass die Hebamme von einer Überwachung und Aufzeichnung der fetalen Herztätigkeit und der mütterlichen Wehentätigkeit - einer so genannten Kardiotokographie (CTG) - Abstand genommen hatte, kreidete ihr Maier ebenfalls als Versäumnis an.
Ein CTG reagiere auf eine Hypoxie "sehr gut", betonte Maier und meinte in Richtung der Angeklagten: "Sie haben mit Ihrer Überwachung das Problem nicht erkannt." "Ich bezweifle, dass ein CTG eine chronische Hypoxie erkennen kann", konterte die Hebamme, die vor Gericht äußerst selbstbewusst auftrat.
Hinsichtlich ihrer Herangehensweise an das Thema CTG meinte die Hebamme: "Wenn ich das Gefühl habe, ich brauch' ein CTG, ist die Frau nicht für eine Hausgeburt." Sie bestritt auch, zu spät auf die Notfallsituation reagiert zu haben: "In Summe war die Verlegung (ins Spital, Anm.) zügig."
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Mutter machte Hebamme keine Vorwürfe
Die Mutter des ums Leben gekommenen Babys betonte als Zeugin, sie mache der Angeklagten rückblickend keinen Vorwurf. "Mir war es wichtig, dass ich in meinem eigenen Tempo gebäre", betonte sie. Und weiter: "Geburt ist physisch. Das durfte ich bei meinem ersten Kind nicht erleben." Bei ihrer ersten Geburt in einem Spital hätten die Ärzte "sehr viel über meinen Kopf entschieden". Sie hätte "Angstmacherei" und "einen Kontrollverlust über meinen Körper" erlebt. Die Medikamente, die man ihr im Spital verabreichte, "haben auch meinem Kind zugesetzt", erläuterte sie.
Aus all diesen Gründen sei für sie bei der zweiten Schwangerschaft nur eine Hausgeburt in Frage gekommen. Ihr sei wichtig gewesen, "dass ich in meinem eigenen Tempo gebäre", betonte die Zeugin. Das habe sie dann auch erfahren: "Ich war in Arbeit den ganzen Tag. Das ging stetig voran." Als ihre Kräfte nachließen und die Herztöne ihrer Tochter schlechter wurden, habe die Hebamme sie ins Spital verlegt: "Wir sind gemütlich in den OP gefahren."
Vor der Urteilsverkündung verteilte eine Vertraute der Mutter an die anwesenden Medienschaffenden ein schriftliches Statement der Mutter. "Sie (die Hebamme, Anm.) trägt keine Schuld am Tod unserer Tochter. Ich würde mir wünschen, dass dieses Verfahren eingestellt wird und mir und meiner Familie der Raum zur Trauer und Verarbeitung unseres Schicksals gegeben wird", hieß es in der Erklärung. Fünf Tage nach der Geburt ihrer Tochter sei klar gewesen, "dass ihr Hirn nicht genügend Aktivitäten zeigte für ein eigenständiges Leben ohne Maschinen. Wir ließen unsere Tochter gehen. Wir sind unendlich traurig über diesen Verlust."
Eine Reaktion auf das erstinstanzliche, nicht rechtskräftige Urteil kam vom Österreichischen Hebammengremium (ÖHG), der Kammer der österreichischen Hebammen. Es werde zu prüfen sein, ob bei der Frau im Hinblick auf die erfolgte Verurteilung die Voraussetzungen für die Berufsausübung weiterhin gegeben sind, hieß es in einer Aussendung. Die Magistratsabteilung 40 in Wien habe als zuständige Behörde bereits ein Verfahren zur vorläufigen Untersagung der Berufsausübung eingeleitet.
Dieses sei im Hinblick auf die Erklärung der Hebamme, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens keine Hausgeburten nach Kaiserschnitt mehr zu begleiten, bisher nicht weitergeführt worden. "Für die definitive Entscheidung über den Weiterbestand der Berufsberechtigung ist das ÖHG zuständig, das eine Bewertung des Sachverhalts nach Vorliegen des rechtskräftigen Urteils zu tätigen hat", betonte das Österreichische Hebammengremium.
Zusammenfassung
- Eine Hebamme ist Montagmittag am Wiener Landesgericht wegen grob fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit einer von ihr betreuten Hausgeburt zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt worden.
- Der Richter ging von mehreren Sorgfaltsverstößen aus. "Sie haben ein Verhalten gesetzt, das man so nicht setzen hätte dürfen", bescheinigte er der 42-Jährigen.
- Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
- Die Hebamme erbat Bedenkzeit, der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel.