Liebt Nepal seine Elefanten nicht?
Wenn Elefantenbabys zwischen zwei und vier Jahren alt sind, werden sie von ihren Müttern "isoliert". In dieser Zeit bekommen sie weder Futter noch Wasser, sie werden mit Seilen an Holzpflöcken festgebunden, beide Vorderbeine werden gefesselt.
Dann wird den jungen Elefanten ein Seil um den Hals gebunden – zwei ausgewachsene Elefanten ziehen das Baby, während der Trainer auf ihm reitet. So sollen dem Baby Befehle, wie links oder rechts zu gehen, beigebracht werden.
Am Abend wird neben dem Elefanten dann ein Feuer entzündet, um es weniger schreckhaft zu machen. Gleichzeitig wird es bei einer "Massage" leicht verletzt, um die Haut weniger sensibel zu machen.
Nachdem dieses "milde Training" beendet wurde, werden die Elefantenbabys auf Highways und in die Dörfer gebracht, um sie an andere Tiere und Fahrzeuge zu gewöhnen.
So werden gefangene Elefanten im "Elephant Breeding Center" im Chitwan Nationalpark im Süden Nepals trainiert, wie es überraschend ehrlich im dazugehörigen Museum beschrieben wird. Präsentiert werden auch die "Werkzeuge", die dabei verwendet werden: Dazu gehören etwa Haken und spitze Metall-Stangen.
Stundenlang die gleichen Bewegungen
In dem staatlichen Zentrum, auf das Nepal stolz ist und in das fast jeder Tourist bei Führungen gebracht wird, werden Elefanten für die Nationalpark-Ranger und das Militär gezüchtet. Zucht bedeutet hier aber, dass die Elefantenkühe gefesselt sind und sich nicht wehren können, wenn die seltenen wildlebenden Bullen aus dem nahen Nationalpark kommen, um sich mit ihnen fortzupflanzen.
Sie wippen vor und zurück, schaukeln ihre Rüssel. Immer wieder machen sie die gleichen Bewegungen. Stundenlang. Einige weisen Verletzungen hinter den Ohren auf – sie haben ihren Trainern, den "Mahuts", wohl nicht gehorcht.
Und dabei geht es diesen Elefanten, die in staatlicher Obhut sind, vergleichsweise sogar noch gut, sagt Floriane Blot. Die Tierpflegerin arbeitete einst in mehreren Zoos in Frankreich und gründete 2018 in Nepal die NGO "Stand Up for Elephants" (SU4E).
Noch schlimmer dran seien jene Elefanten, die von privaten Hoteliers gehalten werden. Diese Elefanten kennen keine Freizeit. Auf ihren Rücken tragen sie kleine Häuschen, die mit Touristen vollgepackt werden. Die Tiere werden teils in Hinterhöfen gehalten. Spaziert man aus dem Dorf Sauraha, einem der Tourismusorte am Chitwan-Nationalpark, hinaus, sieht man sie hin und wieder in Hinterhöfen unter Holzverschlägen stehen. Wenn sie nicht arbeiten, sind sie gefesselt. Ihre Ernährung ist schlecht. Gewalt, Krankheiten und Todesfälle sind keine Seltenheit, sagt Blot im Gespräch mit PULS 24. Viele Tiere haben keinen Kontakt zu Artgenossen – obwohl Elefanten äußerst sozial sind.
"Alles war falsch", sagt die Elefanten-Pflegerin über die Situation, die sie vorfand, als sie 2013 zum ersten Mal nach Nepal kam. Dennoch gibt es für sie keine Schwarz-Weiß-Malerei.
Demokratie mit Startschwierigkeiten
Nepals junge Demokratie steckt noch in den Kinderschuhen. Seine Wirtschaft ist eine der am langsamsten wachsenden in Asien. Das Land ist von Importen – vor allem aus China und Indien – abhängig. Lebensmittel- und Energiepreise stiegen zuletzt stark an.
Etwa ein Fünftel der Bevölkerung, die noch immer stark vom Kastenwesen geprägt ist, muss mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen. Das Land, das der Monarchie erst 2008 den Rücken zukehrte, lebt von Nepalesen, die im Ausland arbeiten – etwa als Gastarbeiter in den Golfstaaten. Oder vom Tourismus, der wegen Corona in den letzten Jahren zum Erliegen kam. Sonst gibt es kaum Arbeit.
Neben der Pandemie setzen dem Land die häufigen Naturkatastrophen und der Klimawandel zu. Die Schäden des heftigen Erdbebens 2015 sind immer noch nicht ganz beseitigt. Seit Sommer 2022 wütet noch dazu eine Dengue-Welle. Das Gesundheitssystem ist maßlos überfordert, wie die "Kathmandu Post" berichtete.
Moderne Sklaverei?
Unter diesen Bedingungen hätten die Mahuts, wie die Elefantentrainer in vielen Teilen Asiens genannt werden, ihre Tradition verloren, sagt Blot. Früher gingen sie mit den Königen auf Jagd, waren angesehen. Heute wohnen viele in einfachen Barracken neben den Elefanten, würden, so formuliert es Blot, von Hotel-Eigentümern wie "Sklaven" behandelt. Alkoholismus sei keine Seltenheit. Viele wüssten nicht mehr, wie man mit Elefanten umgeht.
"Stand up for Elephants" setzt trotzdem nicht auf Konfrontation mit den Hotel-Besitzern oder Aktivismus. Vielmehr möchte man mit Überzeugungsarbeit und als positives Beispiel punkten.
Zuerst setzte die NGO auf "Elephant Happy Hours". Man mietete die Elefanten der Hotelbesitzer für einige Stunden an. In dieser Zeit mussten Elefanten nicht arbeiten. Sie wurden in den Nationalpark gebracht und konnten dort machen, was sie wollen. Touristen konnten mit Hilfe der NGO und der Mahuts mitkommen und die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten.
Das Projekt sei zwar durchaus erfolgreich gewesen, durchgesetzt habe es sich aber nicht, sagt Blot. Wenn die Besitzer den Rücken der Elefanten mit Touristen vollpacken, verdienen sie mehr Geld. Und dann, so sagt Blot, sei da der starke Wunsch der asiatischen Touristen - die immer wichtiger für Nepals Tourismus werden - auf den Tieren zu reiten.
Die NGO überlegte sich ein neues Konzept: Man errichtete am Rande des Orts Sauraha selbst eine Anlage, um Elefanten zu halten. Zwei Tiere, die vorher im Tourismus eingesetzt wurden, leben dort nun. Gefesselt werden sie nicht und sie dürfen täglich in den Dschungel - nicht, um zu arbeiten wie ihre Artgenossen in Regierungsobhut, sondern einfach nur so. Ihre Verletzungen, ihre psychischen Schäden bessern sich, schildert die französische Tierpflegerin.
Aus Arbeitstieren wurden glückliche Riesen
Eva und Lhamo, wie die zwei grauen Riesen heißen, hatten Probleme beim Schlafen, konnten schlecht gehen, hatten zu wenig Gewicht. Was ihnen genau zugestoßen war, wisse man nicht. Ihre Geschichten wurden nicht dokumentiert. Die Tiere mussten in der Vergangenheit in Nepal nicht registriert werden.
Der Handel mit Elefanten ist im Himalaya-Staat nach wie vor legal – viele werden aus Indien importiert. Bei manchen dürfte es sich auch um wilde Elefanten handeln, die laut Blot gefangen genommen wurden. Auch "Stand up for Elephants" musste die Elefanten kaufen, um sie zu retten.
Das hat Blot zwar nicht gefallen, wie sie sagt, aber es sei nicht anders gegangen. Rund 32.000 und 40.000 US-Dollar kosteten die Tiere. Für einen gesunden Elefanten zahle man zirka 120.000 US-Dollar, sagt sie.
Am Anfang wurden wir von den Einheimischen für verrückt gehalten
Die NGO finanziert sich vor allem durch Unterstützung anderer Tierschutzorganisationen und ihr Volunteer-Programm. Tierpfleger aus aller Welt können SU4E in Sauraha helfen.
"Am Anfang wurden wir von den Einheimischen für verrückt gehalten", sagt Blot heute. Jetzt würden immer mehr Menschen verstehen, dass man Elefanten auch anders halten könne. Außerdem werden die Mahuts bei SU4E besser bezahlt, so Blot.
Trainiert werden die Elefanten nur zu medizinischen Zwecken – und nur mit positiver Verstärkung. Wenn die Elefanten nicht wollen, müssen sie nicht mitmachen. Das sieht man auch, wenn man im Garten von SU4E sitzt und Eva und Lhamo zusieht. Sie wippen nicht stundenlang vor und zurück, wie ihre Verwandten bei den Hotels und bei den Rangers. Sie spielen im Dreck, setzen sich Pflanzen als Sonnenschutz auf und interagieren miteinander.
Treffen sie ihre Pfleger, kann ihnen das sogar ein fröhliches Tröten entlocken. Es dauert zwar, bis der verletzte Fuß gereinigt werden kann und er auch im Fußbad bleibt, doch mit den richtigen Leckerlies klappt es mit etwas Geduld dann doch.
Die Methode, auf die SU4E setzt, scheint auch in europäischen Zoo state oft the art zu sein, wie Folko Balfanz, zoologischer Abteilungsleiter und Elefantenpfleger im Wiener Tiergarten Schönbrunn, im Gespräch mit PULS 24 bestätigt. "Wir setzen im täglichen Training auf positive Verstärkung bei den unterschiedlichen Übungen, damit im Bedarfsfall medizinische Untersuchungen freiwillig und ohne Narkose stattfinden können ".
Langsam geht es in die richtige Richtung. Der öffentliche Druck wächst.
Im täglichen medizinischen Tiertraining werden dem Tier verschiedene Übungen und Kommandos angeboten, welchen dann von dem Tier freiwillig ausgeführt werden können oder nicht. Positiv bestätigt werden Übungen durch anschließendes Lob, Klickergeräusch oder Leckerlies. Jedes Individuum und Charakter reagiert auf eine unterschiedliche Bestärkung.
Spielerisches Training bei Jungtieren
"Elefanten sind potenziell gefährlich, wie jedes andere Wildtier auch", sagt Balfanz. Im Tiergarten Schönbrunn tritt man deswegen nicht in den direkten Kontakt mit den Tieren. Es befindet sich eine Absperrung zwischen Tier und Pflegern. Ketten brauche man nicht.
Auch im Tiergarten Schönbrunn kamen schon Elefanten-Jungtiere auf die Welt, ist der Zoologe stolz – man habe einen Zuchtbullen im Familienverband, setze aber auch seit über 20 Jahren auf künstliche Befruchtung. Das Training der Tiere beginne schon spielerisch im ersten Jahr – Hebt das Tier zufällig Ohr oder den Rüssel, sagen die Pfleger ein Kommando. So bekomme schon ein Jungtier zufällig mit, was mit einem Kommando gemeint ist. Ob und wann ein Tier Lust hat mitzuarbeiten, hängt laut Balfanz von Charakter, Tagesverfassung aber eventuell auch Hormonstatus des Tieres ab.
Bis diese Traningsmethoden sich mit Hilfe von SU4E auch in Nepal durchsetzen, wird es noch einige Jahre dauern, vermutet Blot. "Langsam geht es in die richtige Richtung", sagt sie. So hat etwa der nepalesische Supreme Court (Höchstgericht) kürzlich entschieden, dass Elefanten in Privatbesitz registriert werden müssen. Das müsse die Regierung dann nur noch kontrollieren – Höchstgerichtsentscheidungen werden in Nepal oft nur als "Empfehlungen" angesehen, so Blot.
Der öffentliche Druck wachse. Auch gebe es immer mehr Mahuts und Touristen, die umdenken – westliche Touristen sehe man kaum noch auf Elefanten reiten.
Hinsichtlich Tierschutz und Tierhaltung sollte man Traditionen aber evaluieren.
Verurteilen wollen Balfanz und Blot weder die Nepalesen noch die asiatischen Touristen. Kulturgeschichtlich habe Elefantenhaltung in Asien einen anderen Stellenwert, sagt der Zoologe aus Schönbrunn. Sie werden dort schon lange domestiziert und zur Arbeit eingesetzt. Hinsichtlich Tierschutz und Tierhaltung sollte man Traditionen aber "evaluieren". Blot von SU4E betont, dass selbst in Frankreich noch Zirkus-Elefanten erlaubt seien. Man brauche im Tierschutz eben Geduld.
Zusammenfassung
- Ein Leben in Fesseln und für die Arbeit. Die Lage der Elefanten in Nepal ist nicht gut.
- Eine NGO versucht, den Grauen Riesen, aus dem Albtraum namens Tourismus zu helfen.
- Wie sie dabei vorgeht und warum sie dabei nicht auf Konfrontation setzt.