Krebskranke Kinder brauchen Begleitung für die Seele
Karigl ist seit 13 Jahren als Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin tätig und hilft chronisch, teils lebensbedrohlich erkrankten Kindern und Jugendlichen und ihren Angehörigen. Sie ist seit sechs Jahren Teil des dreiköpfigen Mobilen Psychologischen Dienstes (MPD) der Kinderkrebshilfe Wien, Niederösterreich und Burgenland, der gemeinsam mit dem Externen Onkologischen Pflegedienst (EOP) Hausbesuche macht, um den Betroffenen den Weg ins Krankenhaus zu ersparen. Denn jede Stunde und jeder Tag, die bzw. den ein krebskrankes Kind zuhause im gewohnten Umfeld verbringen kann, ist wichtig und hilft, um ihm auf dem Genesungsweg Kraft und Zuversicht zu schenken. Das Projekt der mobilen Dienste ist rein über Spenden der Kinderkrebshilfe in östlichen Bundesländern finanziert.
Der MPD wurde über Spenden vor zehn Jahren ins Leben gerufen und hat sich zum Ziel gesetzt, die psychologische Betreuung der betroffenen Familien zu verbessern. Bei diesem in Österreich einzigartigen Projekt stehen die speziell ausgebildeten Psychologinnen den Kindern, ihren Eltern und Geschwistern während und nach den Therapien zur Seite. Der MPD wird auf den onkologischen Abteilungen im St. Anna Kinderspital sowie in der Kinderklinik auf der pädiatrischen Neuroonkologie-Station des AKH Wien für Betroffene kostenlos angeboten.
Die Reaktionen auf das Angebot vonseiten der Familien seien in der angespannten Situation durchwegs positiv, sagte Karigl. "Sie sind alle extrem dankbar und wollen das gerne annehmen. Sie begegnen mir mit großer Dankbarkeit, Offenheit und einem Vertrauen, sie in diesen harten Zeiten mit all meinen Erfahrungen und im Sinne ihrer Wünsche zu begleiten", so die Psychologin. Jene, die dies ablehnen, seien an einer Hand abzuzählen. Es geht ja nicht nur darum, dem kranken Kind zu helfen, sondern auch die Eltern, die Geschwister, die Großeltern oder andere Verwandte, denen die Krankheit nahe geht, zu unterstützen. Vor allem, wenn das betroffene Kind monatelang im Krankenhaus sein muss und von einem Elternteil - meist die Mutter - begleitet wird, sollen sich alle anderen nicht allein gelassen fühlen. "Väter kommen da oft zu kurz", erzählte Karigl aus ihrer Erfahrung. Als das starke Geschlecht tendieren sie immer dazu, die Situation mit sich selbst ausmachen wollen. "Wenn man ihnen aber die Bühne gibt, dann kommen viele Emotionen hoch", sagte die Expertin. Auch Geschwisterkinder sollen nicht das Gefühl bekommen, mit ihren Problemen nun allein zurecht kommen zu müssen, um die Eltern nicht noch mehr zu belasten.
Die Familien werden in der Klinik über das Angebot informiert, dann kommt es relativ rasch zum ersten Kennenlernen - entweder beim Krankenhausaufenthalt oder bereits zu Hause. In einem Gespräch wird über die Vorstellung der Eltern gesprochen, wie die Unterstützung in ihrer Familie am besten gelingen kann. "Im Schnitt besuche ich zwei bis drei Familien pro Woche, neben Telefonaten mit Patientenfamilien oder in seltenen Fällen auch einem Online-Austausch, wenn der Besuch kurzfristig nicht möglich ist", erzählte Karigl. Besucht werden Familien, die etwa eine Autostunde von der Klinik entfernt sind - in Wien, Niederösterreich und im Burgenland. "Bei unseren Begegnungen haben für mich insbesondere alle Gefühle und Herausforderungen der momentanen Lebensphase oberste Priorität", sagte die Psychologin. Vor allem das gemeinsame "aushalten Lernen" von allen Gefühlen wie Schmerz, Schuldgefühlen oder Trauer sowie den einhergehenden Lebensveränderungen, die man nur bedingt beeinflussen kann, sei ein zentrales Thema.
Dadurch entsteht bei den Betroffenen das Gefühl, verstanden zu werden. "Damit ist meine Begleitung positiv konnotiert und wird auch nach ein paar Jahren Pause immer wieder gerne in Anspruch genommen - dann wenn Familien an einen Punkt kommen, wo Verarbeitung der Situation erneut ein Thema wird", sagte Karigl, die sich um die Familien von an Hirntumoren erkrankten Kindern kümmert und ihre Kolleginnen um alle anderen Krebserkrankungen.
Besonders wichtig wird ihre Arbeit, wenn die Krankheit nicht mehr geheilt werden kann. "Eltern haben extreme Angst, es anzusprechen", sagte Karigl. Gerade da sei es wichtig mit Offenheit und Ehrlichkeit zu arbeiten, sagte die Psychologin. Sie würde da der Familie die Sicherheit geben, dass noch wer anderer da ist, der sie hält. "Ich lege viel Wert darauf, dass betroffene Familien Raum bekommen, um über ihre Gefühle und Gedanken in Zusammenhang mit dem bevorstehenden Tod ihres Kindes sprechen zu können und diese nicht zu lange auszublenden", sagte die Expertin. "Zeit geben, Zeit lassen und Zeit haben sind hier auch von großer Wichtigkeit."
Offene, altersadäquate Gespräche für das sterbende Kind, aber auch für die Geschwister haben große Bedeutung. "Sie sind wie ihre erkrankte Schwester oder ihr erkrankter Bruder sehr stark von den Emotionen ihrer Eltern abhängig und haben gleichzeitig eine oft sehr enge Bindung zu den Geschwistern", erzählte Karigl. Manchmal würde es in Gesprächen aus den Kindern einfach raussprudeln und manchmal fangen sie sofort an zu weinen, reden dafür aber weniger. "Da passe ich mich einfach an", so die Therapeutin. Viele Kinder würden viel früher merken, dass etwas nicht stimmt. Doch das Sterben zum Thema machen wäre wichtig, um sie nicht zu überfordern und ihnen Zeit zu geben, sich zu verabschieden. "Sie sollen die Möglichkeit haben, ihre Ängste und Sorgen auszudrücken und wichtige Informationen zu erhalten. Je mehr Offenheit, je mehr Teilhabemöglichkeit am Geschehen, umso natürlicher gehen Kinder mit dem Abschiednehmen um", so Karigl.
In so einer Situation schauen die Psychologinnen auch nicht auf die Uhr, was vor allem in Wien wegen des Parkpickerls zur Herausforderung wird. "Dass, was die mobile Pflege ohne Probleme aufgrund ihres fachlichen Bereichs beantragen kann, nämlich ein Parkschild, um in ganz Wien kostenlos parken zu können, können wir im Bereich der mobilen Psychologie nicht", gab Karigl zu bedenken. "Wenn wir dann aber verhältnismäßig längere Besuche bei Familien, auch in palliativen Settings, von drei bis vier Stunden machen und den Parkschein aufgrund der akuten Krisen der Familien nicht rechtzeitig ausfüllen, kann es regelmäßig vorkommen, dass wir auf private Kosten eine Strafe zahlen müssen", bemängelte die Therapeutin die Situation. Ganz abgesehen davon, dass man in Wien nicht länger als zwei Stunden parken darf: "Man verlässt Familien in einer Krisensituation natürlich nicht wegen eines ablaufenden Parkscheins", so Karigl. "Der Druck, sich permanent an einen Parkschein erinnern zu müssen, ist für das Begleiten der Familien eine große Herausforderung, die trotz einigen Telefonaten mit der Stadt Wien keinen Anklang gefunden hat, uns und betroffene Familien aber immens unterstützen würde."
Um selbst mit der herausfordernden Arbeit zurecht zu kommen, machen die Psychologinnen, die im Zuge ihrer Ausbildung auch Palliativbetreuung zum Thema haben, regelmäßige Supervision (Betreuung durch externe Psychologen, Anm.) bzw. Intervision (kollegiale Beratung, Anm). Auch der regelmäßige Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen an der pädiatrischen Neuroonkologie stellt eine wichtige Säule dar. "Dieser ist für meine Arbeit essenziell, da nur auf diesem Weg alle medizinischen, aber auch psychosozialen Informationen zusammenlaufen und eine gezieltere Begleitung der Familien möglich wird. Das wäre als Psychologin im niedergelassenen Bereich nicht umsetzbar", sagte Karigl.
Die Psychologin und ihre Kolleginnen betreuen die Familien auch nach der akuten Krankheit oder tragischerweise auch nach dem Tod des Kindes. "Ich besuche Familien auch nach ein paar Jahren Pause nach Bedarf wieder, wenn Ängste und Sorgen nach einer überstandenen Erkrankung plötzlich wieder aufkommen oder auch wenn sie die Verarbeitung vorangegangener Zeiten einholt, die damals wenig Platz gefunden hat", so die Therapeutin. Die Familien werden in der Regel zumindest ein weiteres Jahr in unterschiedlichen Abständen betreut, um Raum für Trauer und Hilflosigkeit vergangener traumatischer Erlebnisse zu geben. "Auch wenn sich hier die Verzweiflung, die Schuldgefühle und die Frage nach dem 'warum wir' immer wieder wiederholt, sehe ich es als einen wesentlichen Teil der Verarbeitung, es im ersten Schritt 'da sein' zu lassen, offen zum Thema zu machen und sich die Zeit zu nehmen, es in Ruhe zu besprechen." Durch die lange Betreuung werden Familien noch einmal mehr verstanden, als wenn sie sich in Therapie im niedergelassenen Bereich begeben und alles von "neu" erzählen müssten, sagte Karigl.
Zu zehnjährigen Jubiläum des Mobilen Psychologischen Dienstes und zum 30-jährigen Jubiläum des Externen Onkologischen Pflegedienstes findet erstmals am 12. Oktober der "Hope Run" zugunsten der Kinderkrebshilfe im Alten AKH statt. Mit jeder gelaufenen Runde wird ein Hausbesuch für krebskranke Kinder ermöglicht. Im vergangenen Jahr wurden 2.190 Hausbesuche absolviert.
(S E R V I C E - Informationen zum "Hope Run" - der ursprüngliche Termin am Samstag muss wegen Schlechtwetters verschoben werden - unter https://hoperun.kinderkrebshilfe.wien/)
Zusammenfassung
- Jährlich erkranken rund 200 Kinder in Österreich an Krebs, und psychologische Betreuung ist ein wichtiger Teil der Behandlung.
- Der Mobile Psychologische Dienst (MPD) der Kinderkrebshilfe Wien, Niederösterreich und Burgenland bietet Hausbesuche an, die durch Spenden finanziert werden.
- Die Arbeit der Psychologen umfasst die Unterstützung der gesamten Familie, nicht nur des erkrankten Kindes, und ist besonders wichtig, wenn die Krankheit nicht mehr geheilt werden kann.
- Im vergangenen Jahr wurden 2.190 Hausbesuche absolviert, und am 12. Oktober findet der 'Hope Run' zugunsten der Kinderkrebshilfe im Alten AKH statt.
- Herausforderungen wie das Parken in Wien erschweren die Arbeit der Psychologen, die Familien auch nach der akuten Krankheit oder nach dem Tod des Kindes betreuen.