Kinder erleben immer häufiger psychische Gewalt
Den größten Anstieg gab es im Bereich von Mobbing (22,3 Prozent) und psychischer Gewalt in der Familie (11,5 Prozent) zu verzeichnen. "Mittlerweile führen wir im Schnitt vier Beratungen täglich zu diesem Thema", sagte Birgit Satke, Leiterin der Notrufnummer 147 von Rat auf Draht. Die Gründe seien vielfältig: "Neben Risikofaktoren wie Überforderung im Alltag, schwierigen Lebensumständen oder eigenen Misshandlungs- bzw. Vernachlässigungserfahrungen von Erwachsenen, tragen Krisen wie Corona, die Kriege oder die Teuerung dazu bei, dass psychische Gewalt ansteigt, da die Menschen sich dadurch generell in einer fragileren psychischen Verfassung befinden. Da braucht es oft nicht viel, damit es zu einer eskalierenden Situation kommt."
Eine Rolle spiele bei den Mädchen und Buben auch Leistungsdruck in der Schule sowie Überforderung. Die Auswertung der Gespräche zeige, dass Mädchen häufiger Opfer psychischer Gewalt sein. Rund 62 Prozent der im Vorjahr geführten 1.427 Beratungen entfallen auf Anruferinnen, rund 37 Prozent der Gesprächspartner waren männlich. Rund ein halbes Prozent bezeichnete sich als divers, der Rest auf unbekannt.
"Anders als ihr Pendant, die körperliche Gewalt, hat psychische Gewalt viele Gesichter und ist auch schwieriger zu erkennen, da sie weniger sichtbar ist", so Satke. Darunter fällt etwa: Einschüchterung, Angst machen, Ignorieren, Erniedrigen, Verspotten, Runtermachen, unter Druck setzen, Grenzen nicht achten oder nicht einhalten oder emotionale Erpressung ("Wenn du das nicht machst, dann passiert das"). "Auch ein extrem fürsorgliches Verhalten kann zur seelischen Gewalt werden, wenn es Abhängigkeit, Wertlosigkeit und Ohnmacht vermittelt", erläuterte Satke.
Die Hilfesuchenden wüssten laut der Expertin oft nicht, dass sie psychischer Gewalt ausgesetzt sind. Dies müsste er in aufklärenden Gesprächen erarbeitet werden. Deshalb gehe es in den Beratungen stark darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich dabei um eine Form der Gewalt handelt. "Wir versuchen den Betroffenen auch eine erste Entlastung zu bieten, indem sie offen darüber sprechen können. In weitere Folge raten wir dazu, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Entweder bei jemandem aus dem privaten Umfeld, dem sie vertrauen oder bei Unterstützungsangeboten", sagte Satke, die dafür plädierte, vermehrt über das Thema zu sprechen.
Denn auch Erwachsene hätten Aufholbedarf bei dem Thema. Vielen Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen sei es nicht klar, dass auch diese psychische Gewalt ausüben, wenn auch oft völlig unbeabsichtigt. "Im Gespräch zeigt sich oft, dass sich psychische Gewalt unbewusst in den Erziehungsstil eingeschlichen hat und sich gegenüber dem Nachwuchs in Form von Drohungen oder im Umgang mit Konfliktsituationen durch Anschreien, Liebesentzug oder Ignorieren äußert", sagte Lena Kaiser, Psychologin und Beraterin der Rat-auf-Draht-Elternseite.
Denn diese Form der Gewalt könnte massive Spuren bei Kindern hinterlassen, die sie ein Leben lang begleiten. "Abgesehen von kurzfristigen Beeinträchtigungen wie Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit, kann sie langfristige Folgen in Form von psychosomatischen Erkrankungen wie Schlaflosigkeit, Essstörungen, Angststörungen, Depressionen oder gar Suizidalität haben", so Satke. Wenn Kinder psychische Gewalt zu Hause erleben, reagieren sie zudem auch aggressiv gegenüber Gleichaltrigen.
( S E R V I C E - Telefon: 147, Online: www.rataufdraht.at)
Zusammenfassung
- Immer mehr Kinder und Jugendliche sind von psychischer Gewalt betroffen, wobei die Zahl der Beratungsgespräche zu diesem Thema im Vergleich zu 2022 um 13,6 Prozent gestiegen ist.
- Besonders betroffen sind Mädchen, die 62 Prozent der 1.427 Beratungen im Vorjahr führten, während rund 37 Prozent der Gesprächspartner männlich waren.
- Psychische Gewalt kann viele Formen annehmen und ist oft schwer zu erkennen, kann jedoch langfristige Folgen haben, wie psychosomatische Erkrankungen.