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Intensivnetzwerktreffen: "Versteckte Triage" in Wien

Doppelt so viel Patienten, wie offiziell gezählt. Infiziertes Personal trotz Impfung. Umfunktionierte OP-Säle. Versteckte Triage. Ein Protokoll des Wiener Intensivnetzwerktreffen zeigt dramatische Zustände.

Die Intensivstation sind nicht ausgelastet. Zumindest, wenn es nach der Statistik der AGES geht. Laut derer waren mit Stichtag 20. April 2021 österreichweit ein Viertel der Intensivbetten frei – auch in Niederösterreich, das wie Wien den Lockdown verlängert hat. In Wien wird die Zahl der freien Betten nicht genannt. Warum? Erstens, weil es so gut wie keine freien Betten in der Bundeshauptstadt gibt und zweitens, weil auch nach über einem Jahr Corona-Pandemie keine bundesweit einheitliche Zählweise eingeführt wurde.

Wie die Lage auf den Wiener Intensivstationen tatsächlich ist, beschreibt ein Protokoll des Wiener Intensivnetzwerktreffens vom 15. April, das PULS 24 exklusiv zugespielt wurde. Verantwortliche aus den Wiener Krankenhäusern treffen sich regelmäßig, um sich über die Corona-Lage in den einzelnen Intensivstationen der Bundeshauptstadt zu informieren. Ungeschönt und ohne politische Hintergedanken wird offensichtlich besprochen, was Sache ist. Vergangene Woche wurde unter anderem auch darüber geredet, ob sich das Personal trotz Impfung ansteckte und ob es man schon von "versteckter Triage" sprechen kann.

"Mitarbeiter infizieren sich nach der 2. Impfung"

Etwa "ca. 5-10% der Geimpften infizieren sich nach der 2. Impfung mit COVID,", berichtet dazu ein Mediziner aus dem Krankenhaus Hietzig, der Verlauf sei größtenteils "aber asymptomatisch", es habe sich jedoch "gezeigt, dass einige der Mitarbeiter ansteckend waren".

Vergleicht man den Prozentsatz mit den bisherigen Studien, wäre er sehr hoch. Auf PULS 24-Anfrage im Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker spricht man sogar von "absurd hoch" und man könne dies "definitiv ausschließen". Man wisse bisher von "insgesamt 25 Personen in Wien (…), die nach zwei Teilimpfungen wieder positiv getestet wurden". Ein positiver PCR-Test ist auch Wochen nach einer Erkrankung möglich, das bestätigt auch Tropenmediziner Herwig Kollaritsch: "Man weiß bei einem positiven Nachweis nicht, ob es sich um lebendes Virus handelt."

Ob positiv getestetes Personal Patienten ansteckt, kann nicht zu 100 Prozent ausgeschlossen werden. "Der Regelfall ist, dass PatientInnen spreaden", heißt es dazu aus dem Büro von Hacker, "durch die strengen Schutzmaßnahmen" hatte man "selten einen höheren Anteil als 0,1% des Wiener Infektionsgeschehens bei medizinischem Personal".

"Versteckte Triage"

Dass eine Triage verhindert werden muss, sagte in den vergangenen Monaten nicht nur Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mehr als einmal. Niemand wird wollen, dass Mediziner entscheiden müssen, für wen die Zeit abgelaufen ist und wer noch einmal die Chance bekommt. Auch das war vergangene Woche Thema beim Treffen der Wiener Intensivmediziner. "Insgesamt sind am Sonntag 14 Pat. verstorben, da kritischer evaluiert wurde für welche Pat. eine Therapie sinnvoll ist (versteckte Triage)", steht im Protokoll und damit im Widerspruch zur Aussage aus dem Büro von Hacker. Dort wird jegliche Triage für Wien verneint. Eine Anfrage zu diesem Thema erging auch an das Gesundheitsministerium und blieb unbeantwortet.

Belegungsstatistik

Eine Triage muss nicht angewendet werden, wenn es genug Betten und geschultes Personal auf den Intensivstationen gibt – oder eben weniger Patientinnen und Patienten. Es fehlt laut dem Protokoll an beidem. Räumlich wurde improvisiert, unter anderem wurde ein OP-Raum zum Aufwachraum umfunktioniert, in einem Aufwachraum Patienten beatmet und Post-Covid-Patienten auf die Anästhesie verlegt, steht dazu im Protokoll. Und: "Das Pflegepersonal ist extrem überlastet: pro ausgebildete ICU-Pflege (ICU steht für Intensive Care Unit/Intensivstation, Anm.)  - 3 zu betreuende Pat.".

Wie kann das sein, wenn doch ein Viertel der Betten frei ist?

Die Intensivmediziner sind sich einig, dass es durch die Zählweise "den Anschein hat, dass (…) mehr Betten frei sind als eigentlich frei sind". Am Beispiel AKH hieß es zu diesem Zeitpunkt: "Laut Monitoring sind 22 belegte COVID-ICU Betten ausgewiesen, tatsächlich sind aber 33 Betten belegt und nur 3 freie Betten vorhanden. Auf der IMCU (Intermediate Care Unit/Überwachungsstation, Anm.) sind 15 Betten belegt. Statt den gemeldeten 22 Pat. Sind tatsächlich 48 in intensivmedizinischer Betreuung." Dementsprechend mussten zu diesem Zeitpunkt mehr als doppelt so viel Patienten intensivmedizinisch versorgt werden, als offiziell angegeben.

"Offenbar gibt es hier aber unterschiedliche Interpretationen. Im Austausch mit den Bundesländern haben wir einen Prozess gestartet, um künftig eine einheitliche Zählweise zu gewährleisten", heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium auf PULS 24-Anfrage.

In Wien hingegen gibt man den Intensivmedizinern "völlig Recht", die Daten seinen "qualitativ mangelhaft, da die "entsprechenden exakten Definitionen fehlen". Auch im Büro Hacker bringt man das Beispiel Niederösterreich. Trotz Verbleibs im Lockdown, um die Krankenhäuser zu entlasten, seien "über ein Viertel ihrer Intensivbetten 'tagesaktuell frei verfügbar'. Ob das Gesundheitspersonal vor Ort die Lage ebenso einschätzt, sei dahingestellt", antwortet ein Mitarbeiter auf Anfrage.  

Den vom Gesundheitsministerium angekündigten Prozess habe man in Wien bereits im Mai 2020 gefordert, im Juni 2020 wurde der Beschluss auf Bundesebene bekräftigt. Im Oktober 2020 wurde vom Bund eine Arbeitsgruppe eingerichtet, im Dezember 2020 "ein Papier vorgelegt, dass die bisherigen Erfahrungen der Länder in Prosa-Form zusammengefasst dargestellt hat", heißt es weiter. Tatsächlich geändert hat das offenbar nichts. Gegenüber PULS 24 erklären mehrere Personen, die mit der Thematik vertraut sind, aber allesamt anonym bleiben wollen, dass es auf Länderebene teils starken Widerstand gegen eine einheitliche und haltbare Statistik gebe: Würden die echten Zahlen verkündet, müssten weitere Bundesländer in den Lockdown, so das Conclusio. Offiziell wird dies nicht bestätigt. 

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  • Doppelt so viel Patienten, wie offiziell gezählt. Infiziertes Personal trotz Impfung. Umfunktionierte OP-Säle. Versteckte Triage. Ein Protokoll des Wiener Intensivnetzwerktreffen zeigt dramatische Zustände.