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Hilfskoordinator in Marokko: "Zeitfenster hat sich geschlossen"

Fast 3.000 Tote wurden nach dem Erdbeben in Marokko seit Samstag gezählt. Das Zeitfenster für die Bergung von Überlebenden hat sich geschlossen, sagt Heinz Wegerer, Hilfswerk International Nothilfekoordinator. Die marokkanische Regierung gerät unter Druck.

In den schwer zugänglichen Erdbebengebieten in Marokko arbeiten die Einsatzkräfte bei der verzweifelten Suche nach Überlebenden am Rande der Erschöpfung. Doch die Hoffnung, am vierten Tag nach dem schweren Erdbeben vom Freitagabend Menschen noch lebend zu finden, schwindet von Stunde zu Stunde.

Dutzende Dörfer seien zerstört, berichtete die marokkanische Nachrichtenseite Hespress. Laut UNO-Linderhilfswerk UNICEF sind auch 100.000 Kinder von den Folgen des Bebens betroffen. Die Einwohner müssen laut Hespress nicht nur die Toten bergen und begraben, es mangele auch an Lebensmitteln und Wasser. 

Ganze Dörfer "ausgelöscht"

Im Ö1 "Morgenjournal" schilderte Heinz Wegerer, Nothilfekoordinator von Hilfswerk International, dass das Ausmaß der Zerstörung in den Dörfern um Marrakesch und im Atlasgebirge "noch nicht fassbar" sei.

In Marrakesch selbst sei die Lage "überraschend entspannt", Hilfsleistungen und Bergungsarbeiten würden "gut voranschreiten". In die umliegenden Dörfer müsse man sich teils aber erst "vorkämpfen".

Heinz Wegerer bei einem früheren Einsatz in Syrien.Marco Brugger / Hilfswerk International

Heinz Wegerer bei einem früheren Einsatz in Syrien.

Die Dörfer sind teils nur über enge Passstraßen zu erreichen, schweres Gerät sei dort nur schwer verfügbar. Teils hätten Menschen dort noch keine oder fast keine Hilfe erhalten.

Es gehe nun darum, "unmittelbares Leid" zu verhindern. Ganze Dörfer wurden "ausgelöscht", die Menschen "sitzen auf der Straße". Wasser- und Lebensmittelversorgung sei unzureichend, so Wegerer. Am Tag sei es heiß, in der Nacht "bitterkalt" - es brauche Wasser, aber auch Decken und Zelte.

Unterdessen hat sich das Zeitfenster von 72 Stunden zur Bergung von Überlebenden geschlossen. Nur vereinzelt werde es noch "Wunder" geben, sagt der Hilfskoordinator. Die Häuser in Marokko seien älter als etwa in der Türkei, wo Betonplatten teils für Hohlräume gesorgt hatten. 

Die Aufgabe von Hilfswerk International sei es, die lokalen Organisationen zu unterstützen und zu schauen, dass die einen "langen Atem" behalten. 

CARE-Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager im PULS 24 Interview.

Auch CARE-Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager schilderte im PULS 24 Interview, dass die Lage in Marokko noch "relativ unübersichtlich" sei. Die Hilfe werde von der Regierung und der Armee geleitet. Man müsse nun Lebensmittel und Wasser in entlegene Gebiete bringen. Die Menschen würde Unterkünfte brauchen, denn auch Gebäude, die nicht eingestürzt sind, könnten unsicher sein. 

In den Dörfern würden nun Massengräber ausgehoben werden, um Seuchen zu verhindern. Die Aufarbeitung des Traumas, des Schocks werde noch dauern, so Andrea Barschdorf-Hager. Es brauche auch psychologische Hilfe.

Regierung unter Druck

Unterdessen gerät die marokkanische Regierung angesichts dieser verzweifelten Situation in den Katastrophengebieten unter wachsenden Druck, mehr internationale Hilfe anzunehmen. Bisher hat Marokko nur Hilfe aus vier Ländern akzeptiert - Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Beamte des Landes rechtfertigten dies damit, dass es ihrer Einschätzung nach zu chaotisch wäre, wenn plötzlich Teams aus der ganzen Welt in Marokko eintreffen würden.

Nach Angaben der Regierung wurden bis Montagabend mindestens 2.862 Tote gezählt, mindestens 2.562 weitere Menschen wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Zahlreiche Menschen werden noch vermisst. Es wird daher befürchtet, dass die Zahl der Toten noch weiter steigt. Auch mit Nachbeben sei weiter zu rechnen.

ribbon Zusammenfassung
  • Fast 3.000 Tote wurden nach dem Erdbeben in Marokko seit Samstag gezählt.
  • Das Zeitfenster für die Bergung von Überlebenden hat sich geschlossen, sagt Heinz Wegerer, Hilfswerk International Nothilfekoordinator.
  • Die marokkanische Regierung gerät unter Druck, mehr internationale Hilfe anzunehmen.