Fusionsreaktor JET vor Stilllegung mit neuem Energierekord
Um die gleiche Energiemenge wie beim neuen Höchstwert zu erreichen, "hätte es etwa zwei Kilogramm Braunkohle gebraucht - also rund zehn Millionen Mal so viel", heißt es seitens des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, das an dem Projekt beteiligt ist. Auch bei diesem Rekord sei jedoch keine positive Energiebilanz entstanden - es wurde insgesamt mehr Energie hineingesteckt als herausgekommen ist.
Kernfusion gilt als vergleichsweise saubere und sichere Energiequelle. Dabei will man sich das gleiche physikalische Prinzip zur Energiegewinnung zunutze machen, das in der Sonne kontinuierlich abläuft: Bei sehr hohen Temperaturen und unter ungeheurem Druck verschmelzen dabei Wasserstoff-Atomkerne zu Heliumkernen, wobei enorme Energien freiwerden. Herkömmliche Atomkraftwerke gewinnen Energie dagegen aus der Spaltung von Atomkernen.
Um das Sonnenfeuer auf der Erde zu entfachen, zu zähmen und kommerziell zu nutzen, sind allerdings noch riesige technologische Herausforderungen zu überwinden. So wird in verschiedenen Versuchsanlagen weltweit seit Jahrzehnten an der Realisierung der Kernfusion geforscht und gearbeitet. Eine der erfolgreichsten ist das europäische Kernfusionsprojekt JET (Joint European Torus), das 1983 gestartet wurde und im vergangenen Dezember nach 40 Jahren seinen Betrieb einstellte.
JET ist ein sogenannter Tokamak-Reaktor, bei dem starke Magnetfelder genutzt werden, um das rund 100 Millionen Grad Celsius heiße Wasserstoff-Plasma in einer Donut-förmigen Vakuumkammer einzuschließen. Bei den letzten Experimenten am JET mit nur 0,2 Milligramm Fusionsbrennstoff (Deuterium und Tritium) wurden Anfang Oktober für 5,2 Sekunden 69 MJ erzeugt. "Das sind zwar nur 20 Kilowattstunden (kWh), also so viel wie meine Solaranlage an einem sonnigen Tag im Jänner produziert - aber dennoch ein wichtiger Schritt in der Fusionsforschung", erklärte Georg Harrer vom Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität (TU) Wien und dem Österreichischen Fusionsforschungsprogramm an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gegenüber der APA.
Denn bei den Experimenten wurde "das gleiche Brennstoffgemisch verwendet, das auch in kommerziellen Fusionskraftwerken zum Einsatz kommen wird, was zeigt, welch fortschrittliches Know-how im Laufe der Zeit entwickelt wurde", betonte Fernanda Rimini vom JET. Deuterium und Tritium werden auch schwerer und überschwerer Wasserstoff genannt. Während gewöhnliche Kerne von Wasserstoff-Atomen nur ein Proton enthalten, hat Deuterium zusätzlich noch ein Neutron, Tritium sogar zwei Neutronen im Atomkern. Deuterium lässt sich einfach aus Wasser gewinnen, für Tritium wird Lithium benötigt.
Deuterium und Tritium sollen auch in dem in Bau befindlichen Testreaktor ITER in Südfrankreich zu Einsatz kommen, der - nach vielen Verzögerungen nach derzeitigen Plänen - in den 2030er-Jahren in Betrieb gehen soll. Der "International Thermonuclear Experimental Reactor", an dem China, die Europäische Union, Indien, Japan, Südkorea, Russland und die USA beteiligt sind, soll die wissenschaftliche und technologische Machbarkeit der Fusionsenergie demonstrieren. "ITER wird doppelt so groß wie JET, mit dem zehnfachen Plasmavolumen und einer angepeilten Fusionsleistung von 500 Megawatt - das ist schon vergleichbar mit einem kalorischen Kraftwerk", sagte Harrer.
Ein großes Problem für die Realisierung der Kernfusion ist es, die Wände künftiger Fusionsreaktoren vor dem heißen Plasma zu schützen. Dafür gibt es verschiedene Vorschläge - einige davon wurden bei den abschließenden Experimenten am JET erstmals in einer Deuterium-Tritium-Umgebung getestet.
Darunter war auch ein Betriebs-Szenario, das vor zwei Jahren von den beiden TU-Forschern Friedrich Aumayr und Georg Harrer gemeinsam mit deutschen Kollegen im Fachblatt "Physical Review Letters" vorgestellt wurde. Nachdem sie es bereits an kleineren Maschinen getestet hatten, wurde es nun erstmals am JET erprobt.
Statt großer, potenziell zerstörerischer Instabilitäten des Plasmas ("Typ-I ELM"-Ausbrüche) werden in diesem Betriebsmodus bewusst viele kleine Instabilitäten produziert, die für die Wände des Reaktors unproblematisch sind. Aufgrund dieses Erfolgs sei zu erwarten, dass dieses Szenario auch in zukünftigen größeren Fusionsreaktoren wie ITER umsetzbar sein wird, betonte Harrer. Auch Emmanuel Joffrin vom europäischen Forschungskonsortium EUROfusion freute sich, dass man demonstrieren konnte, "wie wir den Plasmarand in einen stabilen Zustand versetzen und so verhindern können, dass Energieausbrüche die Reaktorwand erreichen".
Am nunmehr stillgelegten JET könne man "immer noch extrem viel lernen", betonte Harrer. Schließlich sei das die erste Deuterium-Tritium-Anlage dieser Größe, die außer Betrieb genommen wird. Bei der Kernfusion fällt zwar im Gegensatz zur Kernspaltung während des Betriebs kein Atommüll an, allerdings werden im Laufe der Jahre die Reaktorwände radioaktiv - was Kritiker der Kernfusion neben den hohen Kosten und dem Zuspätkommen der Technologie für die Energiewende bemängeln. Am Beispiel von JET kann man laut Harrer jedenfalls nun testen, wie man einen Fusionsreaktor abbaut, wie vorsichtig man dabei sein muss und wie lange das dauert.
(SERVICE - JET: https://euro-fusion.org/devices/jet/; ÖAW-Fusionsforschungsprogramm: https://www.oeaw.ac.at/fusion/; ITER: https://www.iter.org/)
Zusammenfassung
- Der europäische Versuchsreaktor JET hat vor seiner Stilllegung einen neuen Energierekord aufgestellt, indem er 69 Megajoule Fusionsenergie erzeugte.
- Trotz des Rekords wurde keine positive Energiebilanz erreicht - es wurde mehr Energie hineingesteckt als herausgekommen ist.
- Ein von österreichischen Forschern mitentwickeltes Betriebsszenario für Fusionsreaktoren wurde erfolgreich erprobt.
- Der in Bau befindliche Testreaktor ITER soll in den 2030er-Jahren in Betrieb gehen und die wissenschaftliche und technologische Machbarkeit der Fusionsenergie demonstrieren.
- Der JET-Reaktor ist die erste Deuterium-Tritium-Anlage dieser Größe, die außer Betrieb genommen wird und bietet somit die Möglichkeit, den Abbau eines Fusionsreaktors zu testen.