Baum-Sterben: Im Waldviertel "ist die Lage apokalyptisch"
"Man sieht es jetzt schon. Wenn man ins Waldviertel fährt, bei Riegersburg, ist die Lage apokalyptisch", schildert die Waldexpertin. "Dort gibt es ehemalige Waldflächen und jetzt ist nichts mehr dort – auf vielen, vielen Hektar. Ich glaube, vielen ist es nicht bewusst, was das heißt, wenn die Fichtenwälder einfach nicht mehr existieren und was uns noch erwartet."
Über die Hälfte des österreichischen Waldes besteht aus Fichten (zum Vergleich: Buche 10 Prozent, Tanne 2,4 Prozent). Genau diese Baumart, wegen ihres schönen Holzes und geraden Wuchses, der "Brotbaum" der Sägeindustrie, wird aber in den nächsten Jahren aus Österreich in den niederen Lagen verschwinden, ist Karin Enzenhofer vom WWF in Gespräch mit PULS 24 überzeugt.
Die Baumart, die von Natur aus höhere Lagen bevorzugt, wurde über Jahrzehnte auch in tiefen Lagen in Monokulturen angepflanzt. Wirtschaftlich gesehen habe das Sinn gemacht. Aber Entscheidungen, die vor 70 bis 80 Jahren getroffen wurden, fallen uns jetzt auf den Kopf.
Risiko "unglaublich hoch"
Fichten-Monokulturen seien durch die Artenarmut von Haus aus sehr trocken. Durch Dürre und Hitzeperioden werden die Monokulturen zunehmend labil, das Risiko für eine Zusammenbruch inzwischen "unglaublich hoch". Zu Wetterextremen kommt der Borkenkäfer. "Die häufigste Borkenkäferart geht nur auf die Fichte", erklärt Enzenhofer. Manchmal springe der Befall auf andere Nadelbäume über, "Laubbäume sind überhaupt nicht betroffen".
"Wälder werden einfach zusammenbrechen"
Im Mühlviertel, Waldviertel aber auch in der Steiermark sehe man die Auswirkungen schon extrem. "Die Fichtenwälder werden einfach zusammenbrechen", prognostiziert Enzenhofer. "Die Fichte wird unter 600 Höhenmeter nicht mehr existieren." Aber auch in höheren Lagen wird der Reinkulturanbau nicht mehr möglich sein.
"Wir sehen momentan, dass das alles viel schneller geht als man glaubt. Meine Einschätzung ist, dass wir das nach wie vor unterschätzt haben. Wir reden von Jahren, nicht von Jahrzehnten." In Osttirol werde sich das Landschaftsbild in den nächsten fünf Jahren "drastisch" ändern. Dort habe man nach dem großen Schneedruck von vor zwei Jahren einen extremen Borkenkäfer-Befall, der nur "ganz schwer" wieder in den Griff zu bekommen sei.
"Spiel mit dem Feuer"
Der Misere kann auf mehrere Wege entgegengewirkt werden. Als Faustregel gilt: Umso länger man wartet, desto schwieriger und teurer wird es. Deshalb müssten bestehende Wälder naturnäher gemacht werden. Statt Monokulturen rät die Expertin zu resilienten Wäldern mit möglichst vielen Baumarten. Mancherorts reagiere man aber genau verkehrt, wiederhole die Fehler der Vergangenheit, bleibe beim Monokulturanbau und wechsle nur die Baumart, zum Beispiel auf Douglasie. Das sei "ein Spiel mit dem Feuer", denn "man sieht schon zum Teil, dass der Borkenkäfer auch auf die Douglasie geht".
Zu viel Wild - kaum Chancen für junge Bäume
Ein Ausweg für Waldbesitzer sei, den Wald zu verjüngen. Die bei uns eigentlich heimischen Buchen-, Tannen- und Fichtenwälder hätten aber kaum Chancen, da der Nachwuchs von Rehen und Hirschen gefressen werde. Seit Jahrzehnten gebe es in Österreich "viel zu viel Wild". "Man darf da nicht mehr zuschauen", sagt Enzenhofer.
Der Forst-Jagd-Dialog sei "vor Ewigkeiten" genau dafür ins Leben gerufen wurden. Das Problem: Es werde zwar viel geredet, aber "es passiert leider gar nichts". Neben höheren Abschussquoten müsste man auch weniger zuzufüttern, damit das System wieder in Balance kommt.
"Konzept der Zukunft"
Dass eine Umstellung auch funktionieren kann, beweisen laut Enzenhofer die Österreichischen Bundesforste. Sie machen die Wälder naturnäher und versuchen, Vorbild für andere zu sein. Die Jagd würde professionalisiert und jedes Jagdrevier würde gesondert betrachtet, um individuell reagieren zu können. Für die Expertin "ein Konzept der Zukunft".
Kahlschlag als teure Sackgasse
Wirklich schwierig wird es, ist der Wald einmal verschwunden. Vom Borkenkäfer befallene Gebiete werden oft vollständig von Bäumen befreit, weil sich der Käfer noch bis zu einem Jahr nach dem Schlägern weitervermehrt. Dadurch wird der Boden aber extrem heiß, es wird kein Wasser mehr gespeichert und es kommt zu CO2-Ausgasung. Der Waldboden verändert sich extrem schnell, Aufforstung ist dann nur noch schwer möglich.
Das Problem betrifft große Flächen: "Es fehlt an Arbeitskräften und Maschinen, während die Kosten enorm hoch sind." Ein Ausweg wäre befallenes Holz an Ort und Stelle zu belassen und "unschädlich" zu machen. Der Borkenkäfer kann sich dann nicht vermehren, der Boden bleibt kühler und feuchter und auf den freien Flächen kommen oft Him- und Brombeeren nach, die das Wild nicht so schätzt. So hat in Folge auch junger Wald die Chance, wieder zu wachsen. "Das dauert natürlich ein bisschen" – auch hier wird alles durch den Klimawandel schwieriger. Bis eine Buche durchkomme, müsse man – vor allem auf Kalkgrund – mit bis zu einem Jahrzehnt rechnen. Aber langfristig gesehen sei natürlicher Nachwuchs das Beste und Kostengünstige. Ein weiterer Vorteil: Die Bäume, die durchkommen, seien auch am besten für das veränderte Klima gerüstet.
Nicht genug Pflanzen für Aufforstung
Teils wird gar nichts anderes übrigbleiben als auf natürlichen Nachwuchs zu warten, denn: "Es gibt gar nicht genug Pflanzen, um aufzuforsten". Gepflanzt werden darf laut Gesetz nur "Pflanzenmaterial" bestimmter Herkunft, um dem heimischen Klima gewachsen zu sein. Und Österreich kann den enormen Bedarf einfach nicht abdecken.
Zusammenfassung
- Dürre, Hitze, Borkenkäfer und jahrzehntelanges Zuschauen: "Ich glaube, vielen ist es nicht bewusst, was das heißt, wenn die Fichtenwälder einfach nicht mehr existieren und was uns noch erwartet", warnt WWF-Waldexpertin Karin Enzenhofer.
- Schon jetzt sei die Lage vielerorts in Österreich dramatisch, die Landschaft ändere sich schneller als sogar Experten befürchtet hätten. Dem Schaden entgegenzuwirken kann Jahrzehnte dauern - immer vorausgesetzt, man kommt endlich in die Gänge.