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1. Taxonomietag: Auch Forscher wollen nicht auf "Rote Liste"

Erstmals findet am 23. Mai der "Taxonomy Recognition Day" statt. Das Datum lehnt sich an den Geburtstag des Geburtshelfers des Forschungsgebiets - den schwedischen Naturforschungs-Pionier Carl von Linné (1707-1778) - an. Sein festgelegtes Schema zur Einteilung der belebten Natur - seine "Taxonomie" - wird heute noch angewendet. Auch angesichts des menschgemachten Artenschwundes ist das wissenschaftliche Feld hochaktuell, an Geld, Anerkennung und Stellen fehle es trotzdem.

"Das Bewusstsein für die Bedeutung der Taxonomie für unser Verständnis und den Schutz der Biodiversität zu schärfen", ist eines der zentralen Ziele der Initiative, die u.a. federführend vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien getragen wird. Während das sechste große Massenaussterben - das erste, für das der Mensch zentral verantwortlich ist - im Gange ist, kämpfen weltweit Wissenschafterinnen und Wissenschafter intensiv darum, eine Übersicht darüber zu schaffen, wie groß die Artenvielfalt auf unserem Planeten eigentlich ist bzw. einmal war.

Diese Geschichte haben Carl von Linné und die frühen Taxonomen nämlich alles andere als fertig geschrieben. Gerade heutzutage gebe es sehr viel zu tun: Von geschätzten acht Millionen Arten weltweit sind erst rund zwei Millionen beschrieben und erfasst, erklärte Nesrine Akkari, die Kuratorin der äußerst umfassenden Tausendfüßer-Sammlung des NHM im Gespräch mit der APA. Alleine in Österreich sind bisher rund 100 Arten der vielfüßigen Krabbeltiere nachgewiesen. Erst vor relativ kurzer Zeit identifizierte Akkari eine neue in der Steiermark, die sich bereits über 60 Jahre unentdeckt in der Sammlung befand. Insgesamt hat die Forscherin bereits um die 60 "neue" Arten wissenschaftlich erstbeschrieben. Darunter sind Funde aus Spanien, Portugal oder Tansania. Selbst wenn manche Menschen diese Tiergruppe vielleicht abstoßend finden: "Ich finde sie faszinierend", betonte Akkari.

In den massiven Schränken des NHM lagern noch viele weitere potenzielle Neuentdeckungen, ist sie sich sicher. In der Natur ist es vielerorts ebenso, noch. So ist die Arbeit der heutigen Taxonomen ein Stück weit auch ein Wettlauf mit der Zeit, denn der fortschreitenden Umweltzerstörung wird immer noch kaum Einhalt geboten. Gleichzeitig wachsen die Sammlungen im NHM etwa durch Schenkungen ständig weiter. Ein Faktum, das für die Finanzierung der Aufarbeitung selbiger keineswegs gilt, wie auch NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland betonte: Das Forschungsfeld sei "gefühlt ein bisschen unsichtbar" - auch weil man es oft mit eher wenig öffentlichkeitswirksamen Tieren zu tun habe, wie eben Käfern oder Tausendfüßern, die eher nur dann für Aufsehen sorgen, wenn sie von ihren Erstbeschreibern mit Namen von Popstars oder verhaltensauffälligen Politikern bedacht werden.

Bei vielen Programmen zur Forschungsförderung schaue das Forschungsfeld derzeit durch die Finger - es gelte vielerorts vielleicht als zu wenig "innovativ", so Vohland. Das bringe Engpässe in der Ausbildung von Experten mit sich. Stellen in dem Bereich sind nicht nur österreichweit rar, erklärte auch der Bioinformatiker und Evolutionsbiologe Martin Kapun. Zu untersuchen gebe es jedoch genug, ist doch die Entstehung jeder Art nur im Zusammenhang mit der Umwelt und deren spezifischen Anforderungen an Pflanzen und Tiere zu verstehen.

Als eine der ersten Tiere, die sich einst an Land gewagt haben, sind die Tausendfüßer den Prozessen der Evolution abseits der Meere schon extrem lange ausgesetzt, aber nicht ausgeliefert. Zu finden sind die anpassungsfähigen Tiere nämlich bis in tiefe Höhlen hinein. Übrigens: Mittlerweile gibt es tatsächlich einen Nachweis eines Vertreters der "Myriapoda", der mehr als 1.000 Beine sein Eigen nennt, wie Akkari ins Treffen führte.

Erst vor kurzem hat Akkari in Kooperation mit Kollegen aus Kopenhagen herausgefunden, dass zwei unterschiedliche Arten über 100 Jahre hinweg fälschlicherweise für ein und dieselbe gehalten wurden. Die zeitgenössische taxonomische Forschung sei auch mit den tradierten Bildern nicht mehr vereinbar: So sieht man sich die Details der "Morphologie" - bei den Tausendfüßern sind es oft die Geschlechtsorgane, die eine Unterscheidung ermöglichen - mit immer besseren Mikroskopen an und analysiert oftmals auch das Erbgut. Letzteres alleine bringe aber oft nichts, "wenn das taxonomische Wissen fehlt", das leider zusehends abhanden komme, sagte Kapun. Zum Glück werde mittlerweile mehr wahrgenommen, "dass wir in einer Biodiversitätskrise leben", gleichzeitig lehrt man aber auch an Schulen immer weniger "Artenkenntnis".

Neue Wege, um das Forschungsfeld weiterzuentwickeln und zu promoten, versucht man daher etwa im Rahmen des internationalen Bildungs- und Innovations-Projekts "TETTRIs" zu beschreiten. Im NHM arbeiten rund 60 Personen in dem Bereich und man ist Teil eines in 21 Ländern Europas verzweigten Netzwerkes, des Konsortiums Europäischer Taxonomischer Einrichtungen (CETAF). Akkari hat zu einer Tausendfüßer-Art, die sie in Spanien entdeckt und beschrieben hat, sogar einen Online-"Avator" entwickelt. Diese virtuelle Repräsentation von "Ommatoiulus avatar" ist seit 2015 für Forschende weltweit frei zugänglich.

Für Vohland, die zu Beginn ihrer Karriere ebenfalls taxonomisch an Tausendfüßern arbeitete, ist all das Grund genug, auch einen Tag nach dem "Recognition Day" einen deutlichen Schwerpunkt etwa im hauseigenen Wissenschaftsvermittlungssaal "Deck 50" auf das Feld zu legen - "weil tatsächlich auch Taxonomen und Taxonominnen auf der 'Roten Liste' stehen", wie Deck 50-Leiterin Ines Méhu-Blantar betonte. Man werde das Thema daher überdies im Rahmen der "Langen Nacht der Forschung" am 24. Mai in und um das NHM hoch halten.

(S E R V I C E - Infos zum "Taxonomy Recognition Day": https://go.apa.at/iEQtHaMe; NHM: https://www.nhm-wien.ac.at/; Lange Nacht der Forschung: https://langenachtderforschung.at/; Vortrag von Nesrine Akkari am 29. Mai: https://www.nhm-wien.ac.at/en/monthly_program/masters_of_the_abyss_1)

ribbon Zusammenfassung
  • Am 23. Mai wird erstmals der 'Taxonomy Recognition Day' begangen, der auf den Geburtstag des schwedischen Naturforschers Carl von Linné zurückgeht.
  • Die Initiative, maßgeblich vom Naturhistorischen Museum Wien getragen, zielt darauf ab, das Bewusstsein für die Bedeutung der Taxonomie zu schärfen.
  • Von den geschätzten acht Millionen Arten weltweit sind bisher nur zwei Millionen beschrieben und erfasst.
  • Die Taxonomie, obwohl essentiell für den Schutz der Biodiversität, leidet unter mangelnder Finanzierung und Anerkennung.
  • Neue Arten werden weiterhin entdeckt, wie etwa eine kürzlich in der Steiermark gefundene Tausendfüßer-Art, die über 60 Jahre unentdeckt blieb.