APA/HELMUT FOHRINGER

Branchenvertreter und Experten warnen: Ohne Lockdown "geht es sich nicht mehr aus"

Mit den steigenden Corona-Zahlen wird der Ruf nach einem harten Lockdown lauter. Neben mehreren Experten, fordern nun auch die Touristiker und die Krebshilfe diese Maßnahme.

Immer mehr Experten sprechen sich für einen Lockdown für alle aus. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen hat am Mittwoch in Österreich einen neuen Rekordwert erreicht. Innerhalb eines Tages sind 14.416 Neuansteckungen hinzugekommen, so viel wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Die Tourismusbranche sieht daher einen sofortigen Handlungsbedarf und spricht sich für einen harten Lockdown aus. Touristiker sehen darin eine Chance, die bevorstehende Wintersaison, die normalerweise erst ab Weihnachten so richtig anläuft, zu retten.

Touristiker für Lockdown bis vor Weihnachten

"Aus touristischer Sicht wäre ein harter Lockdown wahrscheinlich das, was jetzt absolut notwendig wäre", bekräftigte Wifo-Experte Oliver Fritz am Mittwoch im Ö1-"Mittagsjournal". Der erste Schritt wäre wahrscheinlich einen Lockdown in West-Österreich zu verhängen, so Fritz. "Und wenn es um den Tourismus geht, glaube ich, ja, dann brauchen wir einen Lockdown, einen sehr konsequenten, harten Lockdown wahrscheinlich bis vor Weihnachten."

In dieselbe Kerbe schlug die frühere Obfrau der Bundessparte Tourismus in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Petra Nocker-Schwarzenbacher, die ein Hotel in St. Johann im Pongau führt. Sie sei "klar für einen Lockdown", betonte die Branchenkennerin Dienstagnacht in der "ZIB". "Lockdown erstens einmal, um auch das Gesundheitssystem zu entlasten und da einmal eine Verschnaufpause herbeiführen zu können. Und was wir dringend brauchen, aus touristischer Sicht, ist, dass wir die Zahlen endlich nach unten drücken."

Für Markus Gratzer, Generalsekretär der ÖHV gleichen die aktuellen Corona-Rahmenbedingungen einem "Gift-Cocktail".

Krebshilfe fordert Regierung zum Handeln auf

Auch die Österreichische Krebshilfe verlangt wegen "Gefahr in Verzug" sofortige Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Darunter ist auch die Forderung nach einem "Lockdown für geimpfte und ungeimpfte Menschen in ganz Österreich - zumindest in den Bundesländern Oberösterreich und Salzburg", hieß es am Mittwoch in einer Aussendung. Das sei nötig, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung im intensivmedizinischen Bereich (Herz- und Krebsoperationen, Unfälle etc.) zu gewährleisten.

"Noch nie zuvor gab es in Österreich die Situation, dass Krebspatientinnen und -patienten fürchten mussten, nicht entsprechend medizinisch versorgt zu werden", sagte Krebshilfe-Präsident Paul Sevelda. "Wir erwarten von den politisch Verantwortlichen, dass sie zum Wohl der Bevölkerung endlich handeln und Parteiinteressen hintanstellen", forderte der Mediziner.

Das denken die Wiener über den Lockdown: "Man kann nur hoffen"

PULS 24 hat sich auf Wiens Straßen umgehört, ob die Menschen glauben, dass ein Lockdown noch verhindert werden kann.

Ohne Lockdown "geht es sich nicht mehr aus"

Mit dieser Forderung folgen die Tourismusbranche und die Krebshilfe den Empfehlungen einiger Experten, Mediziner und Virologen.  Ohne "kurzen, harten Lockdown, um die Zahlen massiv nach unten zu bringen", werde es vermutlich nicht gehen, sagte der Mikrobiologen Michael Wagner von der Uni Wien zur APA. Die Schulen könnte man nur mit einem "wirklich stringenten Schutzkonzept offenhalten".

Ein solches "haben wir momentan nicht, müssten es aber nun in wenigen Tagen aufbauen", so der Initiator des SARS-CoV-2-Schulmonitorings. Mit den jetzt gesetzten gesamten Maßnahmen könne es zwar zu einer Stabilisierung des Infektionsgeschehen auf hohem Niveau kommen, viel mehr Effekt traut Wagner der aktuellen Reaktion auf die hohe vierte Welle nicht zu. Sättigungseffekte durch viele bereits Infizierte könnten dazu beitragen, die Welle zu brechen, aber niemand könne präzise genug vorhersagen, wann dies der Fall sein wird.

Das Problem sei: "Wir haben eigentlich gar keinen Spielraum mehr für Experimente." Ein Lockdown bringe aber mittelfristig nur etwas, wenn die dadurch gewonnene Zeit genützt wird, um endlich die dringend notwendige hohe Impfquote in Österreich zu erreichen. Hier sei die Politik gefordert.

"Es geht sich sonst (ohne Lockdown, Anm.) nicht mehr aus", sagte auch Rainer Thell, leitender Oberarzt der Notfallaufnahme in der Klinik Donaustadt, ehemals SMZ Ost, im Gespräch mit der APA. "Es kann nicht sein, dass in Salzburg Menschen sterben, keine mutigen Entscheidungen getroffen werden, die auf der Hand liegen", kritisiert er.

Lukas Weseslindtner, Virologe an der MedUni Wien, spricht im Interview bei PULS 24 über die aktuelle Lage in der Corona-Pandemie.

Für Lukas Weseslindtner, Virologe an der MedUni Wien, wird es vom Verhalten der Menschen abhängen, ob ein weiterer Lockdown zu verhindern ist. "Die Pandemie ist eine Naturkatastrophe", betont Weseslindtner im PULS 24-Interview. Der Virologe der MedUni Wien appelliert an die Menschen in Österreich: Es gelte jetzt "bestimmte Maßnahmen für uns und für die Gemeinschaft einzuhalten". Dann bräuchte es auch keinen Lockdown.

Mathematiker Peter Markowich von der Uni Wien macht im Interview mit PULS 24 seinem Ärger über die lange Untätigkeit der Regierung Luft.

Bei Peter Markowich, Mathematiker an der Universität Wien und Professor für Angewandte Mathematik an der Universität Cambridge, schrillen die Corona-Alarmglocken inzwischen "vierfach so laut".  Kanzler Schallenberg hätte "das Buch der Pandemie nicht von hinten nach vorne lesen müssen, wenn er zugehört hätte, was die Wissenschaftler ziemlich einhellig die ganze Zeit gesagt haben". 

Um einen strengen Lockdown inklusive Schulschließungen werde man deshalb "unnötigerweise" nicht herumkommen. "Das Ganze ist auf das Zaudern, auf die Handlungsunfähigkeit der österreichischen Politik zurückzuführen." 

Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant beim Roten Kreuz spricht sich im Interview mit PULS 24  für einen harten Lockdown aus.

Foitik für "Wellenbrecher-Lockdown"

Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant beim Roten Kreuz, fordert im Interview mit PULS 24 einen "Wellenbrecher-Lockdown" für Ungeimpfte und Geimpfte. Wir seien "leider in einer Situation, wo sich zu viele infizieren", zu viele würden auch erkranken. "Das überlastet das Gesundheitssystem", so Foitik. Deshalb hat er der Regierung seinen eigenen Plan vorgestellt: Es brauche einen kurzen "Wellenbrecher-Lockdown" für alle - also für Geimpfte und Ungeimpfte. Dieser solle zwei bis drei Wochen dauern. Nur so könne die Reproduktionszahl "wieder unter 1 gedrückt" werden. 

Rainer Will, Vorsitzender des Handelsverbandes, spricht mit PULS 24 über die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf den Handel.

Lockdown für Handel "Katastrophe pur"

Für den Handel wäre Zusperren sechs Wochen vor Weihnachten "die Katastrophe pur", sagte Handelsobmann Rainer Trefelik vor einigen Tagen zu den "SN". Trefelik sprach von einem "Nackenschlag für die Betriebe, die Ware eingekauft und sich vorbereitet haben und nun vor demselben Dilemma stünden wie im Vorjahr".

Im vergangenen Jahr hat das Weihnachtsgeschäft für die meisten Branchen erst am 7. Dezember begonnen. Auch das wichtige Geschäft nach Weihnachten wurde mit einem Lockdown abgewürgt.

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  • Mit den steigenden Corona-Zahlen wird der Ruf nach einem harten Lockdown lauter. Neben mehreren Experten, fordern nun auch die Touristiker und die Krebshilfe diese Maßnahme.