Impfdebatte beschäftigt die Sportwelt
Aaron Rodgers in der NFL. Kyrie Irving in der NBA. Franziska Gritsch im Skisport. Oder Joshua Kimmich im Fußball. Was diese Sportlerinnen und Sportler eint, ist, dass sie in den letzten Monaten nicht nur mit sportlichen Leistungen auf sich aufmerksam gemacht haben, sondern mit einer Entscheidung. Sie alle verzichteten bisher auf eine Impfung gegen das Coronavirus.
Diese vier Athletinnen und Athleten sollen keineswegs als Sündenböcke an den Pranger gestellt werden. Viel mehr verkörpern sie exemplarisch für den Spitzensport jene Meinung, die knapp ein Fünftel der impfbaren Bevölkerung in Österreich vertritt. Die Corona-Krise hat nicht nur das allgemeine Leben, sondern auch die Sportwelt fest im Griff. Die Debatte, um die Impfung ist allgegenwärtig.
Leistungssport ist "Spiegel der Gesellschaft"
Aufgrund der medialen Diskussionen, möchte man meinen, im Leistungssport seien überproportional viele Athletinnen und Athleten nicht geimpft. Das ist allerdings wohl nicht der Fall. Die österreichische Fußball-Bundesliga gab vor wenigen Wochen eine Impfquote von 76 Prozent bekannt. Im österreichischen Ski-Verband sind im Hochleistungssportbereich sogar 90 Prozent geimpft. Die National Hockey League gab bereits vor der Saison bekannt, dass fast alle Sportler vollständig geimpft seien.
In dieselbe Kerbe, schlägt auch Sportmediziner Jürgen Scharhag. Er ist Vorstand und Ärztlicher Leiter des Österreichischen Instituts für Sportmedizin an der Universität Wien und betreut als Teamarzt unter anderem die deutsche U21-Nationalmannschaft und den Österreichischen Segelverband. Für ihn ist der Leistungssport ein "Spiegel der Gesellschaft". Scharhag berichtet, dass er und sein Team im Vorfeld der Olympischen Spiele und der U21-EM Aufklärung betrieben habe in Form von Informationsschreiben und Gesprächen mit Trainern und Athleten. Diese seien sehr gut angenommen worden, eine absolute Minderheit habe sich nicht impfen lassen.
Impfung für Sportlerinnen und Sportler kein höheres Risiko
Dass die Corona-Impfung bei Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern anders zu beurteilen wäre als beim Rest der Bevölkerung, trifft nicht zu, so Scharhag, der auch als Mitglied der Medizinischen Kommission des Österreichischen Olympischen Comité (ÖOC) fungiert. "Man kann Sportler natürlich ganz normal impfen", so der Sportmediziner. Sein Kollege Robert Fritz pflichtet ihm bei, verweist jedoch darauf, dass man in hohen Belastungszyklen aufpassen müsse: "Eine Impfung zeitnah vor einem Event macht keinen Sinn. Daher wäre für fast alle Sportler, die noch nicht geimpft sind, jetzt der perfekte Zeitpunkt." meint Fritz, Mitbegründer der "Sportordination", einem der größten sportmedizinischen Institute in Europa. In der Regenerationswoche sei eine Impfung bedenkenlos möglich, fügt er an.
Schonung ist jedoch nach der Impfung angesagt. Das nationale Impfgremium veröffentlichte vor wenigen Tagen folgende Empfehlung: "Innerhalb von drei Tagen nach der Impfung wird körperliche Schonung empfohlen, Leistungssport sollte für eine Woche vermieden werden", heißt es. Diese Maßnahme für Leistungssportler hält Scharhag, wie auch seine Kollegen Niebauer und Schobersberger, Leiter der sportmedizinischen Institute in Salzburg bzw. Innsbruck, für "überzogen". Er und seine Kollegen empfehlen in den 72 Stunden nach dem Stich körperliche Schonung.
Auch Fritz meint: "Nach ein, zwei lockeren Tagen, kann man im Normalfall wieder ins Training einsteigen."
Risiko einer Infektion "um vielfaches höher"
Aus sportpsychologischer Sicht seien die Ängste nicht zu begründen. Auf PULS 24-Anfrage heißt es aus dem Institut für Sportpsychologie der Uni Wien, dass man die Skepsis nicht verstehe und dies eher eine Frage für Mediziner bzw. die Sportler selbst sei.
Sportmediziner Jürgen Scharhag mahnt, man müsse Bedenken aufgrund der Impfung verstehen und ernst nehmen. Gerade für Leistungssportler kann während einer Saison selbst ein Ausfall von wenigen Tagen aufgrund von akuten Impfbeschwerden ein Einschnitt sein. Ganz vereinzelt kann es zu Herzmuskelentzündungen nach der Impfung kommen. Eine aktuelle Studie aus den USA weisen darauf hin, dass dies in etwa einem von 100.000 Fällen passiert.
In Österreich wurden bisher 123 Fälle einer vermuteten Herzmuskelentzündung nach einer Covid-19-Impfung registriert – bei mehr als elf Millionen Impfungen, sagte Barbara Tucek vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitsministerium vor wenigen Tagen im "Ö1 Mittagsjournal". Unter dem Strich kann man jedoch Entwarnung geben, sagt Scharhag. "Es gibt eigentlich keinen Grund sich deshalb nicht impfen zu lassen." Robert Fritz sieht die Lage ähnlich: "Angst und Unsicherheit verstehe ich total. Eine völlige Ablehnung der Impfung kann ich nicht nachvollziehen", so der Mediziner, der sich für vernünftige Aufklärung ausspricht anstatt zu "stigmatisieren."
Das Risiko einer Corona-Infektion sei auch für Spitzensportler "um ein Vielfaches" höher als das Risiko möglicher Impfschäden. Österreichs NHL-Export Marco Rossi kann ein Lied davon singen. Der 20-Jährige wurde vergangenen Winter besonders hart von einer Corona-Infektion getroffen und verpasste seine komplette Debütsaison in der National Hockey League. Rossi, der eine Herzmuskelentzündung als Folge der Infektion erlitt, berichtete im Nachhinein er habe "Angst gehabt nicht mehr aufzuwachen."
"Wahrscheinlich die sicherste Impfung, die es gibt"
Prinzipiell ist Rossi jedoch die Ausnahme von der Regel. Scharhag berichtet von vielen jungen, gesunden Leistungssportlern, bei denen die Infektion asymptomatisch verlaufen sei. Dennoch seien die Infektion und Long Covid Erscheinungen gerade für Athletinnen und Athleten nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, so Robert Fritz: "Ein schwerer Verlauf kann das Karriereende und noch schlimmeres bedeuten."
Die breite Impfskepsis können die Mediziner nicht ganz nachvollziehen. "Es ist wahrscheinlich die sicherste Impfung, die es gibt", meint Scharhag und fügt an, dass noch nie eine Impfung in einem so großen Umfang überprüft wurde und so viel Aufmerksamkeit erhielt.
Auch das Warten auf die Zulassung eines Totimpfstoffes, wie es Dominic Thiem ursprünglich plante, kann Scharhag nicht nachvollziehen. "Ich weiß nicht, ob der Totimpfstoff eventuell nicht sogar mehr Nebenwirkungen mit sich bringt", so der Mediziner.
Keine breite Impf-Skepsis unter Sportmedizinern
Noch nie habe es eine Impfung gegeben, die so kritisch beäugt wurde, sowohl von der Wissenschaft als auch von der Öffentlichkeit. Breite Skepsis unter Sportärzten herrsche jedoch nicht, berichten sowohl Fritz als auch Scharhag, der mit vielen Kollegen in Österreich oder Deutschland in Kontakt steht, so zum Beispiel auch mit dem Teamarzt der deutschen Fußballnationalmannschaft Prof. Tim Meyer.
Erst vor wenigen Wochen, sorgte in Österreich die Debatte, um den Impf-Status des ÖFB-Teamarzt Michael Fiedler für Aufsehen. Dass man sich als Mediziner skeptisch gegenüber der Impfung zeigt, versteht Scharhag "offen gesagt nicht". "Wir sollten es eigentlich besser wissen."
Er betont jedoch, dass er nicht "den Stab über einen Kollegen brechen" wolle. Schlussendlich sei es eine persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen. Die Gründe würden auch niemanden etwas angehen.
Bedenken wegen Langezeitnebenwirkungen unbegründet
Einer der seine Gründe offen auf den Tisch legt, ist Joshua Kimmich. Der Bayern-Profi erklärt seinen Impfverzicht mit Bedenken wegen fehlender Langzeitstudien. Mit diesen Zweifeln räumt Jürgen Scharhag, wie bereits viele Medizinerinnen und Mediziner vor ihm, auf: "Der größte Teil der Nebenwirkungen tritt wenige Wochen nach der Impfung auf. Das Risiko, dass – insbesondere bei der immens hohen Zahl an weltweiten Impfungen mit Beobachtungszeiträumen von mittlerweile einem halben bis fast einem Jahr – jetzt noch neue Nebenwirkungen entdeckt werden, sei "sehr, sehr gering". Joshua Kimmich hat sich, wie am Mittwoch bekannt wurde, mit dem Coronavirus infiziert. "Ich wünsche ihm, dass die Infektion nicht so schlimm verläuft", sagt Scharhag, der ihn während seiner Zeit bei der deutschen U21-Fußball-Nationalmannschaft betreute.
Olympische Spiele nur mit Impfung
Fakt ist für immer mehr Sportlerinnen und Sportler wird die Impfung beinahe obligatorisch. Bei den Olympischen Spielen in Peking in Februar dürfen nur geimpfte Personen teilnehmen. Auch die Australian Open machen keine Ausnahme für ungeimpfte Spielerinnen und Spieler. Novak Djokovic ließ seine Teilnahme an dem Event bisher offen.
Für viele Sportlerinnen und Sportler ist zudem aufgrund der nationalen Bestimmungen eines Landes oder einer Region eine Impfung unumgänglich. Aus diesem Grund fällt für Franziska Gritsch der Weltcup in Killington flach. Aus diesem Grund hat Kyrie Irving heuer noch kein NBA-Spiel für die Brooklyn Nets absolviert.
Genauso wie die Corona-Pandemie samt Impf-Debatte die Gesellschaft noch eine Zeit lang beschäftigen wird, wird sie auch im Sport allgegenwärtig bleiben. Jürgen Scharhag hat einen Appell an ungeimpfte Sportlerinnen und Sportler: "Es stellt sich nicht die Frage, ob man an COVID erkrankt, sondern wann man an COVID erkrankt. Da Leistungs- und Profisportler viel reisen und durch ihren Sport mehr und engere Kontakte haben, ist es für sie besonders wichtig, sich impfen zu lassen."
Scharhag betont er könne als Mediziner nur zur Impfung raten, letztendlich bleibe es aber eine persönliche Entscheidung. Einer Impfpflicht steht auch Robert Fritz zwiegespalten gegenüber, betont aber, dass diese möglicherweise notwendig sei. "Wir können nur weiter aufklären und jene Personen überzeugen, die berechtigte Ängste und Sorgen haben" so Fritz.
Zusammenfassung
- Auch in der Sportwelt hat das Thema Corona-Impfung in den vergangenen Wochen breite Diskussionen hervor gerufen. In verschiedensten Sportarten sprachen sich vereinzelt Athletinnen und Athleten gegen eine Impfung aus.
- Sportmediziner Jürgen Scharhag klärt über das Thema Corona-Impfung im Spitzensport auf. "Es ist wahrscheinlich die sicherste Impfung, die es gibt", meint er.
- "Es stellt sich nicht die Frage, ob man an Corona erkrankt, sondern wann man an Corona erkrankt. Leistungssportler haben länger mit Corona zu kämpfen, daher ist es insbesondere für sie wichtig, sich impfen zu lassen", so der Sportmediziner.
- Erst vor wenigen Wochen, sorgte in Österreich die Debatte, um den Impf-Status des ÖFB-Teamarzt Michael Fiedler für Aufsehen.
- Dass man sich als Mediziner skeptisch gegenüber der Impfung zeigt, versteht Scharhag "offen gesagt nicht". "Wir sollten es eigentlich besser wissen."
- Fakt ist für immer mehr Sportlerinnen und Sportler wird die Impfung beinahe obligatorisch. Bei den Olympischen Spielen in Peking in Februar dürfen beispielsweise nur geimpfte Personen teilnehmen.