Was passiert gerade im Sudan? Die wichtigsten Fragen und Antworten
Im Sudan gehen die Gefechte weiter. Hintergrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen in dem nordostafrikanischen Land ist die Rivalität zwischen Machthaber und Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, dem Anführer der paramilitärischen Miliz RSF (Rapid Support Forces). Der Konflikt hatte sich bereits länger angekündigt. Die wichtigsten Informationen zur Lage.
Warum kommt es zu Kämpfen in dem Land?
Im Sudan stehen sich zwei große Militärapparate gegenüber. Die sudanesischen Streitkräfte unter Machthaber General Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces unter Führung seines Stellvertreters Mohammed Hamdan Daglo. Seit Wochen kam es wegen der geplanten Integration der RSF in die sudanesische Armee zu Spannungen zwischen den beiden Militärführern. Es ist wohl die Frage, wer künftig das Oberkommando über die Truppen erhalten würde, die schließlich zu der gewaltsamen Eskalation geführt hat.
Wer kontrolliert aktuell das Land?
Die Lage ist unübersichtlich. Sowohl die Armee als auch die RSF berichteten am Wochenende von einzelnen eingenommenen Militärstützpunkten. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Behauptungen zunächst nicht. Die Armee hat seit dem Sturz des Langzeitmachthabers Omar al-Bashir 2019 faktisch die Kontrolle über das nordostafrikanische Land mit rund 46 Millionen Einwohnern. Bisher arbeitete diese eng mit den RSF zusammen.
Wer steckt hinter der RSF-Miliz?
Die Rapid Support Forces (RSF) wurden 2013 gegründet. Der paramilitärischen Truppe gehören tausende ehemalige Kämpfer der berüchtigten arabischen Janjaweed-Miliz an, die der islamistische Machthaber Bashir gegen nicht-arabische ethnische Minderheiten in der westlichen Region Darfur einsetzte. Im Darfur-Konflikt ab 2003 wurden nach UN-Angaben 300.000 Menschen getötet und 2,5 Millionen vertrieben.
Der Internationale Strafgerichtshof klagte Bashir deshalb wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord an. 2015 schloss sich die RSF der von Saudi-Arabien geführten Koalition im Krieg im Jemen an. Laut Experten kämpften einige Milizionäre auch in Libyen. 2019 wurden die Paramilitärs beschuldigt, in Khartum rund 100 prodemokratische Demonstranten getötet zu haben. "Die RSF hat seit 2019 weiter an Stärke gewonnen", sagt Alan Boswell, Experte für die Region bei der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group.
Wie war die politische Lage im Sudan bis zur Eskalation der Gewalt?
Unter Langzeitmachthaber Omar al-Bashir war der Sudan zuletzt in eine verheerende Wirtschaftskrise geraten. Preise für Lebensmittel und Benzin stiegen dramatisch an. Nach Massenprotesten der Bevölkerung musste al-Baschir 2019 nach einem Militärputsch sein Amt aufgeben. Eigentlich sollte eine zweijährige Übergangsphase zu demokratischen Wahlen folgen. Eine zwischenzeitlich vom Militär eingesetzte und kontrollierte Zivilregierung unter der Leitung von Premierminister Abdalla Hamdok konnte das Land allerdings nicht stabilisieren. Al-Burhan setzte diese 2021 erneut ab.
In diesem April hätte die Militärregierung erneut Kompetenzen an zivile Politiker abtreten sollen. Eine Voraussetzung war aber: Die RSF-Truppen hätten in die sudanesische Armee eingegliedert werden müssen. Der Streit hatte den Demokratisierungsprozess erneut verzögert.
Welche ausländischen Mächte haben im Sudan Einfluss?
Beide Militärführer können sich auf regionale Verbündete verlassen. Laut Rashid Abdi, Sudan-Experte des Thinktanks Shahan, der sich auf das Horn von Afrika spezialisiert hat, unterstützen Äthiopien und Eritrea Daglo, Ägypten hingegen al-Burhan. Hintergrund ist ein Streit um ein Staudammprojekt am Nil in Äthiopien. Ägypten versucht dieses gemeinsam mit dem Sudan zu verhindern. Das wohlhabende Saudi-Arabien wiederum sieht sich als Vermittler.
Soldaten und Kämpfer der RSF unterstützen zudem das von Saudi-Arabien geführte Militärbündnis im Krieg gegen die Huthi-Rebellen im Jemen. International rückte der Sudan zuletzt nach einem Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in den Fokus. Die Russen planen einen Marinestützpunkt an der sudanesischen Küste am Roten Meer. Das führte zuletzt zu Spannungen mit den USA, die Sorge um ihren Einfluss in der Region haben.
Spielt Ex-Machthaber Omar al-Bashir in dem Konflikt eine Rolle?
Der Sudan wurde fast 30 Jahre lang von Omar al-Bashir diktatorisch regiert. Obwohl das Militär den Langzeitmachthaber 2019 endgültig entmachtete, gingen dem Sturz al-Bashirs demokratische Massenproteste der Bevölkerung voraus. Im Anschluss wurde der 79-Jährige von einem sudanesischen Gericht wegen Korruption zu lediglich zwei Jahren Haft verurteilt. Zudem muss sich al-Bashir vor Gericht wegen seines Putsches aus dem Jahr 1989 verantworten. Im schlimmsten Fall droht ihm die Todesstrafe.
Gleichzeitig gibt es in der Bevölkerung noch Anhänger des alten Machthabers. Vor allem islamistische Gruppen betrachten den Demokratisierungsprozess als vom Westen aufgezwungen. Zuletzt kam es bei einer Versammlung, an der laut Berichten auch al-Bashir-Anghänger teilnahmen, zu Morddrohungen gegen den UNO-Sonderbeauftragen Volker Perthes.
Wie wird sich der Konflikt entwickeln?
Beobachter rechnen damit, dass der Konflikt weiter eskalieren wird. "Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie an den Verhandlungstisch zurückkehren, bevor eine oder beide Seiten schwere Verluste erlitten haben", sagt die Wissenschafterin Kholood Khair vom Forschungszentrum Confluence Advisory in Khartum. "Beide Kontrahenten sind stark genug, dass ein Krieg zwischen ihnen extrem kostspielig, tödlich und langwierig sein wird", erklärt auch der Experte Boswell. Und selbst wenn eine Partei in der Hauptstadt siege, "wird der Krieg anderswo im Land weitergehen", befürchtet Boswell. "Wir befinden uns bereits in einem Worst-Case-Szenario und steuern auf noch dramatischere Ereignisse zu", die Auswirkungen auf die gesamte Region haben könnten.
Zusammenfassung
- Bei schweren Kämpfen im Sudan sind seit dem Wochenende mehr als hundert Menschen getötet und viele weitere verletzt worden - darunter auch zahlreiche Zivilisten.
- Warum kam es zu den Gewaltausbrüchen und wer steckt hinter den beiden Parteien?
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zur aktuellen Situation.