Van der Bellen entschuldigt sich bei Kärntner Slowenen
Van der Bellen und der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) hatten Pahor am Samstagvormittag mit militärischen Ehren im Landhaushof empfangen. Pahor nahm als erster Spitzenvertreter des südlichen Nachbarlandes an der Feier teil, die jahrzehntelang eine Machtdemonstration deutsch-nationaler Kräfte gewesen war. Dass die Stimmen der slowenischsprachigen Bevölkerung Südkärntens für Österreich entscheidend gewesen waren, "wurde viele Jahre bei den 10.-Oktober-Feierlichkeiten verschwiegen", räumte Kaiser in seiner Festansprache ein. Diesmal hoben mehrere Festredner diese Tatsache hervor, darunter auch der Bundespräsident.
Der slowenische Präsident konzentrierte sich in seiner Rede auf die positiven Aspekte der jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte. "In diesem wunderschönen Wappensaal hat der Fürstenstein seine Heimat gefunden. Auf ihm haben die Herrscher in slowenischer Sprache ihren Eid geleistet, später auf Deutsch. Nicht jedes Volk hat so einen Stein, auf dem es aufbauen kann. Unsere beiden Völker teilen sich ihn, er gehört beiden", sagte der mit stehenden Ovationen bedachte slowenische Präsident. Wie Van der Bellen beschwor er die gemeinsame europäische Zukunft der beiden Nachbarländer. "Europa ermöglicht uns zu sein, was wir sind. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können die Zukunft ändern. Das Glück ist auf der Seite der Mutigen", sagte er.
"Kärnten ist einen weiten Weg gegangen, einen Weg der Versöhnung", sagte Van der Bellen. "Manch offene Wunde ist weitgehend verheilt." Zugleich übte der Selbstkritik und meinte, dass Österreich den in Artikel 8 der Bundesverfassung dargelegten Minderheitenschutz nicht immer gerecht geworden sei.
"Für das erlittene Unrecht und für die Versäumnisse bei der Umsetzung von verfassungsmäßig garantierten Rechten möchte ich mich hier und heute als Bundespräsident bei Ihnen, liebe Angehörige der slowenischen Volksgruppe, entschuldigen", sagte der Bundespräsident unter dem Applaus der Teilnehmer des Festaktes in deutscher und slowenischer Sprache.
Der Vorsitzende der größten Dachorganisation der Kärntner Slowenen, Valentin Inzko, reagierte überrascht und erfreut auf die "historische Entschuldigung" des Bundespräsidenten. "Die heutige Entschuldigung haben wir nicht erwartet. Auf dieser neuen Grundlage können wir weiter aufbauen", teilte der Chef des Rates der Kärntner Slowenen der APA mit.
Als "unangebracht" bezeichnete hingegen FPÖ-Chef Norbert Hofer die "Demutsgesten" des Bundespräsidenten. "Die einseitige Entschuldigung des Bundespräsidenten bei den Kärntner Slowenen ist für die Kärntner Einigung nicht hilfreich", erklärte Hofer in einer gemeinsamen Aussendung mit dem FPÖ-Landeschef Gernot Darmann. Vor der Feier hatte Hofer gegenüber der APA lobende Worte für die gemeinsame Feier der beiden Präsidenten gefunden und sie als "sehr, sehr ehrenvoll" bezeichnet.
Kaiser sagte in seiner Rede, dass das Land Kärnten "ganz bewusst" das EU-Motto "In Vielfalt geeint" für das 100-Jahr-Jubiläum gewählt habe. "Die wechselvolle Geschichte der Kärntnerinnen und Kärntner ist inklusive der vielen schmerzvollen Erfahrungen geradezu symbolhaft für die gesamteuropäische Entwicklung", sagte er. Der SPÖ-Politiker dankte explizit seinem Vorgänger Gerhard Dörfler (FPÖ) für die Lösung der Ortstafel-Frage im Jahr 2011, während er zugleich Kritik an Minderheitenvertretern anklingen ließ. "Justament-Standpunkte mit überzogenen Forderungen helfen letztendlich niemandem", sagte Kaiser. Als "Ironman-Finisher" wisse er, dass es immer darauf ankomme, "das Ziel im Auge zu behalten, das Tempo einzuhalten, manchmal das Tempo etwas zurückzunehmen".
Ein klares Bekenntnis zum Minderheitenschutz legten auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und die für Volksgruppen zuständige Ministerin im Kanzleramt, Susanne Raab (ÖVP), ab. Es sei eine "historische Verantwortung" Österreichs, den Bestand seiner sechs Volksgruppen nachhaltig zu sichern, sagte Raab. "Wir bekennen uns vollumfänglich zu Artikel 8 Absatz 2 unserer Bundesverfassung", hielt Kogler fest. Beide verwiesen auch auf die kurz vor dem Jubiläum beschlossene Verdoppelung der - seit 25 Jahren nicht valorisierten - Volksgruppenförderung. Raab wertete die Teilnahme Pahors als "wunderschönes Zeichen" und "wertvolle Geste". Kogler äußerte vor diesem Hintergrund die Hoffnung, "dass der 10. Oktober in Zukunft doch noch ein Feiertag für die slowenische Volksgruppe werden kann".
Positive Töne schlug der Festredner der slowenischen Volksgruppe, Manuel Jug, an. Die großen Konflikte seien "überwunden" und es würden "zunehmend neue Perspektiven eingenommen", sagte der 23-jährige Vorsitzende des Zentralverbandes slowenischer Organisationen. Er dankte dabei auch dem Team der SPÖ-ÖVP-Landesregierung, "das sich vorbildlich für die Belange der slowenischen Volksgruppe einsetzt und die Zweisprachigkeit, beispielsweise im Rahmen von Carinthija2020, auch vorlebt". "Wir brauchen Versöhnung, Empathie und auch das Aufeinander-Zugehen. Wir brauchen einfach Liebe", sagte er unter lang anhaltendem Applaus.
Bundespräsident Van der Bellen und sein slowenischer Amtskollege Pahor schlossen ihr gemeinsames Gedenken an den 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung am Samstagnachmittag mit der Eröffnung eines zweisprachigen Kindergartens der katholischen Mohorjeva/Hermagoras in Klagenfurt ab. Van der Bellen und Pahor hätten Kärnten "einen großen Tag" bereitet, sagte der Kärntner Landeshauptmann Kaiser bei der Verabschiedung.
Auch die beiden Staatsoberhäupter waren nicht um bedeutungsvolle Worte verlegen. "Heute scheint die Sonne. Möge sie nie untergehen", sagte Pahor. Van der Bellen sprach von einem historischen Tag und meinte, dass "ein Weg zurück" zur Situation von vor 20 Jahren "nicht möglich" sei.
Kaiser bedankte sich "namens Kärntens" für die Feier. "Ihr habt uns einen großen (Tag) - velik dan beschert", verfiel der Landeschef in ein bei vielen zweisprachigen Bewohnern des Landes übliches Kauderwelsch. "Ohne euch wäre es nicht möglich gewesen."
"Am Ende des Tages muss die Volksgruppe selbst kämpfen für ihre Rechte, aber es ist gut, dass wir solche Freunde in Wien und Ljubljana haben", sagte auch der Direktor des Hermagoras-Vereines, Karl Hren.
Unter den Festgästen befand sich auch die Kärntner Bundesministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sowie die slowenische Ministerin für Auslandsslowenen, Helena Jaklitsch. Entgegen ursprünglichen Erwartungen nicht gekommen war der slowenische Außenminister Anze Logar. Sein Ministerium äußerte sich in einer Aussendung zum 10. Oktober, in der unter anderem neuerlich auf eine Erfüllung von Artikel 7 des Staatsvertrags gepocht wurde.
Während Raab und Jaklitsch am späten Nachmittag in der Rosentaler Gemeinde St. Jakob an einer lokalen Gedenkfeier teilnehmen wollten, hatten die beiden Präsidenten noch zwei symbolische Akte auf dem Programm. Zunächst sollte eine zweisprachige Skulptur des Künstlers Thomas Hoke im Amt der Kärntner Landesregierung eingeweiht werden. Danach wollten Van der Bellen und Pahor einen zweisprachigen Kindergarten in Klagenfurt eröffnen.
Ganz einhellig war die Feierstimmung in Klagenfurt jedoch nicht. Vertreter der Kärntner slowenischen Jugend hielten am frühen Nachmittag in der Klagenfurter Innenstadt eine Protestkundgebung ab, um für Minderheitenrechte und gegen die fortgesetzte Ehrung von umstrittenen Abstimmungshelden wie dem Ex-Nazi Hans Steinacher zu protestieren. In einer Unterkärntner Gemeinde war Steinacher erst in der Vorwoche ein neues Denkmal enthüllt worden. Van der Bellen hatte im APA-Interview gesagt, dass er solche Akte "nicht nachvollziehen" könne.
Das damals überwiegend slowenischsprachige Südkärnten war nach dem Ersten Weltkrieg vom damaligen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen beansprucht und besetzt. Dies führte zum Kärntner Abwehrkampf mit rund 400 Toten. Bei der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 votierten die Bewohner der Abstimmungszone, die auch die südliche Hälfte des Wörthersees umfasste, mit 59 Prozent für Österreich. Damit blieb die Gebirgskette der Karawanken die südliche Landesgrenze Kärntens.
Zusammenfassung
- Zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung haben Österreich und Slowenien einen historischen Versöhnungsakt gesetzt.
- "Manch offene Wunde ist weitgehend verheilt."