Ukraine plant Gegenoffensive - und spielt in Bachmut auf Zeit

Die Ukraine bereitet sich auf eine Gegenoffensive vor. Der erbitterte Kampf um Bachmut in der Ostukraine soll dazu beitragen, Zeit für die Vorbereitung einer Gegenoffensive gegen die russische Armee zu gewinnen. Beiden geht jedoch die Munition aus.

Im Osten der Ukraine klagen nach monatelangen schweren Kämpfen inzwischen beide Kriegsparteien über fehlende Munition. In der Schlacht um die weitgehend zerstörte Stadt Bachmut rufen die russischen Angreifer um die Söldnertruppe Wagner ebenso nach Nachschub wie die Verteidiger.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wandte sich mit der Bitte um Munition am Wochenende direkt an Deutschland. Allen Klagen zum Trotz gingen die Gefechte in unverminderter Härte weiter.

Der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj drängte in einem Telefonat mit US-Generalstabschef Mark Milley auf neue Munition und Technik. Zudem müsse die Flugabwehr seines Landes verstärkt werden, sagte er offiziellen Angaben zufolge. Außenminister Kuleba sagte der "Bild am Sonntag", die fehlende Munition sei das Problem "Nummer eins" im Kampf gegen die russischen Besatzer. "Deutschland könnte wirklich mehr bei der Munition helfen. Mit Artillerie-Munition."

Auch der Söldnertruppe Wagner fehlt Munition

Allerdings fehlt es auch der russischen Söldnertruppe Wagner nach Angaben ihres Chefs Jewgeni Prigoschin an Artilleriegeschossen und Patronen. Für den Kampf um Bachmut brauche seine Truppe jeden Monat 10.000 Tonnen Munition, sagte Prigoschin in einem Video.

Er forderte dringend Nachschub. Das Video zeigt ihn angeblich auf dem Dach eines Hauses in Bachmut. Zu sehen sind viele zerstörte Häuser und Straßenzüge. Von den einst 70.000 Einwohnern leben dort nur noch einige Tausend, die meisten in Ruinen. Der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland dauert inzwischen mehr als ein Jahr.

Bachmut größtenteils unter russischer Kontrolle

Der Osten von Bachmut ist nach Einschätzung britischer Experten inzwischen größtenteils unter Kontrolle der Russen. Der Fluss Bachmutka, der in Nord-Süd-Richtung durchs Stadtzentrum fließt, sei nun die Frontlinie, hieß es in einem Bericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Die ukrainische Armee habe Brücken zerstört und beschieße vom Westteil der Stadt aus eine "Todeszone" von 200 bis 800 Metern entlang des Flusses. Das mache es "sehr herausfordernd für die Wagner-Kräfte, ihren Frontalangriff nach Westen fortzusetzen". Moskau nennt solche Berichte Desinformation.

Aber auch das Institut für Kriegsstudien (ISW) aus den USA berichtete, dass es den Wagner-Söldnern zunehmend schwer falle, im Stadtgebiet signifikante Fortschritte zu machen.

Schlacht um Bachmut hat Symbolwert

Bachmut ist seit dem Spätsommer umkämpft. Die Stadt ist Hauptteil der ukrainischen Verteidigungslinie im Donezker Gebiet. Bei einem Erfolg öffnete sich für die Russen der Weg zu den Großstädten Slowjansk und Kramatorsk.

Die Ukraine wird nach den Worten ihres Außenministers deswegen Bachmut trotz schwerer Verluste weiter verteidigen. Je länger das möglich sei, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, "dass andere Städte nicht das gleiche Schicksal erleiden".

Einige Experten hatten zuvor den Sinn weiterer Kämpfe um Bachmut in Frage gestellt. Beobachter zweifeln zwar an der strategischen Bedeutung der Stadt, die Schlacht hat für beide Seiten mittlerweile jedoch einen symbolischen Wert erlangt.

Die politische und militärische Führung sei sich einig, die Stadt weiter entschieden zu verteidigen, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. "Wenn man sich von Bachmut zurückzieht, was änderte das? Russland würde Bachmut einnehmen und seine Offensive auf Tschassiw Jar fortsetzen, so dass jede nächste Stadt hinter Bachmut das gleiche Schicksal erleiden könnte wie Bachmut", gab Kuleba an.

Je länger aber Bachmut verteidigt werde, desto größer sei "die Wahrscheinlichkeit, dass andere Städte nicht das gleiche Schicksal erleiden", fügte der Außenminister hinzu.

 

Russische Soldaten "in Umfang und Zeit unerschöpflich"

Die ukrainische Vize-Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna räumte in der französischen Zeitung "Journal du Dimanche" ein, es werde "kompliziert für uns, Widerstand zu leisten". Sie verwies aber auf Moskaus Verluste. "Wir schätzen, dass die russische Armee seit vergangenem Jahr schon 150.000 Männer in ihren Militäroffensiven auf unserem Boden verloren hat. Die Menschenmasse ihrer Infanterie ist eine erschreckende Waffe, sie scheint in Umfang und Zeit unerschöpflich zu sein", fügte Stefanischyna hinzu.

Die Söldner der Gruppe Wagner spielen in dem Kampf um Bachmut eine zentrale Rolle. In dieser Woche hatte die Söldnertruppe erklärt, den Ostteil von Bachmut eingenommen zu haben.

Wagner-Chef spricht über Fortschritt der Offensive

Wagner-Anführer Jewgeni Prigoschin gab in einem am Samstag veröffentlichten Video erneute Fortschritte seiner Kämpfer bekannt. "Dies ist das Gebäude der Stadtverwaltung, das ist das Zentrum der Stadt", sagte Prigoschin in dem im Onlinedienst Telegram veröffentlichten Video, während er vom Dach eines angeblich in Bachmut stehenden Hauses auf ein Gebäude zeigt.

"Das ist einen Kilometer und 200 Meter entfernt. Das ist das Gebiet, wo Kämpfe stattfinden", führt Prigoschin aus. Seine Aussagen konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.

Das Wichtigste sei nun, Munition zu bekommen und "voranzukommen", sagte Prigoschin. Der Wagner-Chef wirft der russischen Armeeführung seit Wochen vor, seine Kämpfer nicht ausreichend mit Munition zu versorgen. In seinem Video griff er erneut den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und den Generalstabschef Waleri Gerassimow an und bezeichnete sie ironisch als "außergewöhnliche Militärbefehlshaber".

Britisches Verteidigungsministerium sieht russische Gebietsgewinne

Das britische Verteidigungsministerium bestätigte am Samstag, die Wagner-Söldner hätten in den vergangenen vier Tagen den "größten Teil des Ostens" von Bachmut unter ihre Kontrolle gebracht. Dem Ministerium zufolge kontrollieren die ukrainischen Streitkräfte noch den Westen der Stadt und haben wichtige Brücken über den Fluss Bachmutka zerstört, der mitten durch die Stadt fließt.

In der südukrainischen Stadt Cherson wurden unterdessen nach Behördenangaben mindestens drei Menschen bei einem russischen Angriff getötet, zwei weitere wurden verletzt. Der pro-russische Bürgermeister von Donezk im Osten der Ukraine erklärte, durch ukrainischen Beschuss seien zwei Menschen getötet worden, darunter ein Kind.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Kommandant der ukrainischen Bodentruppen, Oleksandr Syrskyj, erklärte, der erbitterte Kampf um Bachmut in der Ostukraine trage dazu bei, Zeit für die Vorbereitung einer Gegenoffensive gegen die russische Armee zu gewinnen.
  • Unterdessen befanden sich die Kämpfer der russischen Söldnertruppe Wagner nach Angaben ihres Chefs bereits in der Nähe des Stadtzentrums von Bachmut.