UKRAINE - RUSSIA - CONFLICTAPA/AFP/Yasuyoshi CHIBA

Streumunition für die Ukraine: Warum ist die US-Entscheidung so umstritten?

Die USA planen laut mehrerer Medienberichte, Streumunition an die Ukraine zu liefern. Das UNO-Menschenrechtsbüro und NGOs üben heftige Kritik. Was ist Streumunition? Warum ist die Entscheidung so umstritten? Und wäre eine solche Lieferung legal?

Was ist Streumunition überhaupt?

Bei Streumunition handelt es sich um Raketen oder Bomben (cluster bombs), die in der Luft über ihrem Ziel zerspringen und viele, oft hunderte, kleinere Sprengkörper - also Submunition - freisetzen. Streubomben werden von einem Flugzeug abgeworfen oder mit Raketenwerfern vom Boden aus abgefeuert. Die Sprengkörper können sich auf einer Fläche von mehreren Fußballfeldern verteilen und sind dazu gedacht, beim Aufprall auf dem Boden zu explodieren. Als Offensivwaffen sollten sie direkt töten. Optisch ähneln sie manchmal bunten Getränkedosen oder Tennisbällen. 

Ist die Lieferung an die Ukraine schon fix?

Kiew fordert die Lieferung von Streubomben schon lange. Mehrere US-Medien berichten nun, dass Washington dieser Forderung nun nachkommen wolle. Dem Sender CNN zufolge könnten die Pläne heute, Freitag, offiziell verkündet werden. Nach Angaben von in den Vorgang eingeweihten Personen wird das Pentagon Tausende Munitionssätze zur Verfügung stellen. Geschehen soll dies im Rahmen eines neuen militärischen Hilfspakets im Umfang von etwa 800 Millionen US-Dollar. Das Pentagon wollte dies zunächst aber nicht bestätigen. Die USA sind der wichtigste Unterstützer der Ukraine in Russlands Angriffskrieg. 

Warum ist eine mögliche Lieferung so umstritten?

Streumunition ist international geächtet. Der Munitionstyp wird kritisiert, weil ein erheblicher Prozentsatz der Sprengkörper oft nicht detoniert, sondern als Blindgänger vor Ort verbleibt und so die Bevölkerung gefährdet. Oft werden so ganze Landstriche für Jahrzehnte "verseucht". Schätzungsweise explodieren fünf bis 30 Prozent der Kleinsprengsätze nicht. Dies kann technische Gründe haben oder an der Bodenbeschaffenheit liegen, denn zu weiche Oberflächen wie Schnee, Matsch, Wasser oder Vegetation verhindern, dass der Zünder aktiviert wird. Streumunition wird dann de facto zu Landminen. 

Umgehend scharfe Kritik übte etwa die US-Nichtregierungsorganisation Arms Control Association: "Es wäre eskalierend, kontraproduktiv und würde nur die Gefahren für Zivilisten vergrößern, die in Kampfgebieten gefangen sind oder die eines Tages in ihre Städte und auf ihre Bauernhöfe zurückkehren werden."

Laut Amnesty International stelle Streumunition "eine große Bedrohung für zivile Leben dar, selbst lange nach dem Ende eines Konflikts". Laut der NGO seien Lieferung und Einsatz nicht mit internationalem Recht vereinbar (mehr dazu weiter unten). Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte die USA auf, von einer Lieferung abzusehen.

Auch das UNO-Menschenrechtsbüro ist strikt gegen eine Lieferung. "Solche Munition tötet und verstümmelt Menschen lange nach dem Ende eines Konflikts", sagte eine Sprecherin am Freitag in Genf.

Was sagen die USA dazu?

Die USA bestätigten zunächst nicht, dass die Entscheidung zu einer möglichen Lieferung schon gefallen sei. Pentagon-Sprecher Pat Ryder sagte auf eine entsprechende Frage aber: "Ich möchte anmerken, dass die Russen bereits Streumunition auf dem Schlachtfeld eingesetzt haben". Die USA hätten Streumunition in ihren Beständen. Ryder verwies darauf, dass ältere Munition eine höhere Rate an Blindgängern aufweise. "Wir würden sorgfältig Geschosse mit einer geringeren Rate an Blindgängern auswählen, für die wir aktuelle Testdaten haben", so Ryder. 

Warum will die Ukraine unbedingt Streumunition?

Die Ukraine hat Partner wie die USA bereits im vergangenen Jahr erstmals um die Lieferung von Streumunition gebeten. Die NATO erteilte diesen Forderungen bisher Absagen. Die Forderungen der Ukraine nach der Lieferung von Streumunition und Phosphor-Brandwaffen hatten zuletzt bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar für Aufsehen gesorgt. Vizeregierungschef Olexander Kubrakow erklärte dort, die USA und etliche andere Verbündete hätten große Bestände. Er argumentierte, diese Art von Munition könne dazu beitragen, dass man den Angreifern standhalten könne. Außenminister Dmytro Kuleba wies zudem darauf hin, dass die Ukraine den völkerrechtlichen Vertrag zum Verbot des Einsatzes von Streumunition nicht unterzeichnet hat. Außerdem würde auch Russland Streumunition einsetzen. 

Das UNO-Menschenrechtsbüro forderte hingegen auf, den Einsatz umgehend zu stoppen. Es rief Russland und die Ukraine am Freitag dazu auf, dem Übereinkommen über Streumunition beizutreten.

Was sagen Militärexperten?

Einige Militärexperten betonen, dass Streumunition der Ukraine bei ihrer Offensive sehr wohl nutzen könnte. Sicherheitsexperte Christian Mölling sagte etwa dem "Stern", dass die Ukraine aktuell das Problem habe, große Minenfelder überwinden zu müssen. Da könnte Streumunition helfen: "Es gibt Möglichkeiten, solche Flächen zu räumen, indem Sie Munition darüber explodieren lassen", so Mölling, betonte aber auch:  "Was die richtige Lösung ist, würde ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen." 

Die Streumunition könnte der Ukraine außerdem helfen, russische Artillerie zu zerstören und so die Überlegenheit Russlands bei der Waffenausstattung zu verringern, außerdem könnte die Munition auch dazu beitragen, die eigenen Artilleriedefizite der Ukraine zu beheben. 

Andere Experten heben aber die Nachteile (siehe oben) hervor: Streumunition könne nicht wirklich zielgerichtet eingesetzt werden, könne Gebiete verseuchen und würde die Zivilbevölkerung gefährden.

Wo wurde Streumunition schon eingesetzt?

Sowohl Russland als auch die Ukraine setzten bereits Streumunition ein. Davor wurde sie in zahlreichen militärischen Konflikten und Kriegen verwendet - etwa in Laos, Vietnam oder Kambodscha, aber auch im ehemaligen Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, in Georgien, im Libanon und in Syrien.

Wäre eine Lieferung legal?

Das kommt darauf an. Zum einen darauf, welche Abkommen ein Staat ratifiziert hat. 110 Staaten haben sich im Übereinkommen über Streumunition dazu verpflichtet, Streubomben nicht einzusetzen, herzustellen oder zu lagern. Weder die USA, noch Russland oder die Ukraine gehören zu diesen Staaten. Unter den EU-Ländern sind Estland, Lettland, Polen, Finnland, Griechenland und Rumänien nicht dabei.

Den USA ist es aber verboten, Streumunition mit einer Misserfolgsrate von über einem Prozent zu exportieren. Es kommt also darauf an, welche Art von Munition die USA weitergeben wollen. Außerdem können US-Präsidenten das Verbot aufheben - so tat das etwa Donald Trump bei Exporten nach Südkorea. 

Und dann kommt es noch auf die Verwendung an: Sicherheitsexperte Christian Mölling erklärte dem "Stern": Gegen Infanterieverbände gerichtete Splitter- und Clustermunition sei "zu Recht verboten". Sie schaffe unnötiges Leid; zudem könnten Zivilisten nicht geschützt werden. Werden geschützte Personen oder Objekte (Zivilbevölkerung) angegriffen, liegt zudem immer der Verdacht einer Völkerrechtsverletzung vor. Letzten Endes muss darüber aber ein Tribunal oder Gericht entscheiden. 

ribbon Zusammenfassung
  • Die USA planen laut mehrerer Medienberichte, Streumunition an die Ukraine zu liefern. Das UNO-Menschenrechtsbüro und NGOs üben heftige Kritik.
  • Was ist Streumunition? Warum ist die Entscheidung so umstritten? Und wäre eine solche Lieferung legal?