SPD-Chef kündigt rasche Gespräche mit Union an
Dafür werde man nun zeitnah beraten und einen Zeitplan für Verhandlungen aufstellen. Klingbeil warnte CDU-Chef Friedrich Merz aber, eine Regierungsbildung sei kein Selbstläufer. Vertraulichkeit sei wichtig - die Union könne alle Vorschläge vergessen, die über Medien verbreitet würden. Zudem forderte er die CDU/CSU-Fraktion auf, eine Anfrage mit 551 Fragen zurückzuziehen, die auf das politische Engagement von vom Bund geförderten Nichtregierungsorganisationen zielt. "Was da gestern passiert ist mit dieser Anfrage, ist ein Foulspiel."
Klingbeil äußerte sich, nachdem er von den SPD-Abgeordneten zum neuen Fraktionschef im Bundestag gewählt wurde. Mit seiner Wahl habe er ein starkes Mandat für die Verhandlungen mit der Union bekommen, sagte der 47-Jährige. In der geheimen Abstimmung erhielt er 85,6 Prozent der Stimmen. 95 Abgeordnete stimmten mit Ja, 13 mit Nein. Es gab drei Enthaltungen und zwei ungültige Stimmen. Damit erreichte Klingbeil in etwa sein Ergebnis auf dem SPD-Bundesparteitag bei der Wahl zum Parteichef (86,3 Prozent). Er selbst sprach von einem "ehrlichen Ergebnis". Es müsse eine Aufarbeitung des historisch schlechtesten Wahlergebnisses der SPD geben. Dieser Verantwortung werde auch er sich stellen.
Mit Blick auf Koalitionsgespräche sagte er, es liege auch in der Verantwortung der SPD, dass das Land eine handlungsfähige Regierung bekomme. "Aber es liegt jetzt auch an Friedrich Merz, dass es gelingen kann." Als wichtige Themen nannte er unter anderem Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftliche Stärke, die Sicherung von Arbeitsplätzen und dass "Menschen, die hart arbeiten (...) mehr Geld im Geldbeutel haben". Zuvor hatte sich SPD-Co-Chefin Saskia Esken verwundert gezeigt, dass sich die Unions-Spitze trotz der erklärten Eile nicht gemeldet habe. "Wir stehen für Gespräche bereit", sagte sie Reuters. "Bisher hat sich Herr Merz bei mir noch nicht gemeldet."
Klingbeil sagte, seine Fraktion werde nicht für einen AfD-Vizepräsidenten im Bundestag stimmen. Er werde auch alles dafür tun, dass der Sitzungssaal der SPD, der sogenannte Otto-Wels-Saal, weiter von den Sozialdemokraten genutzt werden könne. Die AfD, die zweitstärkste Kraft bei der Bundestagswahl wurde, hatte Anspruch auf die Nutzung dieses Saals erhoben.
Regierungsambitionen offen gelassen
Der neue SPD-Fraktionschef sagte nicht, ob er im Fall der Fälle von der Fraktion in ein Ministeramt wechseln würde. "Diese Gespräche sollte jeder, der auf unserer Seite mitverhandelt, völlig frei von der Frage tun, was wird aus einem persönlich", so Klingbeil. Dass der Parteichef, dem auch Minister-Ambitionen nachgesagt wurden, nun auch Fraktionschef ist, gilt auch als Hinweis darauf, dass die SPD für eine Regierungs- und eine Oppositionsrolle vorbereitet sein will. Als Vizekanzler in der neuen Regierung wird der populäre Verteidigungsminister Boris Pistorius gehandelt.
Klingbeil gilt als Vertreter der Pragmatiker innerhalb der SPD, während sein Vorgänger Rolf Mützenich eher dem linken Lager zugeordnet wurde. Der 65-Jährige, der fünf Jahre an der Spitze der SPD-Fraktion gestanden war, hatte seinen Rückzug mit einem erforderlichen Generationswechsel begründet. Bei der Wahl am Sonntag war die Kanzlerpartei von 25,7 auf 16,4 Prozent abgestürzt, das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte. Die Fraktion schrumpfte von 207 auf 120 Abgeordnete.
Parteistratege wirft Klingbeil "Selbstermächtigung" vor
Dass Klingbeil nach der schweren Wahlniederlage der SPD seine Macht ausbaut, ist umstritten in der Partei. Der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer kritisierte das Vorgehen scharf: "Durch dieses Vorgehen entstand der fatale Eindruck: Als erste Reaktion greift einer der Architekten des Misserfolgs nach dem Fraktionsvorsitz", sagte er kürzlich dem "Spiegel".
Ähnlich äußerte sich der frühere Parteistratege Matthias Machnig. Er hätte erwartet, dass die Parteivorsitzenden in dieser Situation "Nachdenken und Selbstreflexion vor Aktionismus" stellen würden. "Stattdessen hat Klingbeil das politische Vakuum in der Nacht zu seinen Gunsten genutzt. Das ist eine Art Selbstermächtigung oder gar Bonapartismus." Bonapartismus ist eine autoritäre Herrschaftsform, benannt nach dem französischen Kaiser Napoleon Bonaparte.
Auch Nahles hatte beide Posten
Klingbeil ist am Wahltag 47 Jahre alt geworden und hat eine steile Parteikarriere hingelegt. Seit 2009 gehört er dem Bundestag an, wurde 2017 Generalsekretär der Partei und 2021 nach der gewonnenen Bundestagswahl Parteichef zusammen mit der Co-Vorsitzenden Saskia Esken. Die Kombination von Partei- und Fraktionsvorsitz hat es bei der SPD zuletzt 2018/19 gegeben, als Andrea Nahles beide Posten hatte. Ihre Zeit an der Spitze nahm dann ein jähes Ende: Im Juni 2019 trat sie nach einem Desaster bei der Europawahl unter großem Druck der Fraktion zurück.
Zusammenfassung
- Lars Klingbeil, der neue SPD-Fraktionschef, bietet der Union schnelle Koalitionsgespräche an, um eine handlungsfähige Regierung zu bilden.
- Klingbeil wurde mit 85,6% der Stimmen zum Fraktionschef gewählt, was ihm ein starkes Mandat für die Verhandlungen mit der Union gibt.
- Die SPD erlebte bei der Wahl ein historisch schlechtes Ergebnis mit einem Absturz von 25,7% auf 16,4%, was eine Aufarbeitung erfordert.
- Innerparteiliche Kritik an Klingbeils Machtzuwachs kommt von Juso-Chef Philipp Türmer und dem früheren Strategen Matthias Machnig.
- Klingbeil kritisiert die CDU/CSU für eine Anfrage mit 551 Fragen und betont die Wichtigkeit der Vertraulichkeit in den Gesprächen.