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Sky Shield - Schweizer stimmen über die Neutralität ab

Die Schweizer werden über die Neutralität abstimmen. Der Grund ist eine entsprechende Volksinitiative, die ein Komitee rund um den rechtspopulistischen Politiker Christoph Blocher eingereicht hatte. Einzelne Schweizer Medien interpretieren das Neutralitätsvolksbegehren auch als gegen Sky Shield gerichtet. Der Europarechtsexperte Andreas Müller erwartet jedoch keine Auswirkungen auf die geplante Teilnahme der Schweiz an der europäischen Luftverteidigungsinitiative.

Blochers Initiative will die schweizerische Neutralität in der Verfassung verankern. Nach dem Willen des Komitees darf die Schweiz auch keinem Verteidigungsbündnis beitreten. Die Schweiz soll sich demnach nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten beteiligen und auch keine nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen gegen kriegsführende Staaten treffen. Das heißt, sie müsste - sollte das Begehren von den Schweizer Stimmbürgern angenommen werden - die Sanktionen gegen Russland wieder aufheben. "Zur Abstimmung kommt exakt dieser Text", erklärte der Vorarlberger Wissenschafter, der an der Universität Basel lehrt, gegenüber der APA.

Die Schweiz definiere die Neutralität als "bewaffnete Neutralität", die sich selbst auch verteidigen können müsse. "Die Verteidigung des eigenen Territoriums im Angriffsfall ist neutralitätstechnisch nicht problematisch", sagte der Experte. Und genau darum gehe es bei der European Sky Shield Initiative. Die teilnehmenden Staaten sollten Angriffe mit Raketen und anderen Flugobjekten besser und verlässlicher abwehren können. Die Schweiz und auch Österreich treten nach Ansicht des Experten dabei keinem Militärbündnis bei. Sondern es handle sich um eine "rechtlich nicht bindende" Kooperation für die gemeinsame Beschaffung, Ausbildung und Koordination. Das "Wesen eines Militärbündnisses" sei eine Beistandsklausel. Die gebe es im Falle des vom NATO-Land Deutschland initiierten Sky Shield nicht, erläuterte Müller.

Selbst die sogenannte Blocher-Initiative anerkennt diese Ausnahme. "Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs", heißt es in dem Text, den das Komitee im April eingereicht hatte. Mit der Übernahme der Russland-Sanktionen sei die Schweiz zur Kriegspartei geworden, sagte SVP-Eminenz Blocher vor der Übergabe der mehr als 130.000 Unterschriften.

Umfragen zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung die Ukraine-Politik der Regierung mehrheitlich unterstützt. Der Experte wollte dennoch noch keine Aussage zur Stimmungslage treffen. Es gebe noch viele politische Schritte in dem Prozess, die Einfluss auf die Meinungsbildung haben könnten, sagte Müller. Zunächst müssten die Unterschriften überprüft werden. Wenn festgestellt ist, dass die Neutralitätsinitiative genügend gültige Stimmen hat, geht sie an die Schweizer Regierung. Der Bundesrat (Regierung) kann dann die Initiative begrüßen, ablehnen, eine differenzierte Meinung dazu äußern oder einen Gegenvorschlag machen. Auch die Parteien positionieren sich.

Bis die Schweizer über die Neutralität abstimmen, werden wohl noch einige Monate vergehen. Damit eine Initiative angenommen wird, braucht sie außerdem eine "doppelte Mehrheit": also nicht nur eine Mehrheit der Stimmen der Gesamtbevölkerung, sondern auch der Kantone. Bisher hat dies weniger als ein Zehntel der mehr als 300 Volksinitiativen geschafft. Nur 26 Begehren seit der ersten Volksinitiative im Jahr 1893 waren erfolgreich, berichteten Schweizer Medien. Allerdings waren die Erfolgschancen von Initiativen in den letzten Jahren deutlich höher als in der Vergangenheit, betonte der Europa- und Völkerrechtler.

In der Schweiz wird aber nicht nur über die Russland-Sanktionen und Sky Shield debattiert, sondern auch über die Einrichtung eines Verbindungsbüros der NATO. Ein NATO-Verbindungsbüro gibt es in Wien schon seit langem - im Rahmen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Ein solches Büro ebenso wie die Teilnahme am NATO-Nicht-Mitglieder-Programm Partnership for Peace erachtet Müller für unproblematisch sowohl für die Schweiz als auch für Österreich. "Solange man nur miteinander redet, sich koordiniert oder Ausbildungen gemeinsam macht, reicht das nicht in die neutralitätsrechtliche Sphäre."

Obwohl 1955 nach Schweizer Vorbild eingerichtet, habe Österreich seine Neutralität "immer schon aktiver angelegt" als das westliche Nachbarland. Österreich sei "durch den Beitritt zur EU sicherheits- und verteidigungspolitisch heute in einer ganz anderen Situation als die Schweiz", betonte Müller. "In den Verträgen über die EU gibt es ja eine Beistandsklausel." Auch wenn Österreich andere EU-Länder im Angriffsfall nicht militärisch unterstützen müsse, habe es beim EU-Beitritt 1995 im Rahmen der EU-Mitgliedschaft eine Ausnahme von der Neutralität festgeschrieben.

Der Artikel 23j in der Verfassung laufe im Kern darauf hinaus, dass in Österreich, wenn es im Rahmen der EU tätig ist, "eine völlige Freistellung der Neutralität stattfindet", sagte Müller. Das bedeute: Wenn die EU zu einem Konflikt im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine Position eingenommen habe, "dann gelten für diesen Bereich die Neutralitätspflichten nicht". Deswegen könne sich Österreich rechtlich auch "so leicht" an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Dies sei nämlich ein Bereich, "wo die Neutralität formal nicht gilt".

ribbon Zusammenfassung
  • Sollte die Initiative angenommen werden, müsste die Schweiz ihre Sanktionen gegen Russland aufheben.
  • Die European Sky Shield Initiative, an der die Schweiz teilnimmt, wird als rechtlich nicht bindende Kooperation für die Verteidigung beschrieben, nicht als Militärbündnis.
  • Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Ukraine-Politik der Regierung unterstützt.
  • Für die Annahme einer Volksinitiative ist eine doppelte Mehrheit erforderlich, also die Mehrheit der Stimmen der Gesamtbevölkerung sowie der Kantone.