Schallenberg warnt vor Domino-Effekt durch Tigray-Krise
Die Reise nach Äthiopien, das bereits seit fast 30 Jahren Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) ist, sei deshalb auch "kein Zufall", betonte Schallenberg. Bisher galt das rund 110-Millionen-Einwohnerland mit seinen über 80 unterschiedlichen Ethnien als Stabilitätsanker am sonst eher instabilen Horn von Afrika. Im November eskalierte jedoch der Konflikt zwischen Zentralregierung und der Volksbefreiungsfront (TPLF) in der nördlich gelegenen Region Tigray mit einem Militäreinsatz der Regierungstruppen und nährte international Sorge vor einem Übergreifen auf andere Regionen Äthiopiens und seine Nachbarländer. In Äthiopien würden ethnische Bruchlinien quer durch das Land verlaufen - wie bei tektonischen Platten könne ein Ruck an einer Stelle ein Erdbeben auch anderswo - "auch über die Landesgrenzen hinaus" - auslösen, veranschaulichte Schallenberg.
Der Konflikt in Tigray führte zu einer dramatischen Verschlechterung der humanitären Lage: Laut jüngsten Erhebungen sind rund 4,5 Millionen Menschen - fast die gesamte Bevölkerung Tigrays - auf akute Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Millionen wurden vertrieben. Österreich werde Äthiopien deshalb mit zusätzlich drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) unterstützen. Jeweils eine Million Euro soll an das Welternährungsprogramm (WFP), das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sowie österreichische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die in Äthiopien tätig sind, gehen, gab Schallenberg nach dem Besuch des IKRK-Logistikzentrums in Addis Abeba bekannt. Der notwendige Beschluss im Ministerrat soll noch kommende Woche fallen.
Humanitäre Hilfe bedeute aber nicht, dass die Regierung damit aus der Verantwortung entlassen werde, betonte Schallenberg. Im Gespräch mit seinem Amtskollegen und Vizepremier Demeke Mekonnen sowie Präsidentin Sahle-Work Zewde habe er "klare Appelle" für einen ungehinderten humanitären Zugang nach Tigray (bisher ist dieser so gut wie nicht möglich), eine unabhängige Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, das Eingehen auf das Vermittlungsangebot der Afrikanischen Union (AU) und den Respekt der Medienfreiheit ausgesprochen.
Es gebe "sehr beunruhigende Berichte über Menschenrechtsverletzungen, Berichte über Massaker, die erschreckend sind", erklärte der Außenminister. Erst am Mittwoch gab die Äthiopische Menschenrechtskommission (EHCR) bekannt, dass in der Region Benishangul-Gumuz bei einem Überfall über 80 Menschen getötet wurden, Ende Dezember kam es dort zu einem Massaker mit mehr als 200 Toten. "Wir haben wirklich viel zu tun, diese abscheulichen Ereignisse treten beinahe wöchentlich auf", erklärte der Sprecher der EHCR gegenüber österreichischen Journalisten in Addis Abeba. Beobachter sprechen von einer regelrechten Krise der Menschenrechte in Äthiopien, in dem erst vor wenigen Jahren - mit dem Amtsantritt des Reformers Abiy Ahmed 2018 - eine international beachtete und viel gelobte Öffnung des Landes stattfand. Für das Friedensabkommen mit dem Nachbarn Eritrea wurde Abiy 2019 sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Die damit einhergehende Erwartungshaltung setzt Abiy in der Tigray-Krise international unter Druck. Der Preis schwebe "wie ein Damoklesschwert" über dem Premier, formulierte es der am MCI in Innsbruck lehrende Politikwissenschafter Belachew Gebrewold im APA-Gespräch. Es werde erwartet, dass Abiy auch "friedlich" handle.
Der Militäreinsatz in Tigray wurde international heftig kritisiert. Zwar erklärte ihn die Regierung im Dezember für beendet, nach wie vor finden jedoch Kämpfe statt. Für humanitäre Helfer - bis auf das IKRK und die Vereinten Nationen einmalig in Zusammenarbeit mit der Zentralregierung - ist es jedoch bis heute nahezu unmöglich, das Gebiet zu betreten oder Hilfsgüter zu liefern.
Der Konflikt sei noch nicht vorbei, betonte Schallenberg. Es handle sich auch nicht um eine "begrenzte Polizeioperation, wie es teilweise dargestellt wird, sondern das ist ein militärischer Konflikt über eine politische Vormachtstellung mit vermutlich internationaler Beteiligung". In den vergangenen Wochen äußerten unterschiedliche Seiten den Verdacht, dass Eritrea zur Unterstützung der Zentralregierung Truppen nach Tigray entsandte. Dafür gebe es "glaubwürdige Indizien", wenn auch keine Bestätigung, so Schallenberg.
Langfristig sieht der österreichische Chefdiplomat die Lösung nur im Dialog, hier wolle auch die Bundesregierung unterstützen, etwa mit der Zusammenarbeit mit der äthiopischen Versöhnungskommission oder der Ausbildung von Mediatoren auf der Friedensburg Schlaining. "Wenn man immer auf die Kränkungen und Wunden der Vergangenheit fokussiert, wird man hier keine Zukunft aufbauen können", sagte Schallenberg. Das Angebot der Kooperation in punkto Friedensförderung sei von seinem Amtskollegen Mekonnen angenommen worden, berichtete der Außenminister. Österreich habe Know-How im diesem Bereich und wolle dies zur Verfügung stellen. Auf Expertenebene soll nun eruiert werden, wie die Zusammenarbeit konkret erfolgen kann.
Neben Mekonnen und Zwede traf der Minister am Donnerstag Vertreter internationaler sowie österreichischer Hilfsorganisationen. Am Nachmittag besuchte Schallenberg ein Projekt von "Jugend Eine Welt - Don Bosco" zur Berufsausbildung für Straßenkinder und Vertriebene in Addis Abeba. Am Freitag ist der Besuch eines Camps für Binnenvertriebene in der an Tigray grenzenden Region Afar geplant.
Äthiopien ist 13,5-mal so groß ist wie Österreich und seit 1993 Schwerpunktland der OEZA. Die Entwicklungshilfeleistungen betrugen laut Austrian Development Agency (ADA) in den vergangenen Jahren jeweils zwischen sieben und acht Millionen Euro.
Zusammenfassung
- Zu Beginn seiner ersten Reise außerhalb Europas seit fast einem Jahr hat Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Donnerstag vor einer Zuspitzung der humanitären Situation in Äthiopien gewarnt.
- Die Reise nach Äthiopien, das bereits seit fast 30 Jahren Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) ist, sei deshalb auch "kein Zufall", betonte Schallenberg.