Schallenberg: Auch nach Wahl Kontinuität in US-Außenpolitik
"Es gibt eigentlich einen hohen Grad an Kontinuität", bewertete Schallenberg die außenpolitischen Positionen der jüngeren Vergangenheit. Die Annahme, dass ein Wechsel in Washington die Diplomatie radikal verändere, sei "eine der größten Fehlannahmen", so der Außenminister. "Die Tonalität ändert sich vielleicht." Und der Ton mache oft die Musik. "Aber die grundsätzliche Ausrichtung betreffend, erwarte ich keine Änderung." Schon der Demokrat Obama (2009 - 2017) habe gesagt, dass der Fokus der amerikanischen Politik im indopazifischen Raum liege. "China ist hier das Stichwort." Diese Politik habe auch Donald Trump in seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 fortgeführt, meinte Schallenberg.
"Oder denken wir an den Nahen Osten. Da hat gerade Trump mit dem Abraham-Abkommen einen großen Durchbruch geschafft." Dank der 2020 auf Vermittlung Trumps abgeschlossenen "Abraham Accords" hatten einige arabische Staaten und Israel zum ersten Mal diplomatische Beziehungen aufgenommen. Kontinuität habe es sowohl von republikanischen wie demokratischen Administrationen auch in den Beziehungen mit Israel geben, erinnerte der Außenminister. "Genauso wie bei der Botschaft an die Europäer, dass wir stärker autonom werden müssen, weil sich der amerikanische Fokus verlegt." Er rechne in gewissem Maße auch mit einer Kontinuität gegenüber Russland, erklärte Schallenberg hinsichtlich einer möglichen Präsidentschaft Trumps. "Auch wenn er ein Republikaner ist, ist eine Welt, in der sich Russland unter Wladimir Putin durchsetzt, nicht im Interesse der USA. Und daher glaube ich, dass manche der Unkenrufe sich einfach als falsch erweisen werden."
Durch den Rückzug Joe Bidens aus dem Präsidentschaftswahlkampf durchlebe die USA gerade einen "völlig üblichen demokratischen Prozess", betonte Schallenberg, der eines vorwegschickte: "Zuerst einmal gebietet es enormen Respekt vor Präsident Biden, dass er diesen Schritt gesetzt hat, der ihm sicher nicht leicht gefallen ist." Nun zeige sich aber, wie schnell sich in der Demokratie Dinge innerhalb von 48 Stunden ändern könnten. "Die Karten sind neu gemischt. Es gibt eine neue, sehr spannende Dynamik im amerikanischen Wahlkampf." Das sei auch eine Lehre für Österreich. "Wir haben auch Wahlen im Herbst und man sollte nicht schon im Vorfeld das Fell des Bären verteilen und glauben, man wisse schon, wie die Sache ausgeht. Weil in der Demokratie entscheidet am Ende nur der Wähler."
Ob er in den USA für Trump oder die nunmehr wahrscheinliche demokratische Kandidatin, Vizepräsident Kamala Harris, stimmen würde, ließ Schallenberg im APA-Gespräch offen. "Ich bin kein amerikanischer Staatsbürger. Ich bin nicht wahlberechtigt in den Vereinigten Staaten. Für mich ist etwas wesentlich, ganz gleich, wer dort Präsident ist, ganz gleich wie die Zusammensetzung auch im Kongress ist: Österreich muss aus strategischem Eigeninteresse immer versuchen, ein möglichst funktionierendes, effizientes Zusammenarbeiten mit den Vereinigten Staaten zu haben. Die USA sind einfach die wichtigste Macht in der freien Welt." Die Bundesregierung habe es in den vergangenen Jahren geschafft, "sowohl mit der Trump-Administration als auch mit der Biden-Administration eine sehr gute und sehr enge Zusammenarbeit zu finden." Das müsse weiterhin das Ziel sein. "Ganz gleich, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird."
Dass Donald Trump eine knappe Wahlniederlage nicht akzeptieren und es zu Unruhen kommen könnte, glaubt Schallenberg nicht: "Ich habe großes Vertrauen in die Standfestigkeit und Resilienz der Demokratie und die demokratischen Institutionen in den Vereinigten Staaten. Ich weiß, der Sturm aufs Kapitol ist in die Knochen gefahren und war ein schwerer Schock nicht nur für die Bürger in Amerika, sondern für uns alle." Doch müssten sich alle politischen Bewerber immer bewusst sein, welche Verantwortung sie tragen. Weil aus Worten auch Waffen werden können. "Hier hoffe ich doch, dass sich die Verantwortlichen entsprechend verhalten werden."
Dass Trump - wie etwa vom aktuellen EU-Ratspräsidenten und ungarischen Premier Viktor Orbán verheißen - die Konflikte in der Ukraine oder in Nahost mit einem Schlag beenden werde, glaubt Schallenberg nicht. Die Erwartungshaltung, dass ein amerikanischer Präsident mit ein paar Telefonaten alle Krisen dieser Welt lösen könne, sei "einfach illusorisch und dem Wunschdenken der Person zuzurechnen, die solche Äußerungen macht".
Die jüngst von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geäußerte Forderung einer "sofortige Waffenruhe in Gaza", könne er hingegen nur "unterschreiben", meinte Schallenberg. "Wir müssen endlich die Geiseln rausbringen und mehr humanitäre Hilfe reinbringen." Schließlich gebe es immer noch "einen österreichisch israelischen Familienvater in den Fängen der Hamas". Allerdings habe gerade die Entwicklung der vergangenen Tage - "mit diesem grauenhaften Raketenangriff, wo zwölf junge Menschen umgekommen sind und sich die Eskalationsschraube im Golan und im Südlibanon hinaufdrehte" - gezeigt, wie "unglaublich volatil und fragil" die Situation sei. "Die Zündschnur im Nahen Osten ist extrem kurz. Das muss allen bewusst sein."
Allerdings würden der Umstand, dass Israel natürlich ein Recht auf Selbstverteidigung zustehe und "wir eine strategische Partnerschaft mit unseren israelischen Freunden haben", nicht bedeuten, dass wir mit jeder Maßnahme einverstanden sind.", erklärte Schallenberg. Ich denke etwa an Gewaltexzesse, radikale Siedler, Provokationen bei den heiligen Stätten oder der völkerrechtswidrige Siedlungsbau." Da sage auch die österreichische Bundesregierung: "Unsere Basis ist das Völkerrecht, das muss auch von Israel eingehalten werden."
Zudem fehle ein klares Zukunftsbild: "Wie soll Gaza eigentlich verwaltet werden? Wie können wir hier wieder zu einem vernünftigen Zusammenleben kommen?" So tief die Traumata und das Leid auf beiden Seiten auch seien, könnten die der einen Seite nicht jene der anderen Seite aufheben. Bloß: "Weder die Israelis noch die Palästinenser werden sich in Luft auflösen." Fazit: "Es braucht wieder Raum für Diplomatie, damit man zumindest schrittweise wieder Sicherheit, Stabilität und ein friedliches Nebeneinander gewährleisten können."
Gesprächskultur sei auch im Syrien-Konflikt gefragt, unterstrich Schallenberg und erneuerte seinen Wunsch nach mehr Realismus im Umgang mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. "Alles, was wir wollen, ist eine EU-interne Neubewertung unserer Politik gegenüber Syrien seit 2011. Seit 13 Jahren verfolgen wir dieselbe Politik und die hat uns nicht dorthin geführt, wo wir hin wollen. Syrien ist die größte Quelle von Migration auf diesem Planeten. 1,4 Millionen Menschen sind nach Europa gekommen. Über 100.000 nach Österreich. Und wir wissen, wie viele Millionen in der Türkei, im Libanon, in Jordanien, in anderen Ländern sind."
Natürlich seien Österreich und gleichgesinnten Ländern wie Italien bewusst, dass "Assad mit iranischer und russischer Unterstützung im Sattel sitzt." Doch müsse man dem Realismus verpflichtet bleiben. "Es wird langfristig keine Lösung in Syrien geben, ohne Assad in irgendeiner Form einzubeziehen." Ziel müsse es sein, "dass wir auf technischer Ebene Kontakte besser knüpfen können". Dazu sei auch EU-intern zu überlegen, "welche unserer Sanktionen vielleicht überschießend sind und letzten Endes den Menschen in Syrien schaden, die weiterhin keine Perspektive haben." 16 Millionen Menschen seien dort auf humanitäre Hilfe angewiesen. "Wir sind zum Teil gar nicht in der Lage, sie zu liefern, weil wir nicht mit Assads Leuten zusammenarbeiten können."
Längerfristig sollte auch die Österreichische Botschaft in Syrien wieder von der Hauptstadt Damaskus aus agieren können, hofft Schallenberg. Als einer von wenigen Staaten habe Österreich seine Vertretung ja nie geschlossen. Sie werde aus dem Libanon betreut. "Momentan ist es so, dass das Botschaftspersonal sehr regelmäßig von Beirut nach Damaskus fährt und dort die Geschäfte führt." Sobald die Umstände es zuließen sollte der Betrieb direkt in Damaskus aber wieder aufgenommen werden.
(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA)
Zusammenfassung
- Außenminister Alexander Schallenberg erwartet nach der Präsidentschaftswahl im November Kontinuität in der US-Außenpolitik.
- Schallenberg betont, dass die Grundausrichtung der US-Außenpolitik seit den Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama gleich geblieben sei.
- Er lobt die Abraham-Abkommen von 2020, die unter Trump zwischen arabischen Staaten und Israel geschlossen wurden.
- Schallenberg zeigt sich zuversichtlich, dass die USA auch unter Trump keine radikale Änderung in der Russland-Politik vornehmen werden.
- Er fordert eine EU-interne Neubewertung der Politik gegenüber Syrien und mehr Realismus im Umgang mit Bashar al-Assad.