Proteste in Israel reißen nicht ab: 170.000 auf den Straßen Tel Avivs
Rund 170.000 Menschen demonstrierten laut dem israelischem Fernsehen den 30. Samstagabend in Folge in der Küstenmetropole Tel Aviv gegen die Politik der rechtsreligiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Auch in zahlreichen anderen Städten, darunter Haifa und Jerusalem, gingen Menschen erneut auf die Straße.
"Wir weigern uns, einer Diktatur zu dienen"
Tausende von Demonstranten schwenkten blau-weiße Nationalflaggen, die zum Symbol der Protestbewegung geworden sind. "Wir weigern uns, einer Diktatur zu dienen", stand auf einem Plakat in Tel Aviv. "Wir akzeptieren nichts davon", sagte der 27-jährige Itay Amram mit Blick auf die Justizreform. Die Demonstrantin Lotem Pinchover, die in eine israelische Flagge gehüllt an der Kundgebung in Jerusalem teilnahm, sagte, sie habe sich nach der Parlamentsabstimmung am Montag "todunglücklich und hilflos" gefühlt. "Ich habe große Angst vor dem, was jetzt in Israel passiert, und ich mache mir große Sorgen um die Zukunft meiner Tochter", fügte die 40-Jährige hinzu.
Warnung vor Folgen für Wirtschaft
Der frühere israelische Zentralbankchef Jaakov Frenkel warnte in einer Ansprache vor den Demonstranten in Tel Aviv vor schweren wirtschaftlichen Schäden der Justizreform. Mit der Billigung eines ersten Gesetzes zur Schwächung der Justiz habe die Netanyahu-Regierung "den Rubikon überschritten", sagte Frenkel nach Angaben der Nachrichtenseite ynet.
Ausländische Investoren seien besorgt angesichts des dramatischen Wandels in Israel binnen eines halben Jahres. "Wir haben noch nie eine so große Wertvernichtung innerhalb so kurzer Zeit erlebt", sagte Frenkel demnach. "Nicht durch Feinde von außen, sondern durch die Regierungspolitik." Die Regierung habe ihr Versprechen gebrochen, die Reform nur auf der Basis eines breiten Konsens durchzusetzen.
Möglichkeiten des Obersten Gerichts eingeschränkt
Am Montag hatten 64 von 120 Abgeordneten ein Gesetz verabschiedet, das dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung vorzugehen. Kritiker stufen das Vorgehen der Regierung als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen, das Land sei dabei, sich in eine Diktatur zu verwandeln. Netanyahus Regierung argumentiert dagegen, das Oberste Gericht sei in Israel zu mächtig und mische sich zu stark in politische Fragen ein. Befürworter argumentieren infolge mit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts bei der Gewaltenteilung.
Die Justizreform spaltet die israelische Bevölkerung. Seit mehr als einem halben Jahr protestieren Menschen aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum gegen das Vorhaben. Gegner der Reform hatten die Parlamentsabstimmung am Montag mit massiven Protesten begleitet. Dutzende Menschen wurden festgenommen, in Tel Aviv setzte die Polizei Wasserwerfer ein.
Im September will sich das Oberste Gericht mit Petitionen gegen das Gesetz befassen. Sollte das Gericht es einkassieren und die Regierung dies aber nicht akzeptieren, droht Israel eine Staatskrise.
Zusammenfassung
- Auch nach der Durchsetzung eines Kernelements der umstrittenen Justizreform in Israel gehen die massiven Proteste im Land weiter.
- Rund 170.000 Menschen demonstrierten laut dem israelischem Fernsehen den 30. Samstagabend in Folge in der Küstenmetropole Tel Aviv gegen die Politik der rechtsreligiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu.
- Auch in zahlreichen anderen Städten, darunter Haifa und Jerusalem, gingen Menschen erneut auf die Straße.