Kann Harris Trump schlagen?
Jahrelang wurde Kamala Harris vorgehalten, die Rolle der US-Vizepräsidentin nicht ausreichend auszufüllen - nach dem Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Rennen ums Weiße Haus könnte sie nun bald vor der Herausforderung stehen, als Kandidatin der Demokraten Donald Trumps Comeback zu stoppen.
Biden bekundete am Sonntag nach seinem Ausstieg aus dem Präsidentschaftsrennen seine "volle Unterstützung und meinen Rückhalt für Kamala als Kandidatin unserer Partei".
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Als erste Frau und Schwarze im Amt der Vizepräsidentin ist Harris eine Pionierin. Dennoch kämpft die 59-Jährige mit niedrigen Zustimmungswerten. Sollte sie nun anstelle von Biden für das mächtigste Amt der Welt kandidieren, könnte sie mit einem Wahlsieg im November erneut Geschichte schreiben.
Harte Bandagen
Ihr Gegner heißt Trump - und der hatte 2016 die bis dato erste Frau im Rennen um das Weiße Haus, Hillary Clinton, besiegt. Harris gab sich am Sonntag selbstbewusst. "Meine Absicht ist, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen", erklärte sie. Ihr Ziel sei es, "Donald Trump zu schlagen".
Trump hatte sich schon vor Bidens Rückzug aus dem Wahlkampf auf Harris eingeschossen und gleich sehr harte Bandagen ausgepackt. Harris sei "so schlecht, sie ist so erbärmlich", höhnte er über die US-Vizepräsidentin. "Harris wird leichter zu schlagen sein als Joe Biden", zeigte sich Trump im Sender CNN kurz nach Bidens Ankündigung am Sonntag überzeugt.
Harris hatte in den vergangenen Wochen trotz der massiven Kritik an Biden keine Risse in ihrer Loyalität zum Präsidenten erkennen lassen. "Biden ist unser Kandidat", sagte sie etwa dem Sender CBS News. "Wir haben Trump einmal geschlagen, und wir werden ihn wieder schlagen, Punkt." Weiter nannte sie den Kontrast zwischen Biden und Trump "wie Tag und Nacht"; die Wahl im November bezeichnete sie als "folgenreichste und wichtigste Wahl unseres Lebens".
Nun könnte die in Kalifornien aufgewachsene Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin Hoffnungsträgerin der Demokraten werden bei dem Vorhaben, eine Rückkehr Trumps ins Weiße Haus zu verhindern. Dem "Wall Street Journal" hatte sie im Februar gesagt: "Ich bin bereit zu dienen. Daran gibt es keinen Zweifel."
Undankbare Rolle
Der Kolumnist Paul Waldman hatte Harris auf der Plattform des Senders MSNBC als "offensichtliche Erbin" Bidens bezeichnet. Die 59-Jährige zu übergehen, würde seiner Ansicht nach auch als "Beleidigung schwarzer Frauen, eine der wichtigsten Wählergruppen der Partei", aufgefasst werden.
Die frühere Generalstaatsanwältin von Kalifornien und US-Senatorin war im Jänner 2021 mit großen Erwartungen Vizepräsidentin geworden: Als erste Frau und erste Schwarze in dem Amt schrieb sie Geschichte, der Posten galt bereits damals als Sprungbrett für eine spätere eigene Präsidentschaftskandidatur.
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Allerdings blieb Harris dann als Vizepräsidentin über weite Strecken eher unscheinbar. Dies lag teilweise am Amt selbst: Vizepräsidenten haben es in den USA meist schwer, aus dem großen Schatten des Präsidenten hervorzutreten.
Biden übergab seiner Stellvertreterin zudem manche eher undankbare und komplizierte Aufgabe, so war sie zeitweise für den Umgang mit der Migrationskrise an der Grenze zu Mexiko zuständig. Harris stand sich aber auch wiederholt selbst im Weg. In Interviews und anderen öffentlichen Auftritten leistete sie sich Patzer, nicht immer wirkte sie souverän.
In Umfrage auf Augenhöhe
Die Demokraten können also nicht unbedingt erwarten, dass sie mit Harris rasch und klar Trump überflügeln würden. In einer vier Tage nach dem Biden-Trump-Duell veröffentlichten CNN-Umfrage schnitt sie zwar besser gegen den voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ab als Biden, blieb aber gleichfalls hinter Trump: Mit 45 Prozent lag sie zwei Punkte hinter dem Republikaner, während Biden mit 43 Prozent sechs Punkte zurückblieb. In einer Reuters/Ipsos-Umfrage vom 15. und 16. Juli lagen Harris und Trump mit jeweils 44 Prozent Unterstützung allerdings gleichauf.
Allerdings hätte Harris als Nachrückerin für Biden durchaus noch ausreichend Zeit, um bei der Wählerschaft Punkte zu sammeln - nicht zuletzt mit dem Abtreibungsrecht, dessen landesweite Abschaffung durch das konservativ dominierte Oberste Gericht vor zwei Jahren weitverbreitete Frustration und Empörung ausgelöst hat.
Und in ihrer Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulisten könnte Harris auch ihre ganze Erfahrung als einstige Generalstaatsanwältin ausspielen: Trump, seit dem Schuldspruch im New Yorker Schweigegeldprozess der erste strafrechtlich verurteilte Ex-US-Präsident der Geschichte und zudem mit drei weiteren strafrechtlichen Anklagen konfrontiert, wäre insofern ein Kontrahent, der zu Harris passt.
Trump steuert um
Das Lager des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump steuert um: Nachdem US-Präsident Joe Biden am Sonntag zugunsten seiner Stellvertreterin Kamala Harris auf eine erneute Kandidatur verzichtete, hat die Make America Great Again (MAGA) Inc, ein Hauptfinanzier der Trump-Kampagne, in aller Eile die Anti-Biden-Fernsehspots gestoppt.
Nun werden 30-Sekunden-Spots gegen Harris gezeigt, in denen die 59-Jährige beschuldigt wird, Bidens Gebrechen vor der Öffentlichkeit verborgen zu haben. "Kamala wusste, dass Joe den Job nicht machen konnte, also hat sie ihn gemacht. Schauen Sie sich an, was sie erreicht hat: eine Invasion an der Grenze, eine galoppierende Inflation, den Tod des amerikanischen Traums", sagt der Sprecher in dem Spot.
Dies ist nur das sichtbarste Zeichen dafür, dass Trump seine Wahlkampfstrategie radikal umsteuert. Harris soll vor allem auf drei Feldern attackiert werden: Einwanderung, Lebenshaltungskosten und die Nähe zu Biden.
Der republikanische Stratege Chip Felkel warnt, Harris könne unterschiedliche Teile der Wählerschaft ansprechen. Harris sei in der Lage, "eine energischere Kampagne mit Begeisterung bei jüngeren Wählern und farbigen Menschen" zu führen, nachdem Biden Mühe hatte, diese wichtigen Wählerschichten anzusprechen, sagt auch Rodell Mollineau, ein Stratege der Demokraten und langjähriger Kongressberater.
Allerdings wollen die Republikaner ganz sicher gehen. Da noch gar nicht klar ist, ob Harris die Nominierung der Demokraten wirklich schafft, habe seine Gruppe Untersuchungen gleich über mehrere mögliche Kandidaten der Demokraten in Auftrag gegeben, sagt der Geschäftsführer von MAGA Inc, Taylor Budowich. "MAGA Inc. ist auf alle Ergebnisse einer Demokratischen Partei vorbereitet, die nur Chaos und Misserfolg gebracht hat."
Zusammenfassung
- Nach dem Rückzug von Joe Biden um Rennen um das US-Präsidentenamt gilt Vizepräsidentin Kamala Harris als die Hoffnungsträgerin der Demokraten.
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