AFP

Terror vom 7. Oktober: Zäsur für jüdisches Leben weltweit

365 Tage ist das grausame Massaker der Terrororganisation Hamas nun her. Seit 365 Tagen sitzen rund 100 Geiseln immer noch im Gazastreifen fest. Das Massaker war ein drastischer Einschnitt für das Leben in Israel, in Nahost und in das vieler Jüd:innen weltweit. Der Nahe Osten steht seither ständig an der Kippe zur völligen Eskalation. Ein Überblick, was bisher geschah.

Das grausame Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas jährt sich zum ersten Mal. Am 7. Oktober vor einem Jahr fielen Terroristen aus dem Gazastreifen im Morgengrauen in Israel ein, überwältigten Grenzposten, begingen Massaker in 21 Kibbuzen, vergewaltigten Frauen und ermordeten junge Feiernde am Psytrance-Festival "Supernova". 

1.205 Menschen starben, die meisten davon Zivilisten, darunter dutzende Kinder. Rund 250 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Laut israelischen Angaben befinden sich 97 davon immer noch in der Gewalt der Hamas, 33 von ihnen sind wohl gestorben. Gleichzeitig wurde Israel mit Raketen beschossen.

Es handelte sich um den größten Massenmord an Jüd:innen seit dem Holocaust, dem ein drohender Flächenbrand im Nahen Osten und ein weltweiter Anstieg des Antisemitismus folgten.

Was ist seither passiert?

"Bürger Israels, wir sind im Krieg"

In Israel, wo gerade noch Massenproteste gegen die Regierung und ihre umstrittene Justizreform, stattgefunden hatten, herrschte Entsetzen, Trauer, aber vorübergehend wieder so etwas wie Einigkeit. Rund 300.000 Reservisten wurden sofort in den Kriegsdienst einberufen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte noch am 7. Oktober: "Bürger Israels, wir sind im Krieg".

Abgebranntes Auto nach Anschlag auf Supernova-FestivalJACK GUEZ / AFP

Abgebranntes Auto nach dem Anschlag auf das Supernova-Festival in der Negev-Wüste. 

Die Vernichtung der Hamas und die Befreiung der Geiseln wurden zu den wichtigsten Zielen erklärt. Unmittelbar nach dem Angriff der Hamas reagierte Israel mit Luftangriffen im Gazastreifen. Am 13. Oktober rief Israel die Zivilbevölkerung im Norden des Palästinensergebiets zur Evakuierung in Richtung Süden auf. Am 27. Oktober marschierte die israelische Armee im Rahmen der Operation "Eiserne Schwerter" in den Gazastreifen ein. 

Laut UN-Schätzungen befanden sich im Juli 2024 rund 80 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens auf der Flucht. Die Versorgungslage mit Lebensmitteln und Medizin ist äußert prekär, immer wieder wurde vor Hungersnöten und Seuchen gewarnt. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen.

Das "Wall Street Journal" berichtete schon im Dezember 2023, dass fast 70 Prozent der Häuser und Gebäude zerstört wurden. Laut Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seit Beginn des israelischen Militäreinsatzes mehr als 41.500 Menschen getötet - ob Zivilisten oder Hamas-Kämpfer, ist unklar. 

Mann trägt weinendes Kind vor zerstörtem Gebäude in GazaMohammed ABED / AFP

Mann mit weinendem Kind vor einem zerstörten Gebäude in Gaza.

Immer wieder meldete Israel, dass die Hamas bewusst Zivilisten als Schutzschilde verwenden würde, ihr Tunnelsystem verlaufe auch unter Schulen. Krankenhäuser wurden als Stützpunkte verwendet. 

Am 24. November trat die bisher einzige Waffenruhe in Kraft. Sie dauerte sieben Tage. Die Hamas ließ 80 israelische Geiseln und Doppelstaatsbürger im Austausch für 240 in Israel inhaftierte Palästinenser, unter ihnen auch Terroristen, frei. Zudem kamen 25 weitere Geiseln frei, die meisten von ihnen Landarbeiter aus Thailand, die in Israel tätig waren.

Hamas-Kämpfer übergeben Geiseln.HAMAS MEDIA OFFICE / AFP

Hamas-Kämpfer übergeben Geiseln.

Insgesamt kamen bisher 117 Geiseln frei. Von den 64 lebenden Geiseln, die noch im Gazastreifen vermutet werden, sind 57 Israelis, darunter mindestens 20 mit einer weiteren Staatsbürgerschaft. Unter ihnen befindet sich auch der israelisch-österreichische Doppelstaatsbürger Tal Shoham. Die jüngste Geisel in der Gewalt der Hamas ist das Baby Kfir Bibas: Der Bub war erst achteinhalb Monate alt, als er zusammen mit seinem damals vierjährigen Bruder Ariel entführt wurde. 

Proteste für die Freilassung von Tal ShohamJACK GUEZ / AFP

Proteste für die Freilassung von Tal Shoham und anderer Geiseln.

Nach erneutem Raketenbeschuss durch die Hamas flammten die Kämpfe wieder auf, bis heute kam keine weitere Waffenruhe, kein weiterer Geiseldeal zustande. Immer wieder gehen Hunderttausende deshalb in Israel und weltweit auf die Straßen.

Auch Angehörige der Geiseln kreiden Netanyahu und seiner Rechtsaußen-Regierung an, sich nicht ausreichend für deren Freilassung einzusetzen. Die Einigkeit in Israel bröckelt. 

Unklare Zukunft für Palästina

Israels Regierung geriet aber auch international immer weiter unter Druck. Am 26. Jänner forderte der Internationale Gerichtshof (IGH), dass Israel mehr tun müsse, um Kriegsverbrechen im Gazastreifen zu vermeiden und etwas gegen die lebensbedrohenden Bedingungen in Gaza zu unternehmen.

Die Versorgung des Palästinensergebiets läuft bis heute schleppend, ab März begannen die USA und andere Länder zumindest mit dem Abwurf von Hilfspaketen. 

Nach einem Luftangriff auf RafahAFP

Nach einem Luftangriff auf Rafah.

Viel Kritik gab es auch am Einsatz in Rafah. Ab 7. Mai ging die israelische Armee mit "gezielten" Angriffen im Süden des Gazastreifens und in der Stadt Rafah vor. Die Armee brachte den Grenzübergang nach Ägypten unter ihre Kontrolle.

Am 10. September erklärte der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant die Hamas als Militärorganisation zwar für besiegt, die Kämpfe in dem Gebiet dauern aber an. Wie es mit dem Gazastreifen weitergehen soll, ist völlig unklar. 

"Achse des Widerstands"

Und mit dem kleinen Küstenstreifen wäre es auch nicht getan. Auch mit dem antisemitischen Mullah-Regime im Iran, seinen Revolutionsgarden und der "Achse des Widerstands" hat Israel Todfeinde. Der Iran finanziert nicht nur die Hamas, seit Beginn des Konflikts wird Israel immer wieder von den Huthis im Jemen, die auch das Rote Meer unsicher machen, und vor allem der Hisbollah im Libanon beschossen. 

  • Am 1. April wurde das iranische Konsulat in Damaskus angegriffen, sieben Mitglieder der Revolutionsgarden getötet.
  • Der Iran reagierte am 13. April erstmals mit direkten Luftangriffen, die von Israel und seinen Verbündeten weitgehend abgefangen wurden.
  • Am 31. Juli wurde der Chef des Hamas-Politbüros, Ismail Haniyeh, in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet.
  • Am 18. und 19. September explodierten hunderte Walkie-Talkie-Funksprechgeräte und sogenannte Pager von Hisbollah-Kämpfern im Libanon.
  • Am Tag darauf wurde bei einem Luftangriff in der Nähe der libanesischen Hauptstadt Beirut der Chef der Hisbollah-Eliteeinheit Radwan und ein ranghoher Kommandant getötet. Insgesamt meldet die Hisbollah den Tod von 16 ihrer Kommandeure. Israel warf ihnen vor, einen Angriff - wie den der Hamas am 7. Oktober - geplant zu haben. 
  • Am 28. September gab Israel bekannt, Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah bei einem Bombenangriff im Süden von Beirut getötet zu haben.

Bodenoffensive gestartet

Vergangene Woche startete Israel schließlich eine Bodenoffensive gegen die islamistische Miliz im Libanon. Bis zu einer Million Menschen sind im Libanon auf der Flucht, doch auch Bewohner Nordisraels können wegen Hisbollah-Beschusses seit Monaten nicht in ihre Häuser.

Am 1. Oktober startete der Iran seinen zweiten Großangriff aus der Luft auf Israel in diesem Jahr. Anders als beim ersten Angriff im April, wo vor allem Drohnen und langsamere Raketen zum Einsatz kamen, feuerte der Iran diesmal auch Hyperschallraketen. Das israelische Luftabwehrsystem "Iron Dome" wurde überlastet, zahlreiche Raketen schlugen ein. Netanyahu kündigte Vergeltung an.

Der jahrzehntealte Schattenkrieg zwischen dem Iran und Israel steht einmal mehr davor, sich zu einem regionalen Flächenbrand zu entwickeln. 

Mögliche dritte Front

Unterdessen droht im Westjordanland eine dritte Front auszubrechen. Über Jordanien werden Waffen aus dem Iran hereingeschmuggelt. Immer wieder kommt es zu Anschlägen auf Zivilisten und Soldaten. Israel startete auch hier Ende August eine Militäroffensive.

Nicht zuletzt sind es im Westjordanland aber auch extremistische jüdische Siedler, die in Dörfer einfallen, Häuser niederbrennen und Menschen ermorden.

Raketen über dem Dach des Hospizes in Jerusalem

Markus Bugnyár vom Hospiz in Jerusalem im Interview über den Angriff des Irans.

Kurz vor Beginn des iranischen Angriffs am Dienstag, der in palästinensischen Vierteln in Ostjerusalem von Dächern aus mit "Allahu Akhbar"-Rufen bejubelt wurde, hatten zwei Männer aus dem Westjordanland wiederum mindestens sieben Menschen in Tel Aviv mit Schusswaffen und Messern getötet

"Genozidale Botschaft"

Mit dem Massaker vom 7. Oktober erscheinen die unerfüllte Hoffnung der Palästinenser auf einen eigenen Staat und der Wunsch Israels, ein sicheres Heimatland für Jüd:innen zu sein, so unerfüllt wie lange nicht mehr. 

Doch das Massaker der Hamas bedeutet nicht nur eine Zäsur im Nahen Osten. Jüd:innen weltweit schreiben dem 7. Oktober eine "genozidale Botschaft" zu, der keine Welle der Solidarität folgte.

Im Gegenteil: Weltweit stiegen die gemeldeten antisemitischen Übergriffe an, die BDS-Bewegung, die den israelischen Staat wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will, gewann an Zulauf. Bei Anti-Israel-Demos und Uni-Besetzungen weltweit wird Israel laufend das Existenzrecht abgesprochen. Auch in Österreich. 

Israel kündigt Vergeltung für iranischen Angriff an

Militärexperte Gerald Karner im Interview.

ribbon Zusammenfassung
  • 365 Tage ist das grausame Massaker der Terrororganisation Hamas nun her. Seit 365 Tagen sitzen rund 100 Geiseln immer noch im Gazastreifen fest.
  • Das Massaker war ein drastischer Einschnitt in das Leben in Israel, in Nahost und in das vieler Jüd:innen weltweit.
  • Weltweit stiegen die gemeldeten antisemitischen Übergriffe an, die BDS-Bewegung, die den israelischen Staat wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will, gewann an Zulauf.
  • Bei Anti-Israel-Demos und Uni-Besetzungen weltweit wird Israel laufend das Existenzrecht abgesprochen. Auch in Österreich. 
  • Der Nahe Osten steht seither ständig an der Kippe zur völligen Eskalation.
  • Ein Überblick, was bisher geschah.