Mangott: "Waffenlieferungen kamen zu zögerlich und spät"
Am Wochenende gelobte der russische Machthaber Wladimir Putin seine neue Regierung an. Prominenter Abgang ist der bisherige Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der bereits seit längerem in Kritik stand. Schoigu wurde sozusagen ins Kriegskabinett wegbefördert. Sein Nachfolger wird der Wirtschaftsexperte Andrej Beloussow.
Osteuropa-Experte Gerhard Mangott erklärt im Interview mit PULS 24 Anchor Thomas Mohr, wie diese letzten Entwicklungen einzuordnen sind.
Schonende Umbesetzung
Nach russischem Verfassungsrecht müsse die Regierung bei der Neuangelobung des Präsidenten zurücktreten. Schoigus "Rücktritt" sei demnach schonend, weil er nicht abgesetzt wurde. "Das ist auch eine gesichtswahrende Lösung für ihn", so Mangott.
Schoigu sei mit der grassierenden Korruption im russischen Verteidigungsministerium nicht zu Recht gekommen und sieben Prozent der Gesamtwertschöpfung Russlands würden aktuell in den Bereich Militär und Sicherheit fließen.
Deshalb dürfte nun Ökonom Belussow ins Boot geholt worden sein, weil er einen sehr guten Überblick über die Rüstungs- und Zulieferindustrie habe.
Sonst wüsste man über den neuen Minister, dass er erstmals 2006 in der Regierung saß und von 2013 bis 2020 Wirtschaftsberater von Putin war. Er würde außenpolitisch und zum Krieg ähnlich denken wie Putin selbst, "er war ja der einzige Liberale in der Regierung in Russland, der 2014 die Annexion der Krim unterstützt hat".
Video: Umbau an russischer Staatsspitze
Mit dem Ökonomen erhoffe sich Putin auch mehr Innovation im Krieg, so Mangott. Strategische Entscheidungen lägen in Russland beim Generalstabschef, deshalb sei die Umbesetzung eine Verschiebung des wirtschaftlichen Fokus.
Die russische Wirtschaft habe sich besser als von Beobachtern erwartet gegen Sanktionen aufrechterhalten können. Im Vorjahr sei sie um drei Prozent gewachsen, auch die Inflation sei "einigermaßen unter Kontrolle", so Mangott. Aktuell passe Belaoussows Profil zu den Anforderungen des Krieges.
Hilfe verschlafen?
Bei Charkiw wurde nun mit dem Wochenende ein neuer Front-Abschnitt im Ukraine-Krieg eröffnet. Mangott sieht einen Versuch, "großflächig Territorium zu erobern". Die Truppenkonzentration wurde zuletzt stark erhöht und es sei klar gewesen, dass der Vorstoß kommen würde, so Mangott.
Russland würde die Region aus zwei Gründen ins Visier nehmen: Einerseits kämen aus der Region viele ukrainische Angriffe gegen Russland, gleichzeitig müsse die Ukraine zur Verteidigung dieser neuen Front Soldaten aus der Region Donezk abziehen. Das geschehe vor "dem Hintergrund einer ohnehin sehr beschränkten Personalzahl der ukrainischen Armee."
Tausende Menschen wurden am Wochenende aus der Region evakuiert.
Primär ginge es aktuell nicht darum, die Millionenstadt Charkiw zu erobern, so Mangott. Dafür würden auch die Kräfte der russischen Armee derzeit nicht ausreichen.
Die Waffenlieferungen des Westens seien zu zögerlich und zu spät gekommen, sagte Mangott. "Die Tatsache, dass die Stadt Charkiw so sehr unter russischem Bombardement gelitten hat, hängt eben damit zusammen, dass die Flugabwehrsysteme der Ukraine zu schwach sind, um Charkiw zu schützen."
Zusammenfassung
- Osteuropa-Experte Gerhard Mangott erklärt die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg.
- Die Umbesetzung im russischen Verteidigungsministerium sei eine wirtschaftlich-strategische Entscheidung.
- Die letzten Angriffe auf die ukrainische Stadt Charkiw hätten eine neue Front eröffnet - somit sei die Ukraine gezwungen, Truppen aus dem Osten abzuziehen.