Mangott: Ukraine-Lösung vor Wahl "nicht wahrscheinlich"
Letzteres sei "jedenfalls noch viele Monate" entfernt, vielleicht auch länger, prognostizierte Mangott. Derzeit sei jedenfalls kein Ansatz für Verhandlungen absehbar. Russland beharre auf der Anerkennung von militärisch errungenen Gebietsgewinnen. Diese könne die Ukraine nicht akzeptieren, das sehe auch eine Mehrheit der dortigen Bevölkerung so. Die Ukraine wiederum wolle nur mit einem möglichen Nachfolger Putins verhandeln und nachdem sich die russische Armee aus der gesamten Ukraine einschließlich der Halbinsel Krim zurückgezogen habe. Das würde jedoch eine krachende Niederlage Russlands bedeuten. "Worüber soll dann noch verhandelt werden?", folgerte der Politikwissenschafter der Universität Innsbruck.
Die aktuelle Zurückhaltung Putins bei Konflikten unter russischen Eliten und militärischen Formationen grenze indes an "Arbeitsverweigerung", analysierte Mangott: "Wenn Putin nicht den Eindruck erweckt, er weiß, was er tut, könnten Zweifel unter den Eliten zunehmen". Dann könnte auch verstärkt die Frage gestellt werden, ob die Kosten im Ukraine-Krieg für Russland gerechtfertigt seien.
Es sei langjährige Praxis Putins gewesen, sich bei schwierigen Themen zurückzuhalten, um nicht potenzielle negative Folgen mittragen zu müssen. "Das ist nicht mehr haltbar", betonte der Russland-Experte. Die Eliten stünden nicht mehr geschlossen hinter dem russischen Präsidenten, wie das in den vergangenen Jahrzehnten der Fall gewesen sei. "Er kann es sich nicht mehr leisten, sich zurückzulehnen", so der Innsbrucker Politologe mit Blick auf Konflikte etwa zwischen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Die ukrainische Gegenoffensive sei indes bereits im Gang. Vor zehn bis 14 Tagen habe eine Vorbereitungsphase begonnen, die seit fünf Tagen laufenden Vorstöße der Ukraine könnten als Beginn der lange erwarteten Gegenoffensive gewertet werden. Dass die Ukraine das nicht als solche bezeichne sei klar, ansonsten müsste man ein mögliches Scheitern erklären.
Berichte über die Zerstörung von vom Westen gelieferter Leopard- und Bradley-Kampfpanzer durch Russland hätten sich indes als glaubwürdig herausgestellt, so Mangott. Für Moskau bedeute das einen "propagandistischen Erfolg". Damit könne man demonstrieren: Die vom Westen gelieferten Waffen sind nicht unbesiegbar. Für die Ukraine handle es sich jedoch noch nicht um einen dramatischen und auch keinen entscheidenden Verlust, sondern nur um einen kleinen Teil der gelieferten Kriegsgeräte.
Hinweise, dass der Kachowka-Staudamm durch Russland gesprengt worden sei, hätten sich indes verdichtet. Ziel des "Terroraktes und Kriegsverbrechens" dürfte aus russischer Sicht gewesen sein, die Front zu verkürzen. Dadurch, dass ein Übersetzen der ukrainischen Armee über den Dnipro in bestimmten Gebieten verhindert werde, könnten Soldaten von dort abgezogen und woanders eingesetzt werden. Spekulationen, dass die Ukraine hinter der Sprengung stecken könnte, schätzte Mangott mit allergrößter Wahrscheinlichkeit für falsch ein. Endgültige Beweise gebe es jedoch noch nicht.
Hingegen sei die Ukraine wohl Urheber der wiederholten Angriffe in russischen Grenzregionen und im Inland einschließlich Moskaus. Das solle der russischen Bevölkerung signalisieren: Die Ukraine sei dazu fähig, den Krieg "nach Hause zu bringen". Auch könnte ein Ziel sein, die russische Armee dazu zu zwingen, Kräfte von der Front zur Grenzsicherung abzuziehen. Das habe sich bisher jedoch nicht bewahrheitet - auch, weil die russische Regierung mit der eigenen Bevölkerung "stiefmütterlich" umgehe. Gleichzeitig bestehe auch die Möglichkeit, dass dadurch die Unterstützung in Russland für den Ukraine-Krieg steige.
Eine atomare Eskalation sei nicht wahrscheinlich, aber weiter möglich, schätzte Mangott. Eine Gefahr bestehe insbesondere dann, wenn Kerninteressen des russischen Staates bedroht würden - etwa im Falle der Krim. "Ein Verlust der Krim wäre das politische Ende Wladimir Putins", so Mangott. Die Frage sei, wie dieser reagiere, wenn ein solcher Verlust drohe. Der Westen müsse sich mit dieser Möglichkeit beschäftigen und auch in die Einschätzung miteinbeziehen, welche Waffen geliefert würden: "Die Frage ist: Wozu soll die Ukraine befähigt werden?"
(Das Gespräch führte Matthias Bliem-Sauermann/APA)
Zusammenfassung
- Der Politologe Gerhard Mangott hält eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg vor der russischen Präsidentschaftswahl am 17. März nächsten Jahres "nicht für wahrscheinlich".
- Auch, weil Präsident Wladimir Putin nicht mit einer möglichen Kriegsniederlage in die Wahlen gehen wolle, sagte Mangott im APA-Gespräch.
- Gelöst werden könne der Konflikt wohl erst, wenn beide Seiten militärisch ermattet und keine militärischen Erfolge mehr zu erwarten seien.