Israel und Hisbollah nähern sich Waffenruhe
Die Deutsche Presse-Agentur erfuhr aus Regierungskreisen, die Zustimmung des Kabinetts zu der unter US-Vermittlung ausgehandelten Vereinbarung sei "wahrscheinlich". Auch libanesische Regierungsquellen in Beirut äußerten sich optimistisch. Die Entscheidung liege bei Israel.
Man sei nahe dran an einer Einigung über eine Waffenruhe, man habe gute Gespräche geführt, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Es gehe in die richtige Richtung. "Aber es ist noch nicht geschafft", sagte Kirby. Er wolle sich aber nicht zu Details äußern, um die Chance auf eine Einigung nicht zu gefährden.
Die libanesische Regierung hofft auf die Vereinbarung. "Hoffen wir, dass es heute Abend eine Waffenruhe gibt", sagt Außenminister Abdullah Bou Habib am Dienstag. Sein Land werde im Rahmen einer solchen Vereinbarung 5.000 Soldaten in den Süden des Libanons entsenden. Dort hat die Hisbollah ihre Hochburgen und wird vom israelischen Militär auch mit Bodentruppen bekämpft. Habib zufolge könnten die USA beim Wiederaufbau der Infrastruktur im Südlibanon eine Rolle spielen.
Die vorliegende Vereinbarung sehe einen 60-tägigen Umsetzungszeitraum vor, der es Israels Militär ermöglichen solle, sich zurückzuziehen, berichtete unterdessen das "Wall Street Journal" unter Berufung auf libanesische Beamte. Die libanesische Armee solle zugleich im Grenzgebiet zu Israel stationiert werden, um zu verhindern, dass Kämpfer der Hisbollah dort wieder Fuß fassen. Eine internationale Kommission solle mit der schon seit Jahren im Libanon stationierten UNO-Friedenstruppe UNIFIL die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, hieß es.
Israel wird nach Angaben von Regierungssprecher David Mencer bei einer Vereinbarung seine Handlungsfreiheit behalten. Es werde weiterhin die Bedrohung durch die Hisbollah abwenden können, sagt er der Nachrichtenagentur Reuters. Die Bewohnerinnen und Bewohner im Norden Israels würden in ihre Häuser zurückkehren können.
Vorerst setzten Israel und die Hisbollah ihre gegenseitigen Angriffe jedoch fort. Die israelische Luftwaffe bombardierte erneut Vororte der libanesischen Hauptstadt Beirut. Auf Videos in sozialen Medien war zu sehen, wie ganze Gebäude infolge der Lufteinschläge in sich zusammenbrachen. Zuvor hatte ein Armeesprecher mehrere Evakuierungsaufrufe an die Bewohner gerichtet. Auch in anderen Teilen des Landes griff die israelische Armee weiter an.
Die Attacken sollen demnach vor allem die Fähigkeit der Hisbollah schwächen, sich von den schweren Schlägen der vergangenen Monate zu erholen, sich erneut zu bewaffnen und neu zu organisieren. Die Miliz schoss trotzdem erneut Raketen auf Israel ab. Im Norden Israels wurden die Sicherheitsvorschriften verschärft, in einigen Gebieten sollen die Schulen heute geschlossen bleiben, weil verstärkter Raketenbeschuss befürchtet wurde. In der Nacht heulten im Norden des Landes erneut die Warnsirenen. Bei einer neuen Raketensalve sei ein Haus in der grenznahen Stadt Kiriat Shmona direkt getroffen und beschädigt worden, berichteten israelische Medien.
Die vom Iran finanzierte Hisbollah wollte nach eigenen Angaben mit den Angriffen ein Ende der israelischen Offensive gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen erzwingen. Die Terrorgruppe hatte am 7. Oktober 2023 ein Massaker in Israel verübt, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere als Geiseln verschleppt wurden. Der Angriff löste den seit mehr als einem Jahr andauernden Gaza-Krieg aus. Seither hat die mit der Hamas verbündete Hisbollah mehr als 17.000 Raketen auf Israel abgefeuert, wie die Armee auf Anfrage mitteilte.
Im selben Zeitraum habe Israels Militär rund 12.000 Terrorziele im Libanon angegriffen, hieß es. Die Hisbollah gilt seit den intensiven Luftangriffen und einer von Israel Mitte September gestarteten Bodenoffensive inzwischen als angeschlagen. Ein Großteil ihrer Anführer wurde getötet. Insgesamt starben im Libanon durch Israels Gegenangriffe mehr als 3.000 Menschen. In beiden Ländern warten Zehntausende Menschen darauf, nach einem Ende der Kämpfe in ihre Wohnorte zurückkehren zu können. In Israel war die Rückkehr der aus dem Norden des Landes vor dem Beschuss geflohenen Bewohner erklärtes Kriegsziel.
Der von der "Times of Israel" zitierte Regierungsbeamte betonte, Israel akzeptiere zwar eine Einstellung der Feindseligkeiten, nicht aber ein Ende des Krieges gegen die Hisbollah-Miliz. Man wisse nicht, wie lange die Waffenruhe dauern werde. "Es könnte ein Monat sein, es könnte ein Jahr sein", sagte der israelische Beamte der Zeitung.
Die israelische Armee gewährte unterdessen erstmals einen genaueren Einblick in ihren jahrelangen Kampf gegen den Schmuggel von Waffen aus dem Iran zur Hisbollah-Miliz. Für den Schmuggel seien verdeckte Routen durch den Irak und Syrien in den Libanon eingerichtet worden. Dabei seien im Laufe der Jahre Tausende Lastwagen und Hunderte Flugzeugen eingesetzt worden, um Tausende Raketen und weitere Waffen in den Libanon zu bringen, mit denen Israel angegriffen werde. Die syrischen Behörden wirkten dabei stillschweigend mit. Israel habe diese Routen nicht erst in den vergangenen Monaten ins Visier genommen, sondern seit Jahren, erklärte die Armee. Israel werde auch in Zukunft gegen jeden Versuch des Irans vorgehen, Verbündete im Nahen Osten Waffen zu liefern.
Die USA als Israels wichtigster Verbündeter drängen seit Wochen auf eine Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel. Ihr Vermittler Amos Hochstein war diese Woche für Verhandlungen erneut in den Libanon und nach Israel gereist. Derweil wird der Nahost-Koordinator des Weißen Hauses, Brett McGurk, heute in Saudi-Arabien erwartet.
Dort will McGurk nach Angaben aus Washington darüber sprechen, wie ein mögliches Abkommen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon als Katalysator für eine mögliche Waffenruhe auch im Gazastreifen sowie für mehr Stabilität in der Region genutzt werden kann. Die Beendigung des Gaza-Kriegs gilt als deutlich komplizierter, auch weil die Hamas noch immer aus Israel entführte Geiseln festhält.
Zusammenfassung
- Israel und die Hisbollah stehen kurz vor einer 60-tägigen Waffenruhe, die heute Abend vom israelischen Sicherheitskabinett beschlossen werden soll.
- Die libanesische Regierung plant, 5.000 Soldaten in den Süden des Libanons zu entsenden, um die Hisbollah zu kontrollieren.
- Seit Beginn des Konflikts hat die Hisbollah über 17.000 Raketen auf Israel abgefeuert, während Israel rund 12.000 Ziele im Libanon angegriffen hat.
- Die Waffenruhe soll von der UNIFIL und einer internationalen Kommission überwacht werden, um die Einhaltung sicherzustellen.
- Mehr als 3.000 Menschen starben im Libanon durch Israels Angriffe, während die USA als Vermittler auf eine Stabilisierung der Region drängen.