Industriellenvereinigung: Die heimliche Macht im Land?
Noch im Bademantel, noch beim ersten Kaffee am Morgen, fühlte sich Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer zuletzt genötigt, sich über Instagram an die Öffentlichkeit zu wenden. Schuld daran war eine Aussage von Georg Knill, dem Präsident der Industriellenvereinigung (IV).
Dieser hatte von der Regierung harte Sparmaßnahmen gefordert und unter anderem das Klimaticket, ein Prestigeprojekt der Grünen, infrage gestellt. "Man kann sich absolut nur mehr aufs Hirn greifen: Jemand, stinkreich, der sich den ganzen Tag von seinem Chauffeur durch die Gegend fahren lässt, möchte eine Maßnahme abschaffen, die das Leben der Menschen günstiger und besser macht", wetterte die Klubchefin.
Wenige Tage später veröffentlicht der "Standard" geheime Aufnahmen von einem Stammtisch der FPÖ-Simmering. Auch am anderen Ende des politischen Spektrums ist Knill Thema. Hier allerdings in einem anderen Licht: Der blaue Nationalratsabgeordnete Markus Tschank unterstützt dort seine Argumente gegen Zuwanderung mit Aussagen des IV-Präsidenten. Knill habe ihm nämlich gesagt, dass Österreichs Produktivität abgenommen habe, obwohl rund eine Million Menschen ins Land gekommen seien.
Packelt die Industriellenvereinigung mit der FPÖ? Das legt zumindest die Erzählung der SPÖ nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP nahe: In der ÖVP hätten sich die Stimmen von Wirtschaft und Industrie durchgesetzt, deswegen wolle die ÖVP nun lieber mit den Blauen koalieren, hieß es.
Tatsächlich näherte sich Knill der FPÖ in den vergangenen Monaten immer mehr an. Noch im Sommer meinte er, er wolle analysieren, "wie sich die freiheitliche Partei für den Industriestandort engagiert". Dem "Kurier" teilte er dann vor der Wahl mit: "Beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ sehen wir eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP."
"Liebesbrief von Kickl"
Ende Oktober bekam Knill dann Post von FPÖ-Chef Herbert Kickl - die "Krone" schrieb von einem "Liebesbrief". "Nur in einer Allianz mit der FPÖ kann die ÖVP jene Stärke entfalten, die unsere Heimat verdient. Gemeinsam können wir Österreich wieder groß machen", warb Kickl bei der IV um eine türkis-blaue Koalition. Dann stiegen die NEOS aus und die ÖVP brach mit der SPÖ.
Beim Neujahrsempfang der IV meinte die IV dann: "Es waren nicht wir." Generalsekretär Christoph Neumayer betonte, dass er selbst über 50 Stunden in den Verhandlungen verbracht habe. Er sah die Schuld bei SPÖ-Chef Andreas Babler.
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Man zeigte sich einer Zusammenarbeit mit der FPÖ gegenüber zunächst positiv gestimmt und richtete gleich Wünsche aus, die nun 1:1 von ÖVP und FPÖ so ausgeführt werden sollen: Eine Budgetsanierung müsse man ausgabenseitig umsetzen. Sechs Milliarden heuer im Staatsbudget einzusparen sei durchaus machbar, meinte Knill schon am 9. Jänner. Bei den Förderungen gebe es inklusive Klimabonus und Bildungskarenz das größte Einsparungspotenzial.
Neue Steuern wollen ÖVP und FPÖ nun ebenfalls nicht. Das Klimaticket bleibt zwar, wird aber eingeschränkt. Bildungskarenz und Klimabonus werden gestrichen.
Aber wer sind Georg Knill und die Industriellenvereinigung eigentlich und warum haben sie einen so großen Einfluss?
"Österreich hat zwei Verfassungen - eine formelle und eine reale", sagt Politikwissenschaftler Ferdinand Karlhofer von der Uni Innsbruck im Gespräch mit PULS 24. Er spielt damit darauf an, dass die IV eigentlich kein Teil der Sozialpartnerschaft ist, aber real oft als solcher behandelt werde. Über die Sparte Industrie in der Wirtschaftskammer (WK) habe man aber auch offiziell Einfluss.
Eigentlich nur ein Verein
"Die IV ist mächtig und hat ein gewichtiges Wort bei allen Verhandlungen", so Karlhofer. Sie ist aber eigentlich ein Verein, der laut eigenen Angaben "über 5.000 Mitglieder" hat. Eine Mitgliedschaft ist freiwillig, wie viel sie kostet, gibt die IV nicht bekannt. Die IV versteht sich als Interessensvertretung der Industrie, aber auch der Banken. Sie ist im Lobbyregister eingetragen und betreibt als solche auch ein Büro in Brüssel.
Video: Knill im Porträt
Seit 2020 ist Georg Knill ihr Präsident. Die Knill-Gruppe, die der 52-Jährige gemeinsam mit seinem Bruder führt, gibt es länger als die Vorgängervereine der IV selbst. Schon 1712 produzierte die Schmiede Moosdorfer angeblich Säbel, Sicheln und Klingen - auch für die kaiserliche Armee. Heute ist das Familienunternehmen mit seinen Tochterfirmen in mehreren Ländern, darunter China, Indien und die USA, tätig und hat sich auf Batterie-, Kabel- und Draht- sowie auf die Glasfaserindustrie spezialisiert.
Prunkbau und Machtanspruch
Der Machtanspruch der IV spiegelt sich schon im prestigeträchtigen Hauptquartier im Haus der Industrie am Wiener Schwarzenbergplatz wieder. Ihr Selbstverständnis hat aber auch historische Ursprünge: Die älteste Vorgängerorganisation der Industriellenvereinigung wurde 1862 gegründet - zu einer Zeit, als sich Adel und Monarchen trotz fortschreitender Industrialisierung zunächst gegen das aufsteigende Bürgertum wehrten. Kaiser Franz Josef musste schließlich - auch wegen teurer Kriege - nachgeben und der Industrie erstmals weitgehende Freiheiten einräumen.
Als 1911 schließlich der Prunkbau eröffnet wurde, sagte der Großindustrielle Richard von Schoeller, dass man die Wiener Innenstadt gewählt habe, "um der Industrie jene Stellung und Anerkennung im Staate zu verschaffen, die ihr gebührt". Finanziert wurde das Gebäude ausschließlich aus Mitteln der Industriellen - auf den Staat wollte man nicht angewiesen sein. Umgekehrt sei der Staat aber auf die Industrie angewiesen, trommelt man bis heute.
Allerdings habe Österreich bis in die 80er eine "schwache private Industrie gehabt", merkt Politikwissenschaftler Karlhofer an. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden viele zunächst herrenlose Werke verstaatlicht - er nennt als Beispiel die "Hermann-Göring-Werke", die zur VOEST und erst ab 1995 privatisiert und zur heutigen Voestalpine wurden. Die IV habe in der Zeit der großen staatlichen Betriebe "im Hintergrund, nur aus der WK heraus" eine Rolle gespielt.
12-Stunden-Tag: Die Handschrift der IV
Mit dem Zusammenbruch der staatlichen Industrie und mit dem EU-Beitritt, den die IV unterstützte, habe sich die Sichtweise der IV auf die Sozialpartnerschaft zunehmend geändert, so Karlhofer.
Die IV versuchte zunehmend, Industrielle in den Kabinetten der Ministerien unterzubringen, büßte unter großen Koalitionen zwischen ÖVP und SPÖ aber immer Einfluss ein. Lehnt die IV also doch mehr die Roten ab, als sie zu den Blauen tendiert?
Das Wirtschafts- und Steuerprogramm der schwarz-blauen Regierung Wolfgang Schüssel trug die Handschrift der IV, das Programm von Sebastian Kurz und der FPÖ ebenfalls.
Für besondere Aufregung sorgte etwa der 12-Stunden-Tag. Als der Gewerkschaftsbund (ÖGB) dagegen mobilisierte, mietete die IV gegenüber der ÖGB-Zentrale und bei der Arbeiterkammer riesige Werbeflächen. "Der generelle 12-Stunden-Tag ist ein Märchen", stand auf einem Plakat. 140.000 Euro war die Kampagne der IV Wert.
Grüne haben differenziertes Bild
Zu Beginn der türkis-grünen Koalition merkte man laut Jakob Schwarz, dem grünen Finanzsprecher, bei den Verhandlungen hingegen wieder kaum einen Einfluss der IV. Da sei vor allem das engste Umfeld von Sebastian Kurz am Tisch gesessen - auch niemand von der Wirtschaftskammer, sagt er im Gespräch mit PULS 24.
Im Gegenteil: Laut Schwarz hätten eher die Grünen den Kontakt gesucht und gemeinsam mit der Industrie die Klima- und Transformationsoffensive entwickelt. Er ortete vor allem bei den großen produzierenden Industriebetrieben großes Interesse an der Reduktion von Treibhausgasemissionen. Zwischenrufe habe es dann eher bei der ökosozialen Steuerreform und während der Energiekrise gegeben.
Laut Schwarz müsse man auch die Interessen der Industrie differenziert sehen: So gebe es nun auch Bedenken gegenüber Blau-Türkis von E-Auto-Zulieferern, von der Photovoltaik- und Windkraftbranche.
"Schizophrenie"
Politikwissenschaftler Karlhofer ortet bei der IV vor allem "wenig Interesse, sich mit sozialdemokratischen Wünschen zu arrangieren". Auch er attestiert der Industriellen-Interessensvertretung eine gewisse "Schizophrenie". Zum einen will man mit der Sozialpartnerschaft nichts zu tun haben, andererseits stützt sich etwa KTM gerade auf sozialpartnerschaftliche Rettungsmaßnahmen.
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Stefan Pierer, Chef des insolventen Motorradbauers, hatte sich im Oktober für eine Regierungsbildung durch die stimmenstärkste Partei ausgesprochen. Von Knill kamen seit dem Beginn der blau-türkisen Verhandlungen nun wieder Distanzierungsversuche: So forderte er etwa, dass man "auf eine starke Europäische Union" setzen sollte.
Zunächst wollte die IV eben eine ausgabenseitige Budgetsanierung - die FPÖ "biederte sich an" - nun erst im zweiten Schritt sorge man sich doch um Rechtsstaat und Demokratie, so Karlhofer.
"Welcher Wähler hat das goutiert?"
Angesichts der schwierigen Lage mancher Betriebe mögen die Warnungen der Industrie Berechtigung haben, meint der Politikwissenschaftler. Auch seien Koalitionsverhandlungen nie nur ein Abgleichen der Parteiprogramme, sondern würden vom Einfluss unterschiedlicher Akteure beeinflusst. Doch müsse man angesichts der Gewichtigkeit mancher Industrieller schon hinterfragen: "Welcher Wähler hat das goutiert?"
Zusammenfassung
- Wer ist die Industriellenvereinigung, die Koalitionsgespräche gesprengt haben und blau-türkise Sparpläne mitverantworten soll?
- Wer sitzt ihr vor? Wen vertritt sie? Wie viel Einfluss hat sie und vor allem: Wie wird dieser legitimiert?
- PULS 24 hat sich umgehört.