Humanitäre Krisen mit wenigsten Schlagzeilen alle in Afrika
Gemeinsam mit dem Medienbeobachtungsdienst "Meltwater" durchforstete CARE fünf Millionen Online-Berichte von 1. Jänner bis 30. September 2023 in den Sprachen Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch nach Meldungen über humanitäre Krisen. Dabei wurden 48 derartige Krisen identifiziert, von denen mindestens eine Million Menschen betroffen sind. In dem Ranking fanden sich einige Katastrophen, die Jahr für Jahr niemanden interessieren, es gab aber auch einige Krisen, die heuer neu hinzukamen.
Alle diese Krisen haben laut CARE-Österreich-Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager bei einer Pressekonferenz am Donnerstag eines gemeinsam: "Sie sind chronisch und lang andauernd. Als humanitäre Hilfsorganisation wollen wir diese Krisen der Öffentlichkeit mit dem Report zumindest einmal im Jahr in Erinnerung rufen." Auf dem ersten Platz landete wie schon im Vorjahr Angola, wozu gerade einmal 1.049 Online-Berichte gefunden wurden. Und das, obwohl Dürren, Überschwemmungen sowie Hunger in Angola dazu führen, dass mehr als sieben Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Zum Vergleich: Zum neuen Barbie-Film erschienen im selben Zeitraum des vergangenen Jahres weltweit 273.279 Online-Artikel.
Dass über gewisse Krisenherde kaum berichtet wird, führte Barschdorf-Hager unter anderem auf Sparmaßnahmen der Medien zurück: "Die weltweite humanitäre Not war noch nie so groß wie 2023. Das spiegelte sich auch in der internationalen Berichterstattung wider. Es ist klar, dass neuere Ereignisse wie die Erdbeben in Syrien und der Türkei, der Ukraine-Krieg sowie der eskalierende Konflikt im Nahen Osten die Schlagzeilen dominieren. Viele Krisen in Afrika existieren seit langer Zeit, dementsprechend schwierig ist die Berichterstattung. Wir sehen aber auch, dass die personellen und finanziellen Ressourcen der Medien sinken, was dazu führt, dass die Auslandsberichterstattung geringer ausfällt."
Um das zu ändern und die Berichterstattung über die vergessenen Katastrophen auszubauen, wären der CARE-Geschäftsführerin zufolge auf mehreren Ebenen Maßnahmen notwendig: So müssten die betroffenen Regierungen Journalisten einen sicheren Zugang zu den Krisenregionen gewährleisten. "Das geschieht nicht überall." Dort müsse auch die Möglichkeit der unabhängigen und objektiven Berichterstattung garantiert werden. Und es benötigt Ressourcen, die letztlich humanitäre Hilfsorganisationen, aber auch Stakeholder zur Verfügung stellen müssen. Barschdorf-Hager brachte das Beispiel EU, die einen eigenen Topf für die vergessenen Krisen hat.
Auf den Plätzen zwei und drei folgen mit Sambia und Burundi zwei weitere Staaten, deren Krisen schon mehrfach in den früheren CARE-Reports zu finden waren. Die Zentralafrikanische Republik, heuer auf Platz sechs, fand sich bisher in jedem der acht Berichte wieder. Neu sind hingegen Senegal (Platz vier), Mauretanien (Platz fünf) und Uganda (Platz neun).
Dass Afrika auf dieser Liste besonders präsent ist, ist laut Deepmala Mahla, CARE-Direktorin für humanitäre Hilfe, allerdings wenig verwunderlich: "Laut den Vereinten Nationen werden 2024 weltweit fast 300 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen - die Hälfte davon in Afrika." Überraschend sei allerdings, wie wenig bekannt die humanitären Krisen - gerade in Angola - sei. Man dürfe nicht vergessen, dass Hunger fast immer menschengemacht ist. "Um Leben zu retten, braucht es neben mehr Aufmerksamkeit eine ausreichende Finanzierung für humanitäre Hilfe. Im vergangenen Jahr wurden nur 35 Prozent der benötigten finanziellen Mittel für humanitäre Hilfe bereitgestellt, das ist definitiv zu wenig", appellierte Mahla.
Sie wies außerdem darauf hin, dass der Klimawandel praktisch bei allen Krisen eine große Rolle einnimmt. "Und der Klimawandel spielt nicht fair: Er treibt Hungersnöte voran, er macht Probleme mit dem Wasser noch schlimmer, er zerstört die Lebensräume der Menschen, er hindert Kinder daran, in die Schule zu gehen", nannte Mahla einige Beispiele für die Folgen.
Die größte Aufmerksamkeit in Online-Berichten über Krisen- und Katastrophengebiete erregte übrigens das Erdbebengebiet in der Türkei und Syrien mit mehr als 700.000 Artikeln, gefolgt von der Ukraine. Der Nahe Osten landete auf Platz vier vor dem Sudan, aber "das wird sich heuer sicher ändern", sagte Barschdorf-Hager.
Nicht auf den ersten zehn Plätzen landeten heuer Malawi (im Vorjahr Platz zwei), der Tschad (2023 Platz fünf), Mali (2023 Platz acht) und Niger (Platz zehn im Vorjahr). Das liegt laut Mahla und Barschdorf-Hager nicht daran, dass sich in diesen Ländern die Situation gebessert, sondern tendenziell verschlechtert hätte, sondern dass eben andere Krisen in Online-Berichten noch weniger Beachtung fanden. Sieht man sich die Ränge elf bis 20 der am wenigsten beachteten Krisen an, so finden sich Mali (Platz elf), Malawi (15) und Niger (18) wieder. Unter den ersten 20 sind übrigens mit Nordkorea (13), El Salvador (17), Peru (19) und Sri Lanka (20) nur vier der am wenigsten beachteten Krisen nicht in Afrika.
Zusammenfassung
- Zum bereits achten Mal weist die humanitäre Hilfsorganisation CARE auf jene zehn Krisenherde hin, über die im Vorjahr am wenigsten berichtet worden ist.
- Und zum zweiten Mal hintereinander befinden sich alle Krisen, die im Report "Breaking the Silence" gelistet sind, auf dem afrikanischen Kontinent.
- Neu sind hingegen Senegal, Mauretanien und Uganda.
- Nicht auf den ersten zehn Plätzen landeten heuer Malawi, der Tschad, Mali und Niger.