Wähler getäuscht: Macht sich die ÖVP strafbar?
Was die ÖVP noch vor Kurzem gebetsmühlenartig gepredigt hat, zählt für sie heute nichts mehr. "Herbert Kickl darf im Interesse der Sicherheit der österreichischen Bevölkerung keine Regierungsverantwortung übernehmen", teilte der nunmehrige ÖVP-Chef Christian Stocker fünf Tage vor der Nationalratswahl in einer Presseaussendung mit.
Und auch nach der Wahl beteuerte der damalige Generalsekretär der ÖVP, "dass der Bundeskanzler mit Herbert Kickl keine Koalition bilden wird. Das gilt für die Volkspartei. Das war gestern so, das ist heute so, das wird auch morgen so sein."
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Zahlreiche weitere ÖVP-Politiker:innen machten ähnliche Versprechen, die nun nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit SPÖ und NEOS nichts mehr wert zu sein scheinen. Die ÖVP will nun doch mit den Blauen verhandeln, Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurde quasi gezwungen, Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag zu geben.
Dabei dürfte das vielen ÖVP-Wähler:innen gar nicht so recht sein: Laut einer Umfrage von "Unique-Research" für das "Profil" im Juni sagten 68 Prozent der ÖVP-Wähler:innen, dass sie keine Koalition mit der FPÖ wollen. Laut einer "Market"-Umfrage für den "Standard" im Juli lehnten 71 Prozent der ÖVP-Wähler:innen Kickl als Kanzler ab.
Ist das rechtlich zulässig?
Ist es rechtlich zulässig, dass eine Partei diametral anders handelt, als von ihr versprochen? Im Strafgesetzbuch lassen sich zwei Paragrafen finden, die zumindest auf den ersten Blick ein Verbot vermuten lassen:
- In Paragraf 263 heißt es etwa: "Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, dass ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen".
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Noch zutreffender scheint auf den ersten Blick Paragraf 264 zu sein: "Wer öffentlich eine falsche Nachricht über einen Umstand, der geeignet ist, Wahl- oder Stimmberechtigte von der Stimmabgabe abzuhalten oder zur Ausübung des Wahl- oder Stimmrechts in einem bestimmten Sinn zu veranlassen, zu einer Zeit verbreitet, da eine Gegenäußerung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen".
Doch Strafrechtsexperte Robert Kert winkt im Gespräch mit PULS 24 ab: Es handle sich um Paragrafen, die selten zur Anwendung kommen und auch auf andere Umstände anspielen.
So gehe es dabei weniger um die Inhalte von Wahlwerbung, als um den Wahlvorgang selbst. Wenn etwa eine Partei verbreiten würde, man müsse am Wahlzettel Parteien durchstreichen, um Zustimmung zu äußern oder einen falschen Wahltermin verbreiten würde, könnte dies strafbar sein.
"Sozialadäquate Täuschung"
Es müsse sich außerdem um Aussagen handeln, die objektivierbar sind - also um Tatsachenbehauptungen. Aussagen, mit wem man koalieren wollen - oder mit wem nicht - seien rechtlich gesehen wohl eine "sozialadäquate Täuschung", so Kert. Man kann davon ausgehen, dass Wähler:innen wissen, dass nicht alle Wahlversprechen eingehalten werden.
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Paragraf 264 komme eher zur Anwendung, wenn Politiker:innen über einen anderen behaupten würden, dieser oder diese sei krank oder trete zurück, obwohl dem nicht so ist. Der Paragraf ziele also eher auf bewusste Desinformation ab - es wäre schwer nachweisbar, dass die ÖVP in Wirklichkeit immer schon mit der FPÖ koalieren wollte.
Das Strafrecht sei für so einen Fall also "nicht geeignet", so Kert, der aber sehr wohl anmerkt: "Dann muss eben der Wähler Konsequenzen ziehen".
Analyse: Kickl am Weg zum Kanzler
Zusammenfassung
- Die ÖVP hat vor und auch nach der Wahl versichert, nicht mit der FPÖ unter Herbert Kickl koalieren zu wollen.
- Nun vollzogen die Schwarzen eine 180-Grad-Wende und strecken den Blauen die Hand aus.
- Ist das Wählerbetrug? Zumindest im strafrechtlichen Sinne ist es das eher nicht, sagt Experte Robert Kert zu PULS 24. Aber warum eigentlich nicht?