Haftbefehl gegen Putin für Nehammer "zunächst eine theoretische Frage"
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte bei seiner Ankunft zum Gipfel in Hinblick auf den Haftbefehl gegen Putin: "Das ist zunächst einmal eine theoretische Frage. Entscheidend ist, dass die Strafverfolgungsbehörden wissen, was zu tun ist." Bei dem EU-Gipfel wird über die Ukraine und Wirtschaft beraten.
Deutschland pocht auf Umsetzung
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat bei einem Besuch in Nordmazedonien hingegen darauf, den Haftbefehl umzusetzen. "Niemand steht über der Charta der Vereinten Nationen, niemand steht über dem humanitären Völkerrecht, niemand kann Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungesühnt begehen", sagte die Grünen-Politikerin.
Baerbock ergänzte: "Deswegen unterstützen wir den Internationalen Strafgerichtshof jetzt mit Blick auf den Haftbefehl." Deutschland verteidige die Charta der Vereinten Nationen, unterstrich die deutsche Außenministerin. Deswegen stehe man voll und ganz hinter dem Internationalen Strafgerichtshof, der dafür geschaffen worden sei, dass Kriegsverbrechen nicht ungesühnt blieben. "Manchmal dauert das Zeit, manchmal dauert das Jahrzehnte", sagte Baerbock. Aber aus diesem Grund habe Deutschland den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag in den vergangenen Jahren uneingeschränkt unterstützt.
Ungarn weigert sich
Ungarns Regierung hingegen hat schon angekündigt, den Haftbefehl ignorieren zu wollen. Putin würde nicht verhaftet, wenn er nach Ungarn käme, sagte der Stabschef von Ministerpräsident Viktor Orban, Gergely Gulyas, am Donnerstag. Es gäbe für eine Vollstreckung des Haftbefehls keine rechtliche Grundlage in Ungarn.
Ungarn hat zwar das Römische Statut als vertragliche Grundlage des Internationalen IStGH unterzeichnet und ratifiziert. Es sei aber nicht in das ungarische Rechtssystem integriert worden, sagte Gulyas. Auf Basis des ungarischen Rechts könne Putin nicht verhaftet werden. Der IStGH führt allerdings Ungarn aufgrund der Ratifizierung offiziell als Vertragsstaat. Auf Anfrage der APA verwies das Haager Gericht am Donnerstag auf die Kooperationsverpflichtung im Statutstext, wo es heißt: "Die Vertragsstaaten arbeiten nach Maßgabe dieses Statuts bei den Ermittlungen in Bezug auf Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen, und bei deren strafrechtlicher Verfolgung uneingeschränkt mit dem Gerichtshof zusammen."
Österreich: "Niemand steht über dem Recht"
Das österreichische Außenministerium verwies am Donnerstag auf APA-Anfrage auf die Kooperationspflicht dieser Staaten: "Niemand steht über dem Recht. Alle Verbrechen müssen lückenlos aufgeklärt werden, es darf keine Straffreiheit geben. Als Vertragspartei des Römer Statuts besteht für Österreich wie für alle anderen Vertragsparteien eine Kooperationsverpflichtung mit dem IStGH: Das heißt Haftbefehle des Gerichtshofs sind umzusetzen und von diesem Gesuchte festzunehmen. Der IStGH hat 2019 in einem Fall festgestellt, dass auch für Staatsoberhäupter keine Immunität vor dem Gerichtshof besteht", hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums.
EU-Gipfel nimmt Haftbefehl "zur Kenntnis"
Der EU-Gipfel in Brüssel hat den Haftbefehl jedenfalls "zur Kenntnis" genommen. Im Entwurf der Gipfelerklärung ist ein Hinweis auf mutmaßliche Kriegsverbrechen und die illegale Deportation von ukrainischen Kindern nach Russland enthalten. Der Beschluss der EU-Außenminister, eine Million neue Artilleriegeschosse in den nächsten zwölf Monaten an die Ukraine zu liefern, wird vom Gipfel bestätigt.
Weitere Munitionslieferung und Sanktionen
Unter Verweis auf den Beschluss der EU-Außenminister heißt es in der Gipfelerklärung weiter, dass dies auch die mögliche Lieferung von Raketen an die Ukraine beinhalte, "falls angefragt", und über gemeinsame Beschaffung und Finanzierung über die EU-Friedensfazilität.
Österreich hat sich bei dem Beschluss enthalten, es beteiligt sich zwar grundsätzlich finanziell an der EU-Friedensfazilität, mit der Waffenlieferungen an die Ukraine finanziert werden, aber aus Gründen der Neutralität nur für nicht-tödliche Ausrüstung. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dürfte der Hauptfokus der Aussprache der EU-Staats- und Regierungschefs mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zum Auftakt des Gipfels sein. Guterres wolle hier vor allem das Thema Lebensmittelsicherheit ansprechen, hieß es.
Nach Angaben von Diplomaten gibt es unter den EU-Staaten Diskussionen über den Umfang gegen weitere EU-Sanktionen gegen Belarus. Polen und die baltischen Staaten wollen dem Vernehmen nach keine Ausnahmen für Lebensmittel in diesen Sanktionen. Außerdem drängen diese EU-Staaten auch auf eine Absenkung des von der EU beschlossenen Ölpreisdeckels, was von EU-Staaten mit starken Reedereien kritisch gesehen wird.
Nehammer begrüßte den EU-Munitionsbeschluss. Dies sei für Österreich ebenso wie andere EU-Staaten ein Thema. "Wir müssen wieder nachrüsten." Österreich und Europa habe die militärische Landesverteidigung über Jahrzehnte "sträflich vernachlässigt".
Zusammenfassung
- Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte am Rande des EU-Gipfels in Brüssel, dass zunächst entscheidend sei, "dass die Strafverfolgungsbehörden wissen, was zu tun ist."
- Die deutsche Außenminister Annalena Baerbock pocht auf die Umsetzung des Haftbefehls.
- Ungarns Regierung hingegen hat schon angekündigt, den Haftbefehl ignorieren zu wollen.
- Der EU-Gipfel in Brüssel hat den Haftbefehl jedenfalls "zur Kenntnis" genommen.
- Der Beschluss der EU-Außenminister, eine Million neue Artilleriegeschosse in den nächsten zwölf Monaten an die Ukraine zu liefern, wird vom Gipfel bestätigt.