Experte: EU muss sich auf Krieg mit Russland vorbereiten
Trumps Politik spielt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände, wie Gressel erläutert: Nachrichtendienste hätten kalkuliert, dass Russland in "fünf bis acht Jahren so weit sein könnte", einen Angriff auf ein europäisches Land zu starten. Jetzt gebe es aber drei Faktoren, die das beschleunigen könnten. Die Kosten der Russen für eine allfällige Unterwerfung der Ukraine könnten jetzt durch den Ausstieg der Amerikaner wesentlich gesenkt werden. Sollten die USA die Sanktionen gegen Russland aufheben, würde es für Russland leichter, nachzurüsten - durch mehr Einnahmen aus Energieexporten, die Aufhebung von Lieferbeschränkungen sowie den Zugang zu Devisen und amerikanischer Technologie.
Der dritte Faktor sei, dass nun ziemlich unwahrscheinlich sei, dass die USA Europa im Fall eines Angriffs verteidigen würden. "Die Amerikaner unter Trump werden nicht kommen", prognostizierte Gressel. "Und dann ist die Frage, was tun die anderen? Tut dann Deutschland wirklich was ohne amerikanische Rückdeckung?" Beim scheidenden Bundeskanzler Olaf Scholz hätte der Bundesheerexperte diese Frage verneint. CDU-Chef Friedrich Merz klinge hier entschlossener.
Putin habe ein Interesse daran zu zeigen, "dass der Artikel 5 sozusagen nur Schall und Rauch ist", erklärte Gressel unter Verweis auf die NATO-Beistandsverpflichtung nach Artikel 5. Wie er es auch schon in seinen früheren Kriegen getan habe, könnte Putin "mit äußerster Gewalt vorgehen: Alle Männer erschießen, die politischen Eliten säubern, brutalste Deportierungen, Massenvergewaltigungen, die grauenhaftesten Menschheitsverbrechen, die man sich vorstellen kann, vor laufender Kamera, um dem Rest Europas zu signalisieren: Entweder ihr unterschreibt jetzt einen Frieden- und Freundschaftsvertrag mit uns, oder ihr seid die Nächsten."
Gressels pessimistischstes Szenario sieht so aus: Ohne US-Hilfe könnte die Ukraine noch sechs bis zwölf Monate durchhalten, wenn die Europäer nicht durch substanzielle militärische Unterstützung ausgleichen können. Ohne US-Sanktionen und mit chinesischer Hilfe könne Russland dann rasch aufrüsten. "Dann würde ich sagen, so Mitte 2026 wäre der allerfrüheste Zeitpunkt für den großen Krieg um Europa."
Frieden in weite Ferne gerückt
Als unmittelbare Auswirkung des US-Militärhilfestopps rechnet Gressel damit, dass "die russische Luftwaffe wieder aktiver werden kann" - durch Beschüsse mit Marschflugkörpern. Russische Hyperschallraketen könne die Ukraine ohne das US-Flugabwehrsystem des Typs Patriot kaum abwehren. Die Ukraine werde in der Wartung ihrer F-16-Kampflugzeuge Probleme bekommen. Auch Lieferengpässe bei Artillerie-Munition seien zu erwarten.
"Jede Art von Waffenstillstand oder Frieden ist nun noch mal viel weitere Ferne gerückt, weil natürlich Russland jetzt relativ gewiss ist, dass es den Krieg zu günstigeren Bedingungen gewinnen wird können." Putin habe kein Interesse an einem Waffenstillstand. "Wieso soll er das machen?" Russland wolle jetzt eher "Fakten schaffen", glaubt Gressel.
Gressel: Entschlossenes Handeln und Druck nötig
Europa müsse sich dem durch entschlossenes Handeln und Einigkeit entgegenstellen. "Wenn die Europäer schnell handeln würden, das ist ein Konjunktiv, dann könnte man schon viel substituieren, was die Amerikaner liefern", betonte Gressel. Das größte Problem sieht er beim Patriot-System sowie bei der Aufklärung und Kommunikation.
Europa müsste am Weltmarkt rasch von Artillerie-Munition über gepanzerte Fahrzeuge bis hin zu Fliegerabwehrsystemen besorgen und mit amerikanischen Firmen reden, ob sie Patriots und HIMARS-Raketen für die Ukraine kaufen dürfe. Außerdem müsse Europa in Verhandlungen mit Satellitenherstellern eintreten. Es gehe um die Beschaffung von Kommunikationssatelliten zum Ersatz für Elon Musks Satellitenfirma Starlink und für die elektronische Aufklärung. "Das sind natürlich alles teure Beschaffungen, aber desto schneller man sie einleitet, desto eher hat man sie."
Ein Problem sei dabei: "Eine gemeinsame europäische Finanzierung ist dank Viktor Orban blockiert", erklärte Gressel unter Verweis auf den ungarischen Ministerpräsidenten. Ein EU-Ausschlussverfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn wiederum "ist dank der Slowakei blockiert". Die Europäer müssten aber die Realität anerkennen: "Gescheitert ist die Strategie, Trump einzubinden." Europa müsse sich überlegen, wie es mit Amerika umgehe. Gressel empfiehlt Druckanwendung: Europa müsse drohen mit Stornierungen von Verträgen, Zöllen, Sanktionen, einem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT/Non-Proliferation Treaty). "Die Europäer und die Ukraine sollen sich null Illusionen machen, dass sie sich irgendwas ersparen, wenn sie freundlich zu den USA sind."
Zusammenfassung
- US-Präsident Donald Trump hat die Militärhilfe für die Ukraine gestoppt, was laut Militärexperten ein schwerer Rückschlag ist.
- Gustav Gressel von der Landesverteidigungsakademie in Wien schätzt die Wahrscheinlichkeit eines russischen Angriffs auf ein EU-Land auf 80 Prozent.
- Russland könnte in fünf bis acht Jahren bereit sein, einen Angriff zu starten, wobei die Aufhebung der US-Sanktionen eine Aufrüstung erleichtern würde.
- Europa muss schnell handeln, um die militärische Unterstützung zu kompensieren, insbesondere im Bereich der Luftverteidigung.
- Gemeinsame europäische Finanzierungsmaßnahmen werden durch Ungarn und die Slowakei blockiert, was die Reaktion Europas erschwert.