EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht kritisch gegenüber Österreich
Österreich wird daher von der EU-Kommission "eine Beteiligung der Justiz an den Verfahren zur Ernennung von Gerichtspräsidenten der Verwaltungsgerichte unter Berücksichtigung der europäischen Standards" empfohlen. Weiters ist "die Reform zur Errichtung einer unabhängigen Bundesanwaltschaft voranzutreiben". Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Korruptionsbekämpfung liegen. Österreich müsse zudem "effiziente Regeln für die Offenlegung von Vermögenswerten und Interessen der Mitglieder des Parlaments, einschließlich wirksamer Überwachungs- und Sanktionsmechanismen" einführen. Hier gebe es keine Fortschritte.
Auch die Überwachung des Lobbyings wird als verbesserungswürdig gesehen. Bei der "Reform für die Vergabe von staatlicher Werbung durch die Behörden auf allen Ebenen" werden Fortschritte bescheinigt. Die Maßnahmen müssten nun "ordnungsgemäß umgesetzt und durchgesetzt" werden. Grundsätzlich bezeichnet Brüssel die "Unabhängigkeit der Justiz in Österreich" als "sehr hoch" und meint, "das Justizsystem arbeitet effizient".
Nach Ansicht von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) zeigen die Ergebnisse des Berichts, dass sich die von ihr gesetzten Reformen der vergangenen viereinhalb Jahre positiv auswirken. "Der nächste logische und längst fällige Schritt zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz ist die Einführung der Generalstaatsanwaltschaft. Das empfiehlt auch der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht zum wiederholten Male", so Zadić in einer Aussendung. Sie habe das Totsparen der Justiz beendet, seit Beginn der Legislaturperiode seien rund 650 neue Planstellen geschaffen und eine Budget-Steigerung von rund 50 Prozent erreicht worden. Mit der Einführung der Generalstaatsanwaltschaft sollen die Berichtspflichten weiter reduziert werden sollen.
Die EU-Kommission präsentiert seit 2020 einmal im Jahr einen Bericht über den Zustand von Justiz, Medien und Rechtsstaat für jedes der 27 Länder in der EU. Er dient hauptsächlich als Diskussionsgrundlage für EU-Parlament und EU-Staaten, und enthält auch konkrete Empfehlungen an die Regierungen. Da Ungarn die Ratspräsidentschaft innehat und das einzige Land ist, gegen das noch ein Artikel-7-Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit läuft, liegt heuer ein besonderes Augenmerk auf diesem Länderbericht. Milliarden an ungarischen EU-Geldern sind deswegen eingefroren.
Das Land wird erneut schwer kritisiert. Ungarn hat laut EU-Kommission keine der im Bericht von 2023 gemachten Vorschläge umgesetzt, sei es bei der Fall-Zuteilung bei erstinstanzlichen Gerichten, bei der Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien oder bei Schikanen für die Zivilgesellschaft. Die Brüsseler Behörde ruft die Regierung in Budapest erneut zu mehreren Reformen auf. Dazu gehört auch eine Verschärfung der Regeln mit Blick auf Lobbying sowie Jobwechsel zwischen Politik und Privatwirtschaft.
Schlecht schneidet in ihrem Länderbericht die Slowakei ab: Die Kommission fordert hier Reformbemühungen bei der Unabhängigkeit der Justiz, der Korruptionsbekämpfung und der Medienfreiheit ein. Brüssel droht Bratislava sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Hintergrund sind Maßnahmen gegen regierungsunabhängige Organisationen wie Bürgerrechtsgruppen. Laut Plänen der Regierung müssten sich NGOs, die auch aus dem Ausland Geld erhalten, als "Organisationen mit ausländischer Unterstützung" bezeichnen.
Italien wird aufgerufen, den Schutz von journalistischen Quellen zu stärken. Hier habe es in der Vergangenheit keine Fortschritte gegeben. Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wird zudem aufgefordert, die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien zu stärken und deren Unabhängigkeit zu garantieren. Im Vorfeld hatte es Medienberichte gegeben, wonach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Veröffentlichung des heutigen Berichts aus Rücksicht auf Meloni verzögert habe, um sich deren Unterstützung bei ihrer Wiederwahl an der Kommissionsspitze zu sichern. Traditionellerweise wird der Bericht Anfang Juli veröffentlicht.
Ein Kommissionsbeamter erklärte die Verzögerung im Vorfeld damit, dass nicht genug Zeit gewesen sei, die EU-Staaten wie üblich im Vorfeld zu konsultieren. Die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová hatte heute eine andere Erklärung: Um dem Bericht mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, habe man ihn nicht zeitgleich mit dem Auswahlprozess der neuen Kommissionsspitze veröffentlichen wollen, sagte sie in der Pressekonferenz nach der Veröffentlichung.
Jourová lobte hier Polen und Spanien. Die Reformbemühungen der neuen, europafreundlichen Regierung von Donald Tusk hatten zu einer Einstellung des Artikel-7-Verfahrens gegen das Land geführt. Spanien werden im Länderbericht "erhebliche Fortschritte" bei der Erneuerung des unabhängigen Justizrates bescheinigt. Im Kampf gegen Korruption und Interessenskonflikte wird hingegen mehr Tempo eingefordert.
Generell lobt die EU-Kommission aber die Fortschritte in der gesamten EU: Zwei Drittel (68 Prozent) der Empfehlungen aus dem Jahr 2023 seien vollständig oder teilweise umgesetzt worden. Der diesjährige Bericht enthält erstmals vier Länderkapitel zu den Entwicklungen in Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Die Aufnahme der laut Kommission am weitesten fortgeschrittenen Erweiterungsländer in den Bericht soll ihre Reformbemühungen unterstützen, und ihnen im Beitrittsprozess helfen.
"In den letzten Jahren ist die politische Kultur erodiert und das Ausmaß politischer Einflussnahme und Freunderlwirtschaft massiv gestiegen. Jetzt haben wir es auch von der EU-Kommission schwarz auf weiß: Österreich gehört gleich nach Ungarn zu den Spitzenreitern bei Intransparenz, fehlender Kontrolle und der politischen Einflussnahme auf Postenbesetzungen. Das ist ein Tiefpunkt der österreichischen Politik. Österreich würde heute die Beitrittsbedingungen der EU nicht mehr erfüllen", kommentierte SPÖ-Delegationsleiter und Transparenz-Berichterstatter im EU-Parlament Andreas Schieder in einer Aussendung.
"Wie viele negative Berichte braucht es noch, bis die Justizministerin endlich handelt und dafür sorgt, dass die nötigen Reformen tatsächlich angegangen werden? Wo bleibt die versprochene unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft? Wann wird der unerträglichen Zwei-Klassen-Justiz und der politischen Einflussnahme bei Postenbesetzungen endlich ein Riegel vorgeschoben?", fordert Stephanie Krisper, NEOS-Sprecherin für Inneres, laut Aussendung.
Die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger monierte: "So lange die Regierung - allen voran Bundeskanzler Nehammer - nach der Pfeife der Kriegstreiber und Wohlstandszerstörer in Brüssel tanzt, wird diese Kritik jedoch keine Folgen haben. Tatsächlich mit Verfahren eingedeckt werden nur Staaten, die sich diesem Irrsinn widersetzen - wie beispielsweise Ungarn. Der Rechtsstaatlichkeitsbericht verkommt somit zur Waffe gegen Abweichler von der vorgegebenen EU-Einheitsmeinung", so Steger.
Zusammenfassung
- Die EU-Kommission kritisiert Österreichs mangelnde Fortschritte bei Justizreformen und Transparenzregeln in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht 2024.
- Empfohlen wird die Beteiligung der Justiz an Ernennungsverfahren und die Schaffung einer unabhängigen Bundesanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung.
- Justizministerin Alma Zadić hebt die positiven Auswirkungen ihrer Reformen hervor, darunter 650 neue Planstellen und eine Budget-Steigerung von 50%.
- Ungarn und die Slowakei werden ebenfalls stark kritisiert, während Polen und Spanien für ihre Reformbemühungen gelobt werden.
- Der Bericht enthält erstmals Kapitel zu den Erweiterungsländern Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien, um deren Beitrittsprozess zu unterstützen.