Eigene Koalition der Draghi-Fans in Italien
Draghi wurde von drei der Parteien seiner Koalition eiskalt fallen gelassen, die den Weg zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 25. September in Italien geebnet haben. Fünf Sterne, Lega und Forza Italia stürzten aus politischem Kalkül Draghi und hoffen von Neuwahlen zu profitieren. Der Verrat an Draghi schlägt hohe Welle, doch inzwischen kristallisiert sich eine Koalition heraus, die die Agenda des Regierungschefs umsetzen will.
Dieses Ziel setzt sich eine Gruppe von Mitte-links-Parteien, die auf die Wählerstimmen der vielen Draghi-Fans abzielen. Es sind Bürger, die das Prestige und die Kompetenzen des ehemaligen EZB-Chefs zu schätzen gelernt haben, sich für Italien Stabilität wünschen und bei Wahlen jene Parteien belohnen wollen, die sich Kompetenz, Ernsthaftigkeit und Reformen zum Ziel setzen.
Auch der Minister für die öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, will der Draghi-Front beitreten. Er trennte sich nach fast drei Jahrzehnten von seiner Partei Forza Italia - aus Protest gegen die Vorgabe von Parteichef Silvio Berlusconi, die Draghi-Regierung zu stürzen. Dieser Beschluss sei hinter dem Rücken der Forza Italia-Minister in Draghis Regierung getroffen worden, kritisiert Brunetta. Alle drei Forza Italia-Minister haben inzwischen Berlusconis Partei verlassen.
"Forza Italias Austritt aus der Regierung war ein Akt der Verantwortungslosigkeit, der von zeitlichem Opportunismus motiviert war", protestiert Brunetta, der jetzt die Fäden der neuen "Republikanischen Union" ziehen will. Lega-Chef Matteo Salvini habe Berlusconi aus politischem Kalkül überzeugt, Draghi zu stürzen. "Salvini musste erleben, wie sich das Ansehen der Lega Monat für Monat verschlechterte, während der koalitionsinterne Konkurrent Fratelli d ́Italia an Popularität gewann", argumentierte Brunetta.
Nie zuvor hatte eine Regierungskrise in Italien so große geopolitische Bedeutung. In Brüssel wird die Entmachtung des italienischen Premiers bereits mit dem Brexit-Referendum vom Juni 2016 verglichen. Draghis Sturz wird nicht wie eine der vielen Regierungskrisen in Italien bewertet, er gilt als negatives Zeichen für ganz Europa, inmitten des Ukraine-Kriegs, der Energiekrise und der Inflation. "Wir haben einen kollektiven Selbstmord der italienischen Politik erlebt. Diese Regierungskrise ist nicht nur eine italienische Angelegenheit, sie ist auch eine europäische", sagte Sozialdemokraten-Chef Enrico Letta.
Neuwahlen in Italien könnten jetzt eine Koalition aus rechten Parteien unter Führung der postfaschistischen "Brüder Italiens" an die Macht bringen. So zumindest legen es aktuelle Umfragen nahe. Sorgen um deren Verhältnis zu Europa sind angebracht. Vieles steht für Italien auf dem Spiel. Die Hilfen aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhält das Land nur, wenn die zugesagten Reformen vollzogen sind. Kommt es aber zu Verzögerungen, werden die Gelder zurückgehalten. Italien wird noch mehrere Monate auf eine tragfähige Regierung warten müssen, in der Zwischenzeit ist das Land ein politisches Labor, in dem sich neue Gruppierungen bilden, Allianzen geschmiedet werden und Wahlprogramme entstehen. Ob sie dem Land reale Stabilität bescheren werden, ist abzuwarten.
Die Regierungskoalition um Draghi war am Mittwoch in die Brüche gegangen. Daraufhin reichte der seit Februar 2021 amtierende Premier Draghi seine Demission ein. Vorgezogene Parlamentswahlen sind am 25. September geplant. Bisher hatte Italien noch nie sein Parlament im Herbst gewählt.
Zusammenfassung
- Draghi wurde von drei der Parteien seiner Koalition eiskalt fallen gelassen, die den Weg zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 25. September in Italien geebnet haben.
- Auch der Minister für die öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, will der Draghi-Front beitreten.
- Alle drei Forza Italia-Minister haben inzwischen Berlusconis Partei verlassen.
- Lega-Chef Matteo Salvini habe Berlusconi aus politischem Kalkül überzeugt, Draghi zu stürzen.