Derzeit 50 Deradikalisierungs-Fälle bei Neustart
Als Lehre aus dem Wiener Attentat drängt Zembaty auf eine intensive und offene Zusammenarbeit zwischen Neustart, DERAD, Strafvollzug und Gericht sowie dem Verfassungsschutz. In diesen Fällen müsse man "jenseits der Amtsverschwiegenheit alle Karten offen auf den Tisch legen". Das sei bisher nicht der Fall, das seit Jänner dafür eigentlich bestehende Instrument der "Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen" werde bisher nicht genützt.
Dabei "hätten wir in diesem Fall anders agiert, wenn wir von seinem Versuch, in der Slowakei Munition zu kaufen, erfahren hätten", macht Zembaty klar, wie wichtig offener Informationsaustausch hier ist. "Damit könnten Täuschungen minimiert werden."
Der am Montag erschossene Wiener Täter hat seine Betreuer getäuscht. Als harmlos sei er von ihnen aber nicht erachtet worden, "da war keine Rede davon". Für ihn habe bis zuletzt maximale Betreuungsintensität (das sind drei Kontakte pro Monat) gegolten - trotz Job und Wohnung. Häufig kann laut Zembaty die Intensität (die regelmäßig überprüft wird) heruntergesetzt werden, wenn ein Betreuter z.B. eine Arbeit bekommt.
Über den blutigen Anschlag vom Montag ist man bei Neustart erschüttert. Denn die bisherige Erfahrung mit dem seit 2006 laufenden Deradikalisierungsprogramm war weitgehend positiv: Von insgesamt 116 Betreuten seien nur fünf rückfällig geworden - "Hardcore"-Fälle wie jener Mann, der einen Anschlag auf den Westbahnhof angekündigt hat.
Für nach Paragraf 278b Strafgesetzbuch (Terroristische Vereinigung) Verurteilte wird seit 2006 von Gerichten nicht nur "normale" Bewährungshilfe, sondern ein spezielles Deradikalisierungsprogramm angeordnet - wenn sie zu bedingter Strafe verurteilt oder aus der Haft entlassen werden. Bei Haftentlassung ist das nur möglich, wenn sie vorzeitig erfolgt: Dann ist die Verhängung einer Probezeit und die Verpflichtung, Bewährungshilfe oder Kurse in Anspruch zu nehmen, vom Gesetz her möglich.
Neustart setzt für dieses Programm bundesweit 13 eigens ausgebildete Spezialisten ein, mit vertieftem Wissen über Radikalisierungsprozesse, Religion und Weltsicht dieser Klienten. Dennoch ist so gut wie immer die Zusammenarbeit mit dem Verein DERAD nötig, berichtet Zembaty. Denn die dort eingesetzten theologisch und sozialpädagogisch geschulten Personen kommen leichter in Kontakt mit diesen religiös radikalisierten Klienten - und können ihren radikalen Glaubensansätzen besser entgegen treten.
Aufgabe der Neustart-Bewährungshelfer ist es in diesen Fällen vor allem, den "Verheißungen vom Paradies durch die Verführer vom IS" eine Perspektive im Diesseits entgegenzuhalten - und den Klienten zu Wohnung oder Job oder bei der Lösung familiärer Probleme zu helfen. Dieses Instrument funktioniere - in enger Abstimmung zwischen Neustart und DERAD - sehr gut, betont Zembaty. Aber der Wiener Anschlag habe gezeigt, dass auch mehr Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz nötig wäre.
Ein Ansatz dafür sei das seit September laufende Projekt "Kompass". Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT )und Neustart arbeiten dabei - derzeit in vier Bundesländern - zusammen, um Personen, die freiwillig aus einer extremistischen Szene und Ideologie aussteigen wollen, zu helfen. Ihnen werden Alternativen zu den extremistischen Ideologien aufgezeigt und Unterstützung bei Resozialisierung und Reintegration geboten.
Zusammenfassung
- Derzeit stehen 50 wegen terroristischer Vereinigung bedingt Verurteilte bzw. Haftentlassene in Deradikalisierungsprogrammen.
- Diese führt der Verein Neustart gemeinsam mit dem Netzwerk DERAD durch.
- Auch der Wiener Attentäter war in so einem Programm - und hatte dort bis zuletzt, trotz Job und Wohnung, die maximale Betreuungsstufe, berichtete Andreas Zembaty von Neustart der APA.
- Der am Montag erschossene Wiener Täter hat seine Betreuer getäuscht.