Bootsunglück in Süditalien: Italiens Innenminister unter Beschuss
Die oppositionelle Demokratische Partei (PD) forderte am Mittwoch im Parlament seinen Rücktritt. Piantedosi hatte nach dem Schiffbruch vor der Stadt Crotone am Sonntag betont, die Verzweiflung der Migranten wegen ihrer Lebensbedingungen rechtfertige keine gefährlichen Überfahrten über See mit ganzen Familien.
Piantedosi steckt auch wegen der Küstenwache in Schwierigkeiten, die sich angeblich zu spät für die Rettung der Schiffbrüchigen vor Crotone eingeschaltet hätte. Dabei war der von der osttürkischen Stadt Izmir abgefahrene Fischkutter den italienischen Behörden von einem Flugzeug der EU-Grenzschutzagentur Frontex gemeldet worden.
Innenminister dementiert
Der Innenminister wies die Vorwürfe zurück. "Vom Frontex-Flugzeug, das das Fischerboot 40 Seemeilen von Italien entfernt gesichtet hatte, wurde keinerlei Gefahrensituation oder Notlage an Bord gemeldet. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich eine Person über und andere unter Deck befänden und das Boot guten Auftrieb habe. Erst später verschlechterten sich die Wetterbedingungen, was zur Tragödie führte", sagte Piantedosi bei einer Anhörung vor dem Ausschuss für Verfassungsfragen der Abgeordnetenkammer.
Inzwischen steigt die Bilanz des Schiffbruchs vor Kalabrien weiter. 67 Leichen wurden bisher geborgen, darunter jene von 15 Minderjährigen. In den vergangenen Stunden wurden zwei weitere Leichen geborgen. Dabei handelt es sich um einen Mann und um ein zehnjähriges Kind, wie die italienischen Rettungseinheiten am Mittwoch mitteilten. Nach weiteren Vermissten wird gesucht.
Erst 28 Tote identifiziert
Die Särge mit den Leichen der Migranten, die bei dem Schiffbruch am Sonntag ums Leben gekommen waren, wurden in der Sporthalle der Stadt Crotone aufgebahrt. Zur Identifizierung trafen auch Angehörige aus Österreich und Deutschland ein, wie die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" berichtete. Bisher seien lediglich 28 Tote identifiziert worden, hieß es.
Unterdessen wurde die Suche nach Vermissten fortgesetzt. Tauchereinheiten der Feuerwehr und der Polizei waren im Einsatz und suchten nach weiteren Leichen. Einige der Verletzten, die nach der Tragödie ins Krankenhaus von Crotone eingeliefert worden waren, konnten das Spital mittlerweile verlassen.
Die rund 80 Überlebenden des Bootsunglück befinden sich in einem Aufnahmezentrum in Crotone. Die meisten wollten nicht in Italien bleiben, sondern ihre Reise in andere europäische Länder fortsetzen, berichteten italienische Medien. Die Überlebenden wurden von der Staatsanwaltschaft vernommen, die ein Verfahren wegen Totschlags und Beihilfe zur illegalen Einwanderung eröffnet hat.
Vier Schlepper festgenommen
Vier mutmaßliche Schlepper wurden bisher festgenommen. Sie sollen das Fischerboot, das am 22. Februar vom türkischen Izmir unter gefährlichen Wetter- und Seebedingungen abgefahren war, nach Süditalien gesteuert haben. Sie sollen von den Flüchtlingen jeweils 8.000 Euro für die Reise verlangt und deren Telefone beschlagnahmt haben. Dies sei eine mögliche Erklärung, warum die Migranten nicht die Küstenwache benachrichtigten, als das Schiff wegen des schlechten Wetters 150 Meter vor der Küste Crotones an den Felsen der Küste zerschellte, hieß es.
Das überladene Fischerboot, das laut der Küstenwache rund 120 Personen aus dem Iran, Pakistan und Afghanistan an Bord hatte, konnte dem rauen Meer nicht standhalten, prallte wenige Meter vor der Küste gegen die Felsen und zerbrach in zwei Teile. Die Trümmer seien bis zu 300 Meter vor der Küste verstreut gefunden worden, hieß es.
Meloni will legale Einwanderungswege
Die italienische Rechtsregierung von Giorgia Meloni bemüht sich indes, legale Einwanderungswege nach Italien zu fördern. "In diesem Jahr werden wir daran arbeiten, rund 500.000 legale Einwanderer ins Land zu holen. Dies kann auch durch multilaterale und bilaterale Abkommen zur Unterstützung der legalen Einwanderung organisiert werden", sagte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida. Vor allem in der Landwirtschaft und im Tourismus seien saisonale Arbeitskräfte dringend notwendig.
Italien habe die moralische Pflicht, weitere Katastrophen zu verhindern, erklärte Meloni in einem Schreiben an die EU. "Das Flüchtlingsdrama vor der Küste Kalabriens hat uns alle schockiert. Leider ist dies kein Einzelfall. Es ist unsere Pflicht, moralisch noch mehr als politisch, alles zu tun, damit sich solche Unglücksfälle nicht wiederholen", sagte die Premierministerin. Sie warnte vor der Gefahr, dass 2023 eine Rekordzahl an Migranten nach Seefahrten über das Mittelmeer Italien erreichen könnte.
Zusammenfassung
- Nach dem Flüchtlingsunglück vor der Küste der süditalienischen Region Kalabrien gerät der italienische Innenminister Matteo Piantedosi unter Druck.
- Insgesamt 67 Leichen wurden bisher geborgen, darunter jene von 15 Minderjährigen.