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BAWO-Obfrau Hammer: "Müssen immer stärker Feuerwehr spielen"

Mit rund 20.000 Menschen ist die Zahl der in Österreich als obdach- oder wohnungslos registrierten Personen in etwa so hoch wie im Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte jedoch doppelt so hoch sein. Was sich verändert habe, ist dass mehr Menschen die Angebote von Delogierungspräventionsstellen in Anspruch nehmen müssen. "Wir müssen immer stärker Feuerwehr spielen und eine Notsituation abwenden", sagt BAWO-Obfrau und neunerhaus-Geschäftsführerin Elisabeth Hammer im APA-Gespräch.

Das merkt die Obfrau der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO) besonders bei den niederschwelligen Angeboten des neunerhaus. "Es kommen immer mehr Menschen, mit immer komplexeren Problemlagen." Bei Mietpreiserhöhungen, Energiekosten-Nachzahlungen und erhöhten Lebensmittelkosten müssten viele abwiegen, was davon sie zuerst bewältigen sollen. Gleichzeitig steigen die Anfragen an Delogierungspräventionsstellen rapide an. Je nach Bundesland sei es unterschiedlich, ob die Zahl an Anfragen bewältigt werden kann, oder sich die Stellen nur der dringendsten Fälle annehmen können. "Da kommen wir als Profession in die Notlage, Feuerwehr zu spielen und den Leuten Luft zu verschaffen, bleiben aber unsicher, ob das eine nachhaltige Lösung des Problems oder nur eine einmalige Entlastung ist", alarmierte Hammer. So könne beispielsweise schon jetzt nicht mehr in allen Fällen überprüft werden, ob die Wohnung noch leistbar oder ein Umzug in eine günstigere notwendig ist.

Bisher schlagen sich diese Schwierigkeiten noch nicht in den Wohnungs- und Obdachlosenzahlen nieder, dass das passieren wird, ist für Hammer aber nicht unwahrscheinlich. "Wir wissen nicht, ob die Zahlen stabil bleiben können, oder nicht doch mit nachholendem Effekt recht drastisch ansteigen werden." Mit den von der Bundesregierung aber auch der Stadt Wien gesetzten Maßnahmen zur Bewältigung von Wohnungslosigkeit wie dem Wohnschirm zeigt sich Hammer grundsätzlich zufrieden. "Aus meiner Sicht gab es vom Sozialministerium noch nie so viel inhaltliches und finanzielles Commitment, Wohnungslosigkeit zu verhindern oder zu beenden." In den letzten beiden Jahren habe es eine große Bereitschaft gegeben, sich des Themas an- und Geld in die Hand zu nehmen. Es sei notwendig, dass Wohnen eine "gute Verankerung in mehreren Ministerien hat". Kritisch sieht Hammer jedoch die Zersplitterung von Wohnagenden auf verschiedene Ebenen: "Dass die Verantwortlichkeiten so verteilt sind - auf Bundesebene, auf föderaler und auf die Gemeinden - das verhindert manchmal eine kohärente, kraftvolle Strategie."

Auch die Stadt Wien habe "alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Maßnahmenpakete zu schnüren". Die Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen - sowohl der Wiener als auch der des Bundes - sei aber schwer einzuschätzen. Ein Problem sei nach wie vor die Übersichtlichkeit der Hilfen. "Da erleben sich nicht nur Nutzerinnen, sondern auch Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen ohnmächtig."

Sorgen mache sie sich, dass Menschen durch die Inflation in die Einsamkeit getrieben werden. "Die Leute müssen sparen. Bei Lebensmitteln, aber auch bei sozialen Kontakten." Viele Freizeitaktivitäten, aber auch ein schlichtes Getränk in einem Gastgarten seien nicht mehr oder nur noch selten möglich. Besonders nach der Corona-Pandemie sei die Gefahr hoch, dass Menschen dadurch vereinsamen. "Je geringer das Einkommen, desto schwieriger ist es, eine günstige Freizeitbeschäftigung zu finden. "Wir schauen, was wir tun können, um Menschen soziale Teilhabe als gesundheitspräventive Maßnahme zu ermöglichen."

Rund sechs Prozent der Erwachsenen hätten schon einmal eine Phase der Wohnungslosigkeit erlebt. Auch Menschen, die vor zehn Jahren nie gedacht hätten, selbst in die Situation zu kommen, würden heute Angebote des neunerhaus nützen. "Den Satz 'Nie hätt ich gedacht, das mir das passieren kann' werden wir künftig öfter hören." Ein großes Problem sei die hohe Zahl an befristeter Mietverträge, denn "jeder Wohnungswechsel birgt ein Risiko. Umzüge und Kaution kosten Geld".

Sehr positiv sieht Hammer, dass einige Notschlafstellen nun auch pandemieunabhängig im Sommer geöffnet haben. "Man darf aber nicht vergessen: Wohnungslosigkeit wird am Ende durch eine Wohnung und damit durch die Wohnungspolitik beendet. Sozialorganisationen können Übergangslösungen schaffen, aber Wohnungslosigkeit nicht beenden." Deshalb sei sie froh, dass das Konzept "housing first", dass das neunerhaus gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien vor neun Jahren nach Wien gebracht hat, nun auch auf nationaler Ebene anlaufe. Dabei gilt eine eigene Wohnung als oberstes und vor allem erstes Ziel. Anstatt Menschen, die lange obdachlos waren, langsam wieder an das "Mieten" heranzuführen, sollen sie es möglichst schnell zu einer eigenen Wohnung schaffen. 92 Prozent jener, die so an eine Wohnung gekommen seien, leben auch drei Jahre später noch dort. So übernehme das Sozialministerium den Finanzierungsbeitritt und damit die Eintrittskosten in den gemeinnützigen Sektor, lobte Hammer. "Damit wird für unsere Nutzer und Nutzerinnen ein großer Brocken erschlossen, zu dem sie bislang keinen Zugang hatten."

ribbon Zusammenfassung
  • Mit rund 20.000 Menschen ist die Zahl der in Österreich als obdach- oder wohnungslos registrierten Personen in etwa so hoch wie im Vorjahr.
  • Was sich verändert habe, ist dass mehr Menschen die Angebote von Delogierungspräventionsstellen in Anspruch nehmen müssen.
  • Ein Problem sei nach wie vor die Übersichtlichkeit der Hilfen.
  • "Wir schauen, was wir tun können, um Menschen soziale Teilhabe als gesundheitspräventive Maßnahme zu ermöglichen."