Außenamt war nach Vergiftung Nawalnys gegen Sanktionen
"Müssen trotz Nawalny kühlen Kopf bewahren. Enge Abstimmung mit DE und Partnern. Vermischung von Politik und Wirtschaft nicht klug", heißt es in dickgedruckten Gesprächspunkten Schallenbergs, die die für Energiefragen zuständige Abteilung III.9 vorbereitet hatte. Der Außenminister sollte zudem erklären, dass er eine kritische Haltung zu Wirtschaftssanktionen im Zusammenhang mit den russischen Oppositionspolitiker Nawalny auch bei deutschen Bundesregierung sehe und diese ebenso an Nord Stream 2 festhalten wolle. Verwiesen werden sollte zudem auf die Gefahr, dass Russland "unsere Firmen" als Reaktion auf Sanktionen ebenso sanktionieren könnte sowie im Gespräch mit Seele zwei "zentralen Fragen" nachgegangen: Ob Russland trotz US-Sanktionen die Pipeline finalisieren könne und welcher Schaden durch ein Scheitern des Projekts für die OMV entstünde.
"Sanktionen dienen mehr US wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen als der Energiesicherheit Europas, US geopolitisch gegen RU und massiv an eigenen Gasexporten (LNG) in EU und UK interessiert, daher gegen die Ausweitung der Gasexportkapazitäten von RU nach EU. US Sanktionen treiben aber langfristig RU auf CN Gasmarkt (neue Pipeline & LNG)", ließen die zuständigen Beamten in hintergründigen Erklärungen keine Zweifel an ihrer Sichtweise. Was Schallenberg dem OMV-Chef wenige Tage später tatsächlich sagte, wird im Read-out des Außenministeriums zum Treffen nicht erwähnt. Seele bedankte sich am 30. September 2020 jedenfalls beim Außenminister für die "klaren Worte" von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Festhalten an Nord Stream 2. Es sei ein sinnvolles Projekt, das einer stabileren Energieversorgung Europas diene. Gas aus russischer Produktion sei 25-35 Prozent billiger als Gas aus alternativen Quellen, erklärte der OMV-Generaldirektor laut dem Dokument, auf das am Sonntag zunächst die Grüne Parlamentarierin Nina Tomaselli auf X, ehemals Twitter, verwiesen hatte.
Mit seiner damaligen Haltung zu Wirtschaftssanktionen und Nawalny konfrontiert, bestritt Schallenberg am Sonntagabend in der ZIB2, wirtschaftliche Interessen über Menschenleben gestellt zu haben. Er verwies auf ein Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 4. September 2020, in dem freilich nur von möglichen EU-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Einsatz von chemischen Waffen die Rede war. Mitte Oktober 2020 verhängte die EU tatsächlich Sanktionen gegen sechs russische Spitzenbürokraten sowie ein Chemiewaffenlabor. Dass diese EU-Maßnahmen irgendwelche Auswirkungen gehabt hätten, ist nicht bekannt.
"Das war vielleicht rückblickend naiv. Wir haben versucht immer wieder zu trennen und zu sagen: Lassen wir nicht alle Dialogkanäle einschlafen, reißen wir nicht alle Brücken ein", gab sich Schallenberg am Sonntagabend aber auch selbstkritisch. Vielleicht habe man nicht alle Zeichen an der Wand deutlich genug gesehen, sagte er. Seit dem Februar 2022 und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gebe es keine Zweifel mehr, betonte der Außenminister. Im Fall Nawalny habe es eine "Tötung auf Raten" gegeben. Auch charakterisierte Schallenberg das Russland von Wladimir Putin ähnlich wie zuvor Bundespräsident Van der Bellen: "Natürlich ist das ein verbrecherisches und mörderisches Regime", sagte er.
Zusammenfassung
- Nach der Vergiftung Alexej Nawalnys im Sommer 2020 sprach sich das österreichische Außenministerium intern gegen Wirtschaftssanktionen aus und betonte die Notwendigkeit einer engen Abstimmung mit Deutschland und anderen Partnern.