Am Puls der Politik: Mahrers blaue Mobilmachung
Sitzungen des Wiener Gemeinderates gehen einmal im Monat jahraus jahrein nach außen hin weitgehend lautlos über die Bühne. Die öffentliche Anteilnahme hält sich bis auf Vorwahlzeiten in Grenzen.
Diese Woche schaffte es die Zusammenkunft der hundert Wiener Volksvertreter schon Tage davor in die Schlagzeilen. Die Stadt-Schwarzen versuchten den Routine-Tagesordnungspunkt "Rechnungsabschluss 2022" mit dem Verlangen nach dem "Marxismus-Test" aufzupeppen.
ÖVP-Begehren unter Satire-Verdacht
Was nach einem Beitrag des Satireportals "Tagespresse" klang, liest sich im offiziellen ÖVP-Antrag an den Gemeinderat so. "Um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und totalitäre linksextreme Tendenzen rechtzeitig zu entkräften, steht die Stadt Wien in einer historischen Verantwortung, treffende Maßnahmen zu setzen", heißt es da. "Darum wird verlangt, dass künftig alle Fördernehmer und Kooperationspartner überprüft werden, ob womöglich eine marxistisch-leninistische bzw. eine kommunistische Grundlage vorhanden und eine Verbreitung linksextremer Ideologie möglich ist."
Der wahre Adressat des von den Wiener Türkisen ernsthaft verlangten Gesinnungstests sitzt freilich nicht in Wien, sondern in Traiskirchen. Die Wiener ÖVP setzt damit einen besonders schrillen Akzent in einer Kampagne, die die Bundes-ÖVP gegen den neuen SPÖ-Chef Andreas Babler eröffnet hat.
ÖVP fürchtet Duell Kickl vs. Babler
Die ÖVP-Führungsriege dröhnt seit der Linkswende in der SPÖ zwar, sie werde den freiwerdenden Platz in der Mitte mit neuen Angeboten nützen. Zugleich fürchtet sie aber, in der neuen Links-Rechts-Polarisierung und dem Duell Kickl vs. Babler aufgerieben zu werden.
Eine Sorge, die offenbar auch die Wiener ÖVP-Führung umtreibt: Karl Mahrer sucht jetzt den jenen Kurs auf die Spitze zu treiben, den er vor Wochen neu eingeschlagen hat.
Wiener ÖVP als türkise Arche Noah
Mahrer galt nach seiner Kür zum Nachfolger von Gernot Blümel als ÖVP-Chef noch vor einem Jahr als Signal einer möglichen Renaissance rot-schwarzer Zusammenarbeit in Wien. Der späte Quereinsteiger übernahm allerdings eine Truppe, die nach dem Rückzug von Blümel & Kurz zu einer Arche Noah der Türkisen in der ÖVP wurde.
Der verbindliche 68-Jährige geriet so immer mehr unter Druck der hinterbliebenen türkisen Heißsporne. Der Verfall der ÖVP in den Umfragen und die Wieder-Auferstehung der Blauen taten ihr Übriges.
Der vormalige Wiener Polizei-Vizepräsident reanimierte den Ordnungshüter in sich, um mit einer Law & Order-Politik auch sein eigenes Überleben als Wiener Parteichef zu sichern.
Braver Bürgerlicher als Strache-Wiedergänger
Seit Wochen tönt der brave Bürgerliche von gestern nun wie ein Wiedergänger von Heinz Christian Strache: Mahrer wettert gegen No-Go-Areas in Favoriten, sieht Wiener Wahrzeichen wie den Brunnenmarkt eisern in ausländischer Hand und beklagt generell das von ihm konstatierte Lebensgefühl "vieler Wiener, übrigzubleiben: 'Niemand tut was für mich.'"
Die Strategie, die FPÖ mit ihren eigenen Waffen schlagen zu wollen, ging für die ÖVP bislang nur einmal erfolgreich auf - unter Führung des kommunikativen Ausnahmetalents Sebastian Kurz.
Alte Schreckgespenster, ernüchternde Umfragen
Im Regelfall macht sich die ÖVP aber damit nur zum Wahlhelfer für die Blauen. Rechte Parolen werden endgültig mehrheitsfähig. Der blaue Kurs im schwarz-türkisen Tarnanzug zahlt vornehmlich auf das Konto der FPÖ ein. Jüngst neuerlich in den Wahlergebnissen von Niederösterreich und Salzburg zu besichtigen. Mit dem befürchtete Wahl-Duell Kickl vs. Babler ringt die ÖVP jetzt auch um eine Strategie, um nicht zusätzlich aufgerieben zu werden.
ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker brachte reichlich plump Nordkorea als Schreckgespenst für den Kurs der Babler-SPÖ ins Spiel. Karl Mahrer bemüht die Wahlkampfschlager der Christlich-Sozialen von vorgestern: Nach den Warnungen vor der "Roten Gefahr" von einst jetzt das Verlangen nach einem "Marxismus-Test" als Gesinnungs-Nachweis.
Der politische Härtetest in aktuellen Umfragen fällt für Mahrer & Co bislang aber ernüchternd aus. Die bundesweit schwer angeschlagene SPÖ konnte sich in Wien mit leichten Verlusten halten. Die Wiener ÖVP hat ihr Ergebnis bei den Wahlen 2020 - noch in der Ära der türkisen Hochzeit - beinahe halbiert. Die FPÖ hat sich von ihrem Absturz ins Einstellige total erholt und inzwischen wieder mehr als verdoppelt. Einmal mehr gilt: Die ÖVP blinkt heftig nach rechts, die Wähler biegen mehr denn je Richtung FPÖ ab.
Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater. Seine wöchentliche Kolumne „Politik Backstage“ jeden Freitag neu auf trend.at
Zusammenfassung
- In den Umfragen im freien Fall sucht die Wiener ÖVP ihr Heil im Rundumschlag: Erst mit einem Feldzug gegen No-Go-Areas, jetzt mit einem Marxismus-Test.
- Ein Kurs, der einmal mehr auf das Konto der Blauen einzahlen könnte.