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Afghanistan: Koalitionsstreit über Abschiebungen - Nehammer will Abschiebezentrum

Innneminister Karl Nehammer (ÖVP) will beim Sonderrat der EU-Innenminister an diesem Mittwoch Abschiebezentren um Afghanistan vorschlagen. Vertreter der Grünen machen Druck auf das Innenministerium, um Abschiebungen in das Land endgültig auszusetzen

"Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden", sagte Nehammer und forderte zusammen mit Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) eine gemeinsame Sondersitzung der EU-Außen- und Innenminister zu Afghanistan. "Abschiebezentren in der Region rund um Afghanistan wären eine Möglichkeit. Dafür braucht es die Kraft und die Unterstützung der Europäischen Kommission."

Der grüne Koalitionspartner setzt an einer anderen Stelle an und geht auf Konfrontationskurz mit den Türkisen. Erst erklärte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, dass sich das Thema nun erledigt habe. Danach meldeten sich unter anderem der Tiroler Klubobmann Gebi Mair und die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, auf Twitter mit moralischen Appellen.

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"Gemeinsame Vorgehensweise"

Bisher ist für Mittwoch nur eine außerordentliche Videokonferenz der EU-Innenminister zur Lage an der litauischen Grenze zu Belarus (Weißrussland) geplant. Schallenberg und Nehammer wollen diese erweitern. "Es braucht eine gemeinsame europäische Vorgangsweise, wie wir außen- und sicherheitspolitisch auf die Situation in Afghanistan und die drohende Flucht- und Migrationswelle reagieren", forderten beide Minister.

Nachbarländer ebenfalls einbeziehen

"Afghanistan darf nicht zu einem sicherheitspolitischen schwarzen Loch werden. Die europäischen Bemühungen müssen auch die Nachbarländer Afghanistans und die Transitländer miteinbeziehen", sagte Schallenberg laut Aussendung. "Parallel dazu sollte auch die EU-Kommission unverzüglich konkrete Gespräche mit diesen Staaten aufnehmen." 

Tanner verweist auf Innenministerium

Der Frage nach Afghanen, die den österreichischen Soldaten u.a. als Übersetzer geholfen haben, wich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) aus. In einem PULS 24 Interview sagt sie dazu, dass der Einsatz in Afghanistan fordernd gewesen sei. Sie habe bereits daraufhin gewiesen, dass sich "die Sicherheitslage in Afghanistan nicht verbessern wird". Daher sei sie "froh und dankbar, dass unsere Soldaten gesund und wohlbehalten wieder zurückgekehrt sind. Die Entscheidung war ja: Together in, together out und genau so haben wir das auch gelebt".

Nach erneuter Nachfrage verwies Tanner auf das Innenministerium und die geplante Afghanistan-Konferenz.

PULS 24 hat bei Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) nachgefragt, wie die Lage für die Übersetzer und Helfer in Afghanistan aktuell ist.

Mair: Wer abschiebt, dem fehlt es "an Herz oder Hirn"

Die Grünen greifen die ÖVP per Twitter an "Wer jetzt noch findet, man soll Menschen nach Afghanistan abschieben statt sie von dort zu retten, dem fehlt es entweder an Herz oder Hirn oder beidem", lautete etwa Mairs Botschaft an die Verantwortlichen im Asylbereich, ohne den Koalitionspartner ÖVP und das türkis geführte Innenministerium direkt zu nennen. Ernst-Dziedzic schrieb wiederum: "Alle, die jetzt nicht über akute Hilfe und Versorgung für die Fliehenden, sondern über Abschiebung reden - schämt Euch einfach."
 

Grünen-Abgeordnete und Außenpolitikssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic postet dramatische Bilder um Flughafen in Kabul. Man sieht Menschen, die sich an die Reifen von abfliegenden Flugzeugen hängen und versuchen noch einen Platz in den Maschinen zu ergattern. 

Migrationsforscherin Judith Kohlenberger erklärt, dass sich Experten einig seien, dass eine große Fluchtbewegung einsetzen werde. Sie werde wegen der großen Distanz aber zeitverzögert nach Österreich kommen, zuerst seien die direkten Nachbarländer betroffen. Es gehe jetzt darum, Menschen auszufliegen und zu retten.

"Große Fluchtbewegung" kommt auch auf Österreich zu

Migrationsforscherin Judith Kohlenberger spricht im PULS 24 Interview.

Nehammer: EU braucht "zurechnungsfähigen" Partner in Afghanistan

"Für uns steht fest, dass wir als EU die Partnerschaft mit dem afghanischen Volk fortsetzen wollen", bleibt Nehammer trotz des Siegs der Taliban bei seiner Einstellung. "Aber eine Partnerschaft funktioniert nur mit einem zurechnungsfähigen Gegenüber. Alle Kräfte innerhalb Afghanistans müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Die Grund- und Menschenrechte aller Afghanen, vor allem von Frauen und Minderheiten, müssen geschützt werden", so der Außenminister. Das hält Afghane Mostafa Noori aus Herat für unmöglich. Er berichtet im PULS 24 Interview über die Zustände in seiner Heimatstadt Herat und dass sich dort bereits die Gewalt der Taliban manifestiere. Mehr dazu: 

Nehammer warnte, die Situation in Afghanistan stelle nicht nur für die illegale Migration in Europa "eine riesige Herausforderung dar. Die terroristische Bedrohung muss von den Mitgliedsstaaten gemeinsam beurteilt und eine abgestimmte Strategie entwickelt werden - auch in Kooperation mit den Partnern außerhalb Europas", forderte der Innenminister.

Österreich werde die Situation in Afghanistan und die zu erwartenden Fluchtbewegungen thematisieren. Glaubhafte europäische Asylpolitik sei nur möglich, wenn Nicht-Schutz-Berechtigte wieder aus der EU abgeschoben werden könnten, argumentierte Nehammer.

PULS 24 Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner bezeichnet die Haltung des Innenministers und dass er an Abschiebungen festhalten will als "skurril, absurd und traurig". Es gebe genug zu tun, man müsse keine Klientel- oder Showpolitik machen.

Nehammers Aussagen "skurril, absurd und traurig": Kaltenbrunners Afghanistan-Analyse

ribbon Zusammenfassung
  • Nehammer forderte am Montag zusammen mit Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) eine gemeinsame Sondersitzung der EU-Außen- und Innenminister zu Afghanistan.
  • "Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden", sagte Nehammer.
  • Dafür braucht es die Kraft und die Unterstützung der Europäischen Kommission.
  • Vertreter der Grünen machen verstärkt Druck auf das Innenministerium, um Abschiebungen in das Land endgültig auszusetzen.
  • Nachdem Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) das Thema für erledigt erklärte, meldeten sich der Tiroler Klubobmann und die außenpolitische Sprecherin der Grünen mit moralischen Apellen auf Twitter.
  • PULS 24 Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner bezeichnet die Haltung des Innenministers an Abschiebungen festhalten zu wollen als "skurril, absurd und traurig". Es gebe genug zu tun, man müsse keine Klientel- oder Showpolitik machen.