Wut und Witz: "Mein Fall" von Josef Haslinger im Werk X
Abdullah, laut Countdown auf der Theater-Homepage gemeinsam mit Harald Posch noch 219 Tage für die Leitung des Werk X in Wien-Meidling verantwortlich, hat für die Inszenierung des 134 Seiten schlanken Berichts, die am Donnerstag Premiere feierte, große Zurückhaltung gezeigt. Teilweise gleicht der rund 100-minütige Abend, an dem fünf Darsteller und ein Live-Musiker mitwirken, einer szenischen Lesung mit Video-Unterstützung. In zweierlei Hinsicht sorgt er gegenüber dem Buch für eine Schwerpunktverlagerung: Er bringt eine kabarettistische Note ins Spiel, und er sorgt für eine Ausweitung des Themas. Hier werden auch andere Fällen verhandelt. Und hier ist von Vergehen und Verbrechen die Rede, die von Angehörigen einer in Österreich privilegierten Institution verübt wurden, der katholischen Kirche.
Dennis Cubic ist das Alter Ego des Autors auf der Bühne. Jahrzehnte nach den traumatischen Erlebnissen und acht Jahre nach Gründung von Opferschutzkommission und Opferschutzanwaltschaft entschließt er sich, über seinen eigenen Missbrauch durch drei Pädagogen zu sprechen, als er erfährt, dass die Haupttäter von damals nicht mehr am Leben sind. Als er sich an die dafür eingerichteten Institutionen wendet, gerät er in einen absurden bürokratischen Spießrutenlauf, dem die Inszenierung einigen bösen Witz abgewinnt. Mittels einfacher Perücken verwandeln sich Sebastian Thiers in Brigitte Bierlein und Tobias Ofenbauer in Waltraud Klasnic, die beide dem prominenten Opfer Sonderstatus einräumen, ihn dann aber zur ordentlichen "Erstaufnahme" des Protokolls erst wieder an einen Dritten, ja Vierten weiterverweisen.
Die immer wieder mit denselben Worten begonnene Erzählung der Missbrauchsgeschichte macht das Leid zum Leitmotiv. Am Ende rät ein Referent dem Autor dazu, seine Geschichte doch am besten gleich selbst zu erzählen. Als Autor könne er das Erlittene anschaulicher beschreiben, was die Chancen einer größeren Schmerzensgeldsumme erhöhe. "Wir haben einen Spruch dafür: War die Klasnic sehr gerührt, hat's das Konto sehr gespürt."
Sebastian Klein und Peter Pertusini unternehmen zum Live-Soundtrack von Andreas Dauböck immer wieder den Versuch einer Einordnung. Sie üben nicht nur heftige Kritik am Konkordat, sondern bringen auch Zahlen ins Spiel. 2.800 anerkannte Betroffene gebe es bisher, die durchschnittlich ausgezahlte Entschädigungssumme betrage 16.000 Euro - für Übergriffe, die lebenslanges Leid nach sich zogen, ein Witz.
Die ehemalige Landeshauptfrau Klasnic bekommt ihr Fett weg, nicht nur durchs Nachspielen eines Fernsehinterviews oder die Erinnerung daran, dass sie zugab, einst bei der Erziehung ihrer Söhne auch Ohrfeigen ausgeteilt zu haben, sondern auch als Multifunktionärin in Sachen Moral. Sie sei doch auch in der Ethikkommission der ÖVP, wird die Bühnen-Klasnic gefragt. Das sei nicht viel Arbeit, antwortet sie mit einer ganz aktuellen Anspielung: "Ich schmeiß den Thomas (Schmid, Anm.) raus, und alles ist wieder gut."
In einem Wohn-Kubus (Ausstattung: Renato Uz) sitzen und stehen die Männer am Ende zwischen Hausbar, Kruzifix und Therapiehasen-Gehege und tapezieren die Wände mit Täter-Fotos voll. Die meisten hat man der internen Gerichtsbarkeit der Kirche überantwortet oder überhaupt entkommen lassen. Die Opfer können der Vergangenheit dagegen nicht entkommen. "Mein Fall" ist kein Einzelfall.
(S E R V I C E - "Mein Fall" von Josef Haslinger, Inszenierung: Ali M. Abdullah, Bühne & Kostüm: Renato Uz, Musik: Andreas Dauböck, Mit: Dennis Cubic, Sebastian Klein, Tobias Ofenbauer, Peter Pertusini, Sebastian Thiers, Uraufführung im WERK X, Wien 12, Oswaldgasse 35A, Weitere Aufführungen: 18., 19., 20. November, 16., 17. Dezember, 19.30 Uhr, https://werk-x.at)
Zusammenfassung
- Am Ende wird Josef Haslinger von Regisseur Ali M. Abdullah auf die Bühne gebeten und stellt sich scheu nur für kurze Zeit dem Applaus des Premierenpublikums, ehe er wieder zurück auf die Zuschauertribüne flüchtet.
- "Mein Fall", den er 2020 zu Papier gebracht hat, ist nicht nur für die Theaterbesucher schwer zu ertragen, sondern auch für den Autor, der dabei neuerlich an seinen Missbrauch als Zögling im Stift Zwettl erinnert wird.