Wiener Literaturmuseum zeigt den "Weltautor" Stefan Zweig
Zweig, 1881 in Wien geboren und 1942 im brasilianischen Exil freiwillig aus dem Leben geschieden, zeichne eine enorme internationale Reputation aus, ging Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, in die das Literaturmuseum eingegliedert ist, auf die bis heute andauernde Strahlkraft eines der meist gelesenen deutschsprachigen Autoren ein. Die Zahl an Übersetzungen in "nahezu alle Sprachen der Welt" und die vielfältigen Bearbeitungen seines Oeuvres sei "beispiellos", sagte sie in einer Pressekonferenz am Donnerstag.
Mit dieser außerordentlichen Rezeption beschäftigt sich die Präsentation im dritten Stock gleich zu Beginn. In den Regalen findet man zahlreiche deutsch- und fremdsprachige Ausgaben der Novellen, Biografien und Erzählungen des Vielschreibers. Im Zentrum steht allerdings Zweigs "Hauptbuch" - eine Art überdimensionales Kontorheft, in dem er sorgfältig eintrug, welche seiner Werke wann, wo, in welcher Sprache und vor allem zu welchem Honorar erscheinen werden. "Er war ein sehr guter Manager seiner selbst", erklärte Arturo Larcati, der gemeinsam mit Literaturmuseum-Chef Bernhard Fetz als Kurator fungierte.
Dass Zweigs Texte bis heute faszinieren, davon kann man sich gleich anschließend überzeugen. "Wir haben einiges ausgegraben", freute sich Hausherr Fetz. Gezeigt wird etwa der Ausschnitt einer sowjetischen Verfilmung von "Der Amokläufer" aus 1927. In China wiederum setzte Mitte der 2000er-Jahre ein Stefan-Zweig-Hype ein, nachdem Regisseurin Xu Jinglei ihre Fassung von "Brief einer Unbekannten" präsentierte. Eine französische Graphic Novel aus 2013 beschäftigt sich indes mit den letzten Lebensjahren des Schriftstellers.
Eindrucksvoll ist aber nicht nur die Liste jener Länder, in denen Zweig gelesen wird, sondern auch jene, die er selbst bereiste. Neben zahlreichen Stationen in Europa finden sich Aufenthalte etwa in Indien, Algerien, den USA, Kuba, Jamaika oder Panama auf der vom Literaturmuseum zur Veranschaulichung präparierten Weltkarte. "Das Unterwegssein war wesentlich für seine Poetik", ist Fetz überzeugt. Es macht Spaß, anhand der vielen Postkartenduplikate, die an Schnüren baumeln, und den von Wolfram Berger eingelesenen Zeitungsfeuilletons die für damalige Verhältnisse äußerst exotischen Reiserouten Zweigs ein wenig nachzuvollziehen.
Selbst ein Globetrotter, scheint es nur logisch, dass der Bestsellerlieferant selbst an historischen Weltmomenten - Stichwort "Sternstunden der Menschheit" - und -entdeckern interessiert war. Stellvertretend dafür widmet sich die Sonderausstellung Zweigs Magellan-Biografie. Recherchenotizen und historische Karten sind zu sehen - aber auch eine von anonymer Hand angefertigte Auflistung, welche faktischen Fehler in der Zweig'schen Version der Lebensgeschichte des Entdeckers zu finden sind.
Überhaupt legen die beiden Kuratoren wert darauf, dass das Phänomen Zweig vor allem im begleitenden Katalog durchaus auch kritisch betrachtet werde - etwa mit Blick auf die Frauenfiguren oder die kolonialgeschichtliche Perspektive in seinem Werk.
Die Ausstellung selbst zeigt Zweig im letzten Kapitel jedenfalls als Weltenbürger, Pazifisten und "Vordenker eines geeinten übernationalen Europas", wie Rachinger anmerkte. Nicht nur werden hier Zweigs wehmütige Erinnerungen an die untergegangene Habsburger-Monarchie, "Die Welt von gestern", aktuellen Werken und Positionen zum Thema Europa gegenübergestellt, sondern zudem das Projekt "Bibliotheca Mundi" vorgestellt. Dieser von Zweig ab 1919 betriebene Versuch, einen Kanon seiner Version von Weltliteratur in der jeweiligen Originalsprache zum Erfolg zu verhelfen, wurde nach den ersten Bänden allerdings 1924 wieder eingestellt. Er war ein finanzielles Desaster. Dass der Kanon bis auf eine Ausnahme aus rein europäisch-abendländischen Texten bestand, gibt aber Auskunft über das damalige Verständnis von "Weltliteratur".
Zweigs eigener Weg war in seinen letzten Jahren nicht mehr von Abenteuer- und Entdeckungslust geprägt, sondern von Vertreibung und Flucht vor den Nazis. 1934 emigrierte er nach Südengland, nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs weiter in die USA und schließlich nach Lateinamerika. Im brasilianischen Petrópolis nahe Rio de Janeiro nahm er sich schließlich gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte Altmann im Februar 1942 das Leben. Die ausgestellten Sterbeurkunden markieren den offiziellen Schlusspunkt einer außerordentlichen Lebensreise.
(S E R V I C E - "Stefan Zweig. Weltautor" im Literaturmuseum Wien, Wien 1, Johannesgasse 6, ab Freitag bis 27. Februar 2022, Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr, Donnerstag 10-21 Uhr, Begleitkatalog 352 Seiten, 27,80 Euro, https://www.onb.ac.at/museen/literaturmuseum)
Zusammenfassung
- Wen in Coronazeiten das Fernweh plagt, der kann zum Preis eines Ausstellungstickets nun um den Globus jetten.
- Gezeigt wird etwa der Ausschnitt einer sowjetischen Verfilmung von "Der Amokläufer" aus 1927.
- "Das Unterwegssein war wesentlich für seine Poetik", ist Fetz überzeugt.
- Die Ausstellung selbst zeigt Zweig im letzten Kapitel jedenfalls als Weltenbürger, Pazifisten und "Vordenker eines geeinten übernationalen Europas", wie Rachinger anmerkte.