Albertina: Wong und Van Gogh als tragische Seelenverwandte
Die Schau stellt klar Wong, der in Europa - anders als im asiatischen und nordamerikanischen Raum - noch weitgehend unbekannt ist, in den Mittelpunkt. Rund 60 seiner Gemälde hängen in der unterirdischen Basteihalle. Sie leuchten geradezu um die Wette. "Die Werke strotzen vor Lebenskraft und Energie", strich Ralph Gleis die Farbkraft der Großformate heraus. "Das scheint nicht zu passen angesichts der inneren Verfasstheit seines Schöpfers", meinte der Generaldirektor, der am Donnerstag bei einer Presseführung die erste von ihm im Haupthaus verantwortete Schau - sie war in modifizierter Form bereits in Amsterdam und Zürich zu sehen - als Albertina-Chef vorstellte.
Denn wie Van Gogh (1853-1890) - von ihm sind an die zehn Arbeiten in der Präsentation vertreten - mehr als ein Jahrhundert vor ihm, litt Wong an schweren psychischen Problemen. Und gleich dem Niederländer sah der geistige Nachfahre die Kunst als Refugium, als Ort des Trostes und der Zuflucht. "Wenn das Innere so grau ist wie der heutige Wintertag, wie kommt es dann zu solchen Bildern? Durch den Griff zur Farbpalette versuchten sie, die Lebensfreude aktiv zu halten", erklärte Gleis.
Ein epochenübergreifender Dialog
Matthew Wong (1984-2019) hatte sich als Autodidakt intensiv mit westlicher und östlicher Kunstgeschichte als auch mit Zeitgenossen auseinandergesetzt - von Gustav Klimt bis Paul Klee, von Shitao bis Peter Doig. Und eben zuletzt besonders mit Van Gogh. "Obwohl über 100 Jahre zwischen ihnen liegen, haben sich die beiden etwas zu sagen", verwies Gleis auf die ausgewählten Werke des Expressionistenstars, um sie in Dialog mit dem kanadisch-chinesischen Maler zu setzen.
Stilistisch gibt es dabei unübersehbare Überschneidungen. Das reicht vom dynamisch-pastosen Farbauftrag über das dichte Geflecht von Punkten und Tupfen bis oft gegeneinander gesetzte Schraffuren. Die nur vereinzelt mit figurativem Personal bevölkerte Landschaft - vor allem bei Wong oft "imaginäre Sehnsuchtsorte", wie Kuratorin Angela Stief formulierte - spielt bei beiden als Sujet eine wichtige Rolle. Sonne, Mond und Sterne kommen als Motive immer wieder vor.
Kunst als Zuflucht vor einem Leben als Zumutung
Abseits ihrer eigenen Verortung am Rande der Gesellschaft berühren die Gemeinsamkeiten weitere biografische Aspekte. Beide Künstler hatten nur ein relativ kurzes malerisches Schaffen, die immense Produktivität - Van Gogh hinterließ in zehn Jahren allein 900 Ölgemälde, Wong schuf in acht Jahren ein Œuvre von rund 1.300 Arbeiten -, der frühe tragische Tod in ihren Dreißigern und der erst posthum einsetzende Ruhm.
"Im Grund ist das Leben rundherum die Hölle, ausgenommen die Momente vor der Leinwand", meinte Wong einmal. Welche Kraft er aus diesen Momenten zu schöpfen imstande war, lässt sich bis 19. Juni in der Albertina einigermaßen erahnen.
(S E R V I C E - "Matthew Wong. Vincent van Gogh - Letzte Zuflucht Malerei" in der Albertina, bis 19. Juni, Ausstellungskatalog in Deutsch oder Englisch: 32,90 Euro, www.albertina.at)
Zusammenfassung
- Die Albertina zeigt in der Ausstellung 'Letzte Zuflucht Malerei' rund 60 Gemälde von Matthew Wong, einem kanadisch-chinesischen Künstler, der 2019 im Alter von 35 Jahren Suizid beging.
- Wong und Vincent van Gogh, von dem zehn Werke ausgestellt sind, verbindet eine Seelenverwandtschaft, da beide an schweren psychischen Problemen litten und die Kunst als Zuflucht sahen.
- Wongs Werk umfasst rund 1.300 Arbeiten, während Van Gogh in zehn Jahren 900 Ölgemälde schuf; die Ausstellung läuft bis zum 19. Juni in der Albertina.