Theater an der Wien: Buhs für Kušejs psychologische "Tosca"
Dass der Abend tatsächlich wie avisiert eine "Tosca" zeigen wird, wie man sie so noch nicht gesehen hat, wird bereits deutlich, wenn nicht das dröhnende Scarpia-Motiv am Beginn der Oper steht, sondern heulender Wind vom Tonband. Und wenn der sich hebende Vorhang den Blick auf einen kahlen Baum, an dem Leichenteile hängen, inmitten einer Schneelandschaft anstelle der Kirche Sant'Andrea della Valle freigibt.
Und doch ist diese beständig hinter dem Grauschleier der Gaze gehaltene eisige Bühnenwelt, die sogar mit Schneeerwähnungen im Libretto eingepasst wird, das am wenigsten hervorstechende Momentum des Abends. Es ist das Beziehungsgeflecht der drei Hauptfiguren, welche diese "Tosca" von anderen Arbeiten scheidet.
Dominiert sonst oftmals die Tosca als Diva das Geschehen und ist je nach Sänger der Scarpia ein charismatischer Erzbösewicht, während Cavaradossi dagegen oftmals abfällt, sind es komplexere Persönlichkeiten, die Kušej auf die Bühne bringt. Das Trio steht im egalitärer Duktus zueinander, verkörpert eher Menschen des 21. Jahrhundert denn des Jahres 1800.
Die Floria Tosca, welche die lettische Sopranistin Kristīne Opolais bei ihrem Hausdebüt darstellt, ist eine unsichere Frau, die sich eher flittchenhaft kleidet und ihren Körper aus Angst als Instrument einsetzt. Ihr Gegenspieler, Polizeichef Scarpia, ist in Person des ungarischen Basses Gábor Bretz kein diabolischer Schurke, sondern eher getriebener Psychopath, den selbst Dämonen quälen. Die Szene des Übergriffs zwischen Scarpia, der Tosca im Austausch für die Freiheit ihres Geliebten missbrauchen will, ist realistisch, ambivalent wie selten gehalten, nimmt dem Gewaltakt den kalmierenden Kostümdämpfer.
Und schließlich ergänzt der junge chilenisch-amerikanische Tenor Jonathan Tetelmann (Jahrgang 1988) als revolutionär gesinnter Mario Cavaradossi das Trio - respektive ergänzt es nicht. Tetelmann entstammt mit seinem strahlenden, voluminösen Timbre einer anderen Inszenierungswelt. Während Opolais und Bretz Strahlkraft und Schönklang dem psychologischen Spiel unterordnen, geht Tetelmann aufs Ganze. Aus dem reduzierten Duktus der Kollegenschaft sticht er somit immer wieder hervor, und unterstreicht damit zugleich eindrucksvoll seine Position als eine der herausragenden Spitzen der Zukunft seines Fachs.
Da tut sich streckenweise allerdings nicht nur zu den Kollegen ein Graben auf, sondern auch zum Graben. Hier führt nämlich Marc Albrecht, relativ kurzfristig für den erkrankten Ingo Metzmacher eingesprungen, das RSO passend zum Gestus des Bühnengeschehens trocken und mit zupackender Bissigkeit durch den Abend. Hier geht es nicht um Schmelz oder nostalgisches Schwelgen in der Melodie, was das kalte Geschehen übertünchen könnte.
So entwickelt sich ein ebenso stringenter wie ungewöhnlich psychologisch ausgefeilter Puccini-Abend, den Kušej nur selten selbst mit unnötigen Schnitzern konterkariert, wenn er etwa den jungen polnischen Bass Rafał Pawnuk als Mesner im Outfit des Kapitol-Schamanen den vermeintlichen Sieg über Napoleon feiern lässt. Oder wenn er in die Winterlandschaft einen Wohnwagen als Metapher für die Ausgestoßenen stellen lässt, in dem Scarpia haust. Eine Hütte ohne Trailerpark-Assoziationen hätte es hier auch getan.
Wer sich Kušejs Arbeit aus welchen Gründen auch immer nicht live anschauen möchte, für den steht der ORF bereit. Am 28. Jänner ist eine Aufzeichnung der Inszenierung mit neun Kameras ab 21.20 Uhr in ORF 2 zu erleben. Und wer sich ganz dem Klang ohne Bilder zuwenden möchte, für den sendet Ö 1 am 5. Februar ab 19.30 Uhr einen Mitschnitt.
(S E R V I C E - "Tosca" von Giacomo Puccini im Theater an der Wien, Wien 6, Linke Wienzeile 6, Musikalische Leitung des RSO: Marc Albrecht, Regie: Martin Kušej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Su Sigmund. Mit: Floria Tosca - Kristine Opolais, Mario Cavaradossi - Jonathan Tetelman, Scarpia - Gábor Bretz, Sciarrone - Rafał Pawnuk, Cesare Angelotti - Ivan Zinoviev, Spoletta - Andrew Morstein, u.a. Weitere Aufführungen am 21., 23., 26., 28. und 30. Jänner. www.theater-wien.at/de/programm/production/1019/Tosca)
Zusammenfassung
- Am Ende blies Martin Kušej der frostige Wind eines Buhorkans ins Gesicht, als der Regisseur auf die Bühne des Theaters an der Wien trat.
- Erstaunlich kalt nahm das Opernpublikum am Dienstagabend seine Neudeutung von Puccinis "Tosca" auf, die der Burgtheaterdirektor in einer Eislandschaft statt dem Palazzo Farnese oder der Engelsburg ansiedelt.
- Es ist das Beziehungsgeflecht der drei Hauptfiguren, welche diese "Tosca" von anderen Arbeiten scheidet.