Regieduo DARUM zwischen Digitalität und Vergänglichkeit
Bereits in "Ungebetene Gäste" begaben sich die beiden gemeinsam mit ihrem Team 2019 in Wien sowie im Internet auf Spurensuche, um auf Basis der gefundenen Daten die Biografien von Verstorbenen für das Theaterpublikum aufzubereiten. Während der Coronapandemie, die das Gastspiel des Projekts beim Impulse Theater Festival in Köln unmöglich machte, entstand die Hyperlinkinstallation "404-Totlink" - eine Reise durch die Reste trashiger Websites der 1990er Jahre. In "[EOL]" tauchten die Theaterbesucher schließlich im brut Wien - jeweils mit VR-Brillen ausgestattet - in die digitale Zukunft ein, in der man durch verlassene Welten des Metaverse wandelt, um für die fiktive Firma IRL zu entscheiden, welche Welten gelöscht werden. Ein höllisch-immersiver Ritt in zurückgelassene Abbilder realer Menschen.
APA: Hinter "[EOL]" steht ein riesiger technischer Aufwand. Wie sind Sie als Theatermenschen an die Sache herangegangen?
Halper: Das gedankliche Entwerfen der Welten läuft eigentlich genauso ab wie auch bei immersivem Theater. Man überlegt, wie ein Raum interaktiv wird und wie man Hinweise an das Publikum intelligent setzt, damit das Gefühl entsteht, dass die Welt selbstständig entdeckt werden kann. Was die technische Seite betrifft, hat es uns geholfen, dass wir auch vom Film kommen und Videoschnitt beherrschen. Wir spielen außerdem viel mit Computern herum und haben Lust, neue Dinge zu lernen.
Krösche: Die 3D-Welten selbst hat der Architekt Mark Surges gebaut, die wir dann mittels der Spieleengine Unity implementiert haben. Die Körperanimationen haben wir selbst mittels Motion Capturing in einem Body Suit gedreht. Die Spiele-Engine gibt einem die nötigen Tools an die Hand, aber ich bin natürlich kein Programmierer und muss zugeben, ohne ChatGPT, das mir die Skripts für die komplexeren Logiken geschrieben hat, wäre das nicht möglich gewesen. Das Budget für einen Programmierer war nicht drin. Das Face-Capturing für die Mimik der Figuren haben wir dann direkt mit einem iPad gemacht, weil der Tiefensensor tatsächlich Gesichtszüge auf eine 3D-Figur übertragen kann.
APA: In der Coronazeit wurden den Theaterbesuchern bei manchen digitalen Produktionen VR-Brillen zugeschickt. "[EOL]" kann man nur im Theater erleben. Ist es angedacht, dass man das Stück künftig auch zu Hause sehen kann?
Krösche: Nein. Die Coronastücke waren ja meistens 360-Grad-Filme, die man von einem Stuhl aus verfolgen konnte, wir setzen jedoch auf interaktive Virtual Reality, in der man sich auch bewegen muss. Und wir haben rund um "[EOL]" ja im Foyer des brut Wien einen immersiven Rahmen gestaltet, der für die Erzählung wichtig ist. Das kann man zu Hause nicht bieten.
Grenzen des "Theaters" ausloten
APA: Das digitale Theater ist bis auf wenige Ausnahmen wie "[EOL]" oder "Das Haus" am Burgtheater nach Corona wieder ziemlich schnell verschwunden. Woran liegt das?
Halper: Ich glaube, es lag weniger am Medium selbst als daran, dass man endlich wieder analog spielen konnte, und das hat man dann auch gemacht, weil sich bei allen ja viele Projekte aufgestaut hatten in dieser Zeit. Und ich denke auch, die Leute hatten Freude, endlich ins Theater zu gehen und hatten kein Interesse mehr, sich einen digitalen Theaterabend reinzuziehen. Aber ich halte es für wichtig und richtig, dass das Theater immer wieder mit neuen, auch digitalen Formen des Erzählens experimentiert und experimentieren kann, auch, um die Grenzen dessen, was denn nun "Theater" ist, auszuloten.
Krösche: Es gab ja während Corona viele Sachen, die man jetzt nicht mehr macht. Ich zum Beispiel habe nie so viel Essen nach Hause bestellt wie in Coronazeiten, jetzt gehe ich aber wieder doch ganz gern in ein Restaurant.
APA: Die technischen Möglichkeiten ändern sich rasant. Glauben Sie, dass diese digitalen Formate in Zukunft wieder zunehmen werden?
Krösche: Ich würde fast sagen: hoffentlich nicht. Weil das Theater lebt vom Jetzt. Auch wenn es pathetisch klingt: Es geht um das gemeinsame Atmen in einem Raum von Menschen und die direkten Begegnungen. Und am Ende thematisiert "[EOL]" ja auch die Frage von der Echtheit von Begegnungen mit Menschen, die nicht mehr existieren. In dieser Hinsicht verstehen wir es gewissermaßen als das Negativ von dem, was eigentlich Theater ausmacht. Was ich mir allerdings vorstellen kann: Im Sinne der Inklusion könnte es mit richtig guten 360-Grad-3D-Kameras möglich sein, das Bühnengeschehen Menschen zugänglich zu machen, die sonst nicht einmal mehr barrierefreie Theater besuchen könnten. Vorausgesetzt, die VR-Brillen sind irgendwann nicht mehr so riesige Brocken.
KI als Gefahr für die Branche?
APA: Ein anderes Thema ist die Künstliche Intelligenz, die Drehbücher schreibt oder Filme ohne reale Schauspieler drehen könnte. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Krösche: Vor einem Jahr hätte ich noch gesagt, bis das wirklich real wird, dauert es noch lange. Aber mittlerweile nutze ich ChatGPT bereits als eine Art Instant-Dramaturgen, der mir jederzeit ein kurzes Feedback geben oder mich auf Ideen bringen kann. Aber der wird niemals eine gute Dramaturgieposition ersetzen.
Halper: Und zumindest ich will nie einen Film sehen, der komplett von KI geschrieben ist, weil dem wird immer irgendetwas fehlen, nämlich das Überraschende, das Unberechenbare. Aber das wird halt - wie so oft - von den großen Studios nur von der wirtschaftlichen Seite her gesehen. Auf der künstlerischen Seite ist klar: Ein Schauspieler ist nicht nur ein Gesicht und eine Stimme, sondern da steckt so viel mehr dahinter. Wenn man den Brad Pitt von jetzt hat, ist das nicht der Brad Pitt, wie er mit 70 ist und dann die Rolle selbst spielt. Auch nimmt man jungen Schauspielern damit die Möglichkeit, in der Branche Fuß zu fassen, wenn es dann halt immer der gescannte Brad Pitt ist, auch wenn er schon lange tot ist.
Krösche: Und wenn man jetzt zum Beispiel Cary Grant als 3D-Figur zurückholt, ist das einfach nichts anderes als ein digitaler Zombie. Ein gut aussehender Zombie. Das ist gruselig.
APA: Diese Bedenken haben wir allerdings aus der Perspektive unserer Generation. Vielleicht stört sich die nächste Generation daran nicht mehr, weil sie es nicht anders kennt?
Halper: Ich denke es ist unsere Aufgabe, dass unsere Kinder nicht nur KI-generierte Kunst sehen. Das ist dann halt einfach wie mit Zucker.
Krösche: Wenn man ehrlich ist, kriegt die KI derzeit vieles, was im Moment Mainstream ist, genauso gut hin. Aber bei den wirklich guten Sachen glaube ich, dass die Kunst irgendetwas hat, das einfach nicht durch einen Algorithmus ersetzt werden kann.
Europa hinkt in KI-Forschung hinterher
APA: Wo sehen Sie die Rolle der Politik, hier zu regulieren? In den USA scheint sich gerade alles zu entfesseln, die EU ist fürs Regulieren bekannt...
Krösche: Im Moment sehe ich vor allem die Gefahr, dass Europa in Bezug auf KI am Ende ins Hintertreffen gerät. Gleichzeitig ist eine kluge Regulierung unglaublich wichtig. Aber sie muss halt einhergehen mit einer fast schon aggressiven Förderung im innovativen Bereich.
Halper: Das Problem ist, dass Europa zum Beispiel in der KI-Forschung wahnsinnig hinterherhinkt. Und dann hat man den Salat, dass man erst recht wieder auf Angebote aus den USA oder China zurückgreifen muss. Und da sind wir wieder zurück bei "[EOL]", wo eine einzige Firma das ganze Metaverse besitzt.
APA: Die FPÖ hat angekündigt, die Kulturförderungen auf den Prüfstand zu stellen. Wie wird sich das auf die Freie Szene auswirken?
Krösche: Der Wiener Szene - hoffend auf die Wien-Wahl - wird es wahrscheinlich noch besser gehen als der Szene in Restösterreich. Aber die ÖVP als traditionell konservative Partei ist ja prinzipiell kunstaffin. Ich hoffe daher, dass im Falle einer schwarzblauen Regierung die ÖVP die Kulturagenden beansprucht. Aber wir brauchen uns auch keine Illusionen zu machen, was die FPÖ will.
Neues Projekt: Abschaffung des unfreiwilligen Sterbens
APA: Ende April hat Ihr nächstes Projekt "Alle Lust" im Theater am Werk Kabelwerk Premiere. Worum wird es gehen?
Krösche: Das wird unser theaternahester Abend bisher, glaube ich. Weil es tatsächlich ein Stück ist, wo das Publikum auf der Tribüne sitzt und ein Ensemble auf der Bühne steht. Diesmal geht es um die Zukunft, nämlich das Ende des Sterbens: Der unfreiwillige Tod, also durch Unfall oder Krankheit, ist abgeschafft und wir können uns den Zeitpunkt selbst aussuchen. Dabei stellen wir die Frage, was diese Unendlichkeit, diese Ewigkeit mit uns macht.
Halper: Das Setting in dem Stück, das sich in seinem musikalischen Ansatz auch bewusst einiger Elemente der Oper bedient, ist der Tod des letzten sterblichen Menschen als großes Liveevent, bei dem sich die Menschheit selbst feiert. Aber wie immer geht dann natürlich etwas schief ...
(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)
Zusammenfassung
- Das Regieduo DARUM präsentiert mit "[EOL]. End of Life" eine Virtual Reality-Produktion, die zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde.
- Die technische Umsetzung von "[EOL]" umfasst VR-Brillen, die Spieleengine Unity und Motion Capturing, wobei ChatGPT für Skripterstellung genutzt wurde.
- "[EOL]" ist ausschließlich im brut Wien erlebbar und nicht für den Heimgebrauch vorgesehen, um ein immersives Erlebnis zu gewährleisten.
- Nach der Corona-Pandemie hat digitales Theater an Popularität verloren, doch das Experimentieren mit neuen Formen bleibt wichtig.
- Das Duo äußert Bedenken über die wachsende Rolle von KI in der Kreativbranche, sieht jedoch Potenzial in unterstützenden Tools wie ChatGPT.