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Rätseln vor Literaturnobelpreis: Favorit oder Überraschung?

Wenn die Literaturwelt am Donnerstag wieder gebannt nach Stockholm blickt, ist alles möglich. Mal erhält den Literaturnobelpreis jemand, dessen Werk bloß Experten kennen, mal entscheidet sich die Schwedische Akademie für langjährige Favoriten oder riskiert - wie bei Peter Handke 2019 - politische Kontroversen. Mit der US-Lyrikerin Louise Glück, dem aus Sansibar stammenden Abdulrazak Gurnah und der Französin Annie Ernaux ist das Trio, das auf Handke gefolgt ist, höchst divers.

Nur so viel steht fest: Am Donnerstag um Punkt 13.00 Uhr wird Mats Malm als Ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie in der Altstadt von Stockholm durch eine prunkvolle Tür schreiten und mit stoischer Ruhe den Namen des diesjährigen Preisträgers oder der diesjährigen Preisträgerin verlesen. Wer unter den Nominierten dafür ist, das wird nach Nobel-Tradition 50 Jahre lang geheim gehalten.

Diese Ungewissheit macht stets einen Teil der Magie der Nobelpreise aus. Je näher die Bekanntgabe rückt, desto mehr wird spekuliert, wer es diesmal werden könnte. Bei Wettbüros werden stets etliche Namen gehandelt. Traditionell stehen dabei diejenigen von weltbekannten Literaten wie Anne Carson, Haruki Murakami und Margaret Atwood hoch im Kurs, die schon seit Jahren zu den engeren Nobelpreisfavoriten gezählt werden. Bei einem Wettanbieter wurden die besten Chancen zuletzt der Chinesin Can Xue, dem Norweger Jon Fosse und dem Australier Gerald Murnane eingeräumt. Ob es einer davon wird? Das weiß vor Malms trockener Bekanntgabe außerhalb der Akademie keiner.

Einer, der im Vorjahr den richtigen Riecher hatte, war der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck. Er hatte damals eine Favoritin auf dem Zettel, die dann tatsächlich den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam: die französische Schriftstellerin Annie Ernaux. Sie erhielt die renommierte Auszeichnung "für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Beschränkungen der persönlichen Erinnerung aufdeckt", wie Malm verkündete.

Auch diesmal hat Scheck einige Wunschkandidaten für den Nobelpreis im Köcher. Darunter ist zuvorderst der US-Amerikaner Thomas Pynchon, der nicht nur ein hervorragender Vertreter der amerikanischen Postmoderne, sondern von Beginn an auch ein "grüner Autor" - bei manchen Umweltthemen also den Zeiten voraus - gewesen sei, sagt Scheck.

Der Somalier Nuruddin Farah hätte den Nobelpreis seiner Ansicht nach ebenfalls verdient - "ein unglaublich vielschichtiger, psychologisch nuancierter Schriftsteller, dessen Romanwerk ich von Grund auf bewundere", wie der Literaturexperte sagt. Auch Margaret Atwood sei eine würdige Kandidatin. "Ich nannte sie mal die Nobelpreisträgerin der Herzen", so Scheck. Ebenso gönnen würde er es Salman Rushdie.

Scheck ist der Ansicht, dass sich die Schwedische Akademie bei ihrer Auswahl an die wirklich großen Namen halten sollte. "Ich finde, dass der Literaturnobelpreis nicht der Preis ist, der jetzt völlig eigenständige Entdeckungen machen sollte. Er ist wohlberaten, wenn er sich an die Autoren hält, die eben das schreiben, was wir unter Weltliteratur verstehen."

Also: Favorit oder Unbekannte? Donnerstagmittag wird dieses Geheimnis in Stockholm gelüftet. Die renommierte Nobelmedaille und das dazugehörige Nobeldiplom bekommt der Preisträger oder die Preisträgerin dann traditionell am 10. Dezember überreicht, dem Todestag von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833-1896). Dotiert sind die Nobelpreise diesmal mit elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 950.000 Euro) pro Kategorie, einer Million mehr als im Vorjahr.

ribbon Zusammenfassung
  • Wenn die Literaturwelt am Donnerstag wieder gebannt nach Stockholm blickt, ist alles möglich.
  • Mal erhält den Literaturnobelpreis jemand, dessen Werk bloß Experten kennen, mal entscheidet sich die Schwedische Akademie für langjährige Favoriten oder riskiert - wie bei Peter Handke 2019 - politische Kontroversen.
  • Bei Wettbüros werden stets etliche Namen gehandelt.
  • Auch diesmal hat Scheck einige Wunschkandidaten für den Nobelpreis im Köcher.